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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

No. 46. 1853.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familien-Blatt. – Verantwortlicher Redakteur Ferdinand Stolle.


Wöchentlich ein ganzer Bogen mit Illustrationen.
Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 10 Ngr. zu beziehen.


Der Möwenberg bei Schleswig.

Von Ernst Willkomm.
(Schluß.)

So vergingen einige Wochen. Erich blieb verschwunden und Abel, dem schon längst nach der königlichen Würde gelüstet hatte, traf Anstalten, den erledigten Thron von Dänemark in Besitz zu nehmen. Er war der nächste Thronerbe, da Erich ohne Hinterlassung männlicher Nachkommen aus der Welt gegangen war. Indeß vermochte der Herzog sein Ziel doch nicht so schnell zu erreichen, als er es wünschte. Die Rächer Erich’s, die Möwen, hinderten ihn daran. Es schien, als hätte ihr unaufhörliches Klagen es vermocht, die Fesseln des Erschlagenen und in der Schlei Versenkten zu lösen; denn zwei Monate nach der Blutthat zeigten sich auf der Oberfläche des Wassers bei Mösund blaue Flämmchen des Nachts und empor aus der Tiefe stieg der Leichnam des Königs, die rechte Hand zum Himmel ausstreckend und langsam den Strom hinabtreibend. Schreiend folgte ihm die dichte Wolke der Möwen. Fischer erkannten den Todten, huben ihn aus der Fluth und brachten ihn nach Schleswig.

Es war unmöglich, dem Volke noch länger zu verheimlichen, daß König Erich eines gewaltsamen Todes gestorben sei. Herzog Abel läugnete freilich die That und ließ den wiedergefundenen Todten unter großem Gepränge feierlich im Dome zu Schleswig beisetzen. Dort ruht er noch jetzt. Ein geschmackvolles Denkmal vor dem Altare deckt seine Gruft.

Wie sehr aber auch Herzog Abel sich vermaß, keine Schuld zu haben an dem Tode seines Bruders, es half ihm doch nichts. Denn hatten bis zum Aufsteigen des Leichnams aus dem Wasser die Möwen den Ort bewacht, der ihn barg, so begleiteten sie jetzt die Leiche bis zum Dome, und erst als der Erschlagene in geweihte Erde gebettet worden war, verließen sie ihn, nicht aber, um für immer zu verschwinden, sondern um ihr Rächeramt fortzusetzen und den Urheber des Mordes rastlos zu verfolgen und zu peinigen.

Herzog Abel sollte darthun, daß er nicht der Mörder Erich’s sei. Wenn er dies vermöge, wollte ihn Dänemark als König anerkennen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 489. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_497.jpg&oldid=- (Version vom 14.4.2020)