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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

angriff – es war der 3. Juli 1252 – da entsetzte sich der König. Es war unmöglich, dem furchtbaren Andrange der wilden, erbitterten Friesen Stand zu halten. Abel und sein ganzes Heer dachten nur, wie sie sich retten möchten und zogen sich mehr fliehend als kämpfend nach der Eider, um hier ihre Schiffe zu besteigen und auf diesen das rettende Meer zu gewinnen. Allein während der Nacht war Ebbe eingetreten, die Schiffe lagen fest im zähen Schlick und konnten um keinen Preis flott gemacht werden. Gedrängt von den Friesen, die bereits mehrere Hunderte der seinigen erschlagen hatten, mußte er sich einen Weg mitten durch das feindiche Land zu bahnen suchen. Er wandte sich nordwärts, und als er eine Stelle erreicht hatte, wo ihm auf der einen Seite das Meer gegen eine Umgehung schützte, beschloß er, es noch einmal mit den wüthenden Friesen aufzunehmen. Es entspann sich ein grauenhaft blutiger Kampf, worin auf beiden Seiten sehr Viele erschlagen wurden. Endlich aber siegte die Tapferkeit und das innige Zusammenhalten der Friesen. Die Dänen mußten weichen und abermals fliehen. Zum Angedenken an dies Gemetzel nannte man den Ort Königskamp und noch heut weiß jeder Nordfriese den Platz jener denkwürdigen Schlacht zu finden. Aber die Leiden dieses Tages solltest mit diesem ersten Zusammentreffen noch nicht zu Ende sein. Bei Koldenbüttel kam es abermals zum Gefecht. König Abel verlor wiederum Viele der Seinigen und mußte endlich nördlich gegen die Geest flüchten. Allein auch dies rettete weder ihn noch sein Heer. Am sogenannten Milderdamme, der einzige Weg, der ihm offen stand, erreichten ihn die nachsetzenden Friesen zum dritten Male und drangen mit solcher Wuth auf ihn ein, daß nach den Berichten der Chronisten auch nicht Einer der Feinde entkam.

Bei den blutigen Kämpfen dieses Tages zeichneten sich vor Allen die Friesen der Nordwestküste aus, die man wahrscheinlich ihres seegewohnten Lebens wegen Seehunde nannte (im Friesischen Sellager). Von ihnen blieben Viele im Kampfe, weil sie mit unbändiger Wildheit sich in die dichtesten Heerhaufen der Feinde wagten.

Glücklicher als seine Begleiter war König Abel. Es gelang ihm auf seinem schnellfüßigen Streitrosse die Schaaren der in immer dichteren Haufen anstürmenden Friesen zu durchbrechen und nordwärts zu entkommen. Schon hatte er seinen Verfolgern einen bedeutenden Vorsprung abgewonnen, schon sah er über den Saatfeldern den Silberspiegel des Meeres aufblitzen und hörte dumpf rauschend die ferne Brandung; da ereilte ihn unvermuthet das Geschick. Wie sein Bruder Erich in jenen Augenblicken, wo Gudmansoe seinen Leuten befahl, den Gefesselten auf der Schlei zu tödten, vorausgesagt hatte, so endigte der Brudermörder Abel. Als nämlich der eiligst Fliehende über den Milderdamm der Küste zusprengte, hob sich aus einem Gebüsch am Wege die riesige Gestalt eines Friesen von Pelworm. Die Chronisten bezeichnen den Mann als Rademacher.[WS 1] Mit hochgeschwungener Axt fiel er den fliehenden König an, schlug ihm das Schwert aus der Hand und zerschmetterte ihm mit gewaltigem Schlage den Schädel. Dies geschah unfern der Stelle, wo sich heute die alterthümliche Stadt Husum am Ausflusse der Hewer[WS 2] in die Nordsee erhebt. Abel stürzte in den Schlamm und blieb längere Zeit unbeachtet und unbeerdigt unter freiem Himmel liegen; denn die Friesen, welche ihn und sein Heer erschlagen hatten, betrachteten ihn als einen von Gott gezeichneten Missethäter.

Erst nach einiger Zeit erbarmten sich die Schleswiger des Erschlagenen. Sie hoben den im Schlick bereits halb versunkenen Leichnam Abel’s auf, schafften ihn nach der Schleistadt und begruben ihn im St. Petersdome neben seinem Bruder Erich. Allein der Unselige hatte keine Ruhe in seiner Gruft. Nahe dem Orte, wo er den Beschluß gefaßt hatte, sich des verhaßten Bruders durch Meuchelmord zu entledigen, wo er durch einen feierlichen Meineid von der Blutschuld zu reinigen sich erfrechte, fanden sich die Zeugen des an König Erich verübten Frevels wieder ein. Zahllose Möwen zogen von den öden Hallen der Jurisburg herüber zum Dome und umflatterten ihn unter nie endendem Klaggeschrei. Diese schrillenden Rufe der Möwen schienen selbst die Wände der Gruft zu sprengen, denn die Domherren vernahmen, wie das Grab Abel’s sich öffnete und sein Geist, von dem Jammerruf der Seevögel gepeinigt ruhelos in den Gewölben des Domes umherirrte. Gebete und Seelenmessen, wodurch man den Spuk zu[WS 3] bannen hoffte, blieben erfolglos. Der Lärm ward in[WS 4] jeder Nacht ärger, so daß den Domherren ein Grausen ankam und die Ueberzeugung sich in ihnen festsetzte, der Unselige werde niemals Ruhe finden können in geweihter Erde. So beschloß man denn, Abel's Leichnam wieder aus seinem Grabe hervorzuholen. Ganz in der Stille, ohne alles Gepränge schaffte man den Sarg aus der Kirche fort, trug ihn westlich von der Stadt in das hinter dem Schlosse Gottorp sich fortziehende Gehölz, den Pölerwald, und versenkte ihn hier in einen Sumpf. Mitten durch den Sarg, also auch durch den Leichnam Abel’s, trieb man einen spitzen, langen Pfahl, um die Leiche an die Erde zu binden und, so glaubte man, den Todten dadurch an gespenstischem Umgehen zu hindern.

Seitdem ward die Ruhe des Domes nicht mehr gestört, den gehofften Frieden des Grabes jedoch sollte Abel auch im Pölerholze nicht finden. An gewissen Tagen oder Nächten im Jahre verließ der Unselige sein einsames, von allen Menschen gemiedenes Grab, schwang sich, in schwarze Stahlrüstung gehüllt, auf sein gespenstisches Roß und besuchte, durch die Luft in wildestem Galopp fortsausend, gefolgt und umgeben von feuerschnaufenden Hunden, seinen ehemaligen Sitz auf der Schleiinsel. Dreimal umkreiste er die Zinnen der verfallenden Jurisburg, auf deren geschnörkelten Thurmspitzen, Gesimsen und Vorsprüngen zahllose Möwen saßen und den nächtlichen Besuch mit Geschrei und Flügelschlag begrüßten. Kehrte Abel wieder zurück in sein Grab, dann verfolgte die düstere Gestalt eine Anzahl Möwen, während die zurückbleibenden das alte Gemäuer und die Insel mit ihren Fittigen gleichsam bedeckten.

Jahrhunderte sind seitdem vergangen, die Jurisburg

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Rademacher bezeichnet einen Handwerker, der Räder aus Holz herstellt (vgl. Stellmacher)
  2. Hewer oder Hever war früher ein Nebenfluss der Eider. Heute ist der Heverstrom ein Gezeitenstrom, der nördlich von Eiderstedt durch das nordfriesische Wattenmeer verläuft und den Husumer Hafen durch das Wattenmeer mit der offenen Nordsee verbindet. vgl. Hever, in: Hans Jürgen Borchard: Pellworm - Pilworm - Peelwerrem: Eine Spurensuche in der Literatur über Ortsnamen auf Pellworm und um Pellworm herum. Pellworm Verlag. ISBN 3-936017-02-6
  3. zu in der Vorlage nicht lesbar
  4. in in der Vorlage nicht lesbar
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 491. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_499.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)