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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Leichen, die nach dem Kirchhofe des vierten Distrikts geschickt worden waren, konnten dieselben nicht so schnell begraben werden, als es eigentlich hätte geschehen sollen, so daß gestern früh noch ungefähr fünfzig unbegrabene Leichen dalagen. Viele davon lagen schon seit achtundvierzig Stunden da. In Folge der Zersetzung der Leichname durch die Sonnenhitze waren viele Särge geplatzt und der Gestank so entsetzlich, daß viele der Näherwohnenden ihre Häuser verlassen mußten. Ich war heute Nachmittag auf dem Begräbnißplatz, wäre aber beinahe wieder umgekehrt, so entsetzlich war der Verwesungsgeruch, der mir schon aus weiter Ferne entgegenkam. Als ich an dem Thore des Kirchhofes anlangte, war das Erste, was meine Aufmerksamkeit anzog, ein altes Negerweib, welches dicht vor dem Kirchhofe ihre Bude aufgeschlagen hatte, wo sie Aepfel, Pfirsichen, Pasteten, Kuchen, Eistorten, Bier und Branntwein verkaufte. Ohne Zweifel hatte sie gute Kunden an den zahlreichen Irländern und Deutschen, welche die Todten hier herausschaffen und begraben helfen. Ich glaube, sie hätte noch mehr verdienen können, wenn sie Kampher[WS 1] verkauft hätte, denn ich fand während der Stunde, die ich auf dem Kirchhofe zubrachte, daß Kampher etwas Herrliches war. Eine Anzahl Kettensträflinge waren eben beschäftigt, lange Gräben, ungefähr achtzehn Zoll tief und etwa fünfzig Fuß lang, zu ziehen. In diese wurden dann die Särge, immer sechs neben einander, hineingelegt, dann Kalk darauf geworfen und Erde darüber gehäuft. Die Deckel der Särge ragten dabei immer noch fünf bis acht Zoll aus der Erde hervor. Als ich fortging, waren noch etwa zwanzig Särge zu begraben, da aber die Gräben schon fertig waren und die Kettensträflinge die Särge blos hineinzusetzen und mit Erde zu bedecken hatten, so mußten sie bald damit fertig sein. Die Neger waren alle betrunken und ließen die Koffer in der Regel mehrmals fallen, ehe sie dieselben in die Gräben hineinbrachten. Einen furchtbaren Anblick gewährten die von der Sonnenhitze aufgeschwellten Leichen, die ihre Särge zersprengt und wie durch Anwendung von Körperkraft die Bande zerrissen hatten, welche ihre Hände und Füße zusammenhielten, so daß sie dieselben weit und starr von sich streckten.

Man sollte glauben, daß eine auf solche Weise heimgesuchte Stadt in die tiefste Trauer versenkt sein müßte und von öffentlichen Vergnügungen nicht die Rede sein könnte, aber dies ist keineswegs der Fall, und die Journale von New-Orleans enthalten Ankündigungen von Bällen und Regatta’s (Ruderwettfahrten), als ob der Würgengel der Pest noch niemals seinen Fuß auf diesen Boden gesetzt hätte. So gewöhnt sich der Mensch an Alles, selbst an das Furchtbarste.

Was die Stadt New-Orleans an und für sich betrifft, so ist sie niemals nach einem angemessenen System kolonisirt worden. Man hat in der Mitte eines Sumpfes eine große Stadt gebaut und es der Sklavenarbeit überlassen, den Boden anzubauen, während die Eigenthümer desselben sich einem üppigen, unthätigen Leben hingaben. Da ist nun freilich die Entstehungsgeschichte der großen nördlichen und westlichen Staaten eine ganz andere.

Die Wahrscheinlichkeit ist nicht dafür, daß irgend etwas Wirksames unternommen werden könnte, um diesen Staat der Gewalt einer so furchtbaren Seuche zu entreißen und dennoch läßt sich fast mit Bestimmtheit nachweisen, daß dieselbe in frühern Zeiten dort gänzlich unbekannt war. Daß wirklich derartige Veränderungen stattfinden, ist außer allen Zweifel gesetzt. Constantinopel zum Beispiel, wo jetzt die Pest fast alle Jahre einmal ausbricht, ward in früheren Zeiten als eine der herrlichsten und gesündesten Städte der Welt betrachtet und in den Niederungen von Mexiko wußte man zu der Zeit, wo die Europäer zuerst dorthin kamen, von dem gelben Fieber noch nichts. Ein aus dieser Thatsache sich von selbst ergebender Schluß ist, daß für den öffentlichen Gesundheitszustand durch geeignete Maßregeln sehr viel gethan werden kann. Wir fürchten uns im neunzehnten Jahrhundert nicht mehr vor der orientalischen Pest, die früher durch ein Bündel Lumpen nach Europa verschleppt werden konnte und vielleicht ist die Zeit nicht mehr fern, wo auch die Choleraepidemie siegreich bekämpft ist.




Aus der Menschenheimath.

Briefe
Des Schulmeisters emerit. Johannes Frisch an seinen ehemaligen Schüler.
Zwölfter Brief.
Die Blattpilze und die Pflanzenkrankheiten.

Es gab und giebt in einigen Vertretern noch eine medicinische Meinung, welcher zufolge jede Krankheit, namentlich diejenigen, welche sich in einer gestaltlichen und stofflichen Umänderung der Körpermasse aussprechen, für einen sogenannten Afterorganismus erklärte, der sich als ein böser Dämon im sonst gesunden Menschen- oder Thiertriebe entwickele. Wäre diese Meinung begründet, so wären die Aerzte wahre Teufelsbanner und Geisterbeschwörer und ihre großen Arzneibullen und Pillenschachteln wären vollkommen berechtigt als Munition, womit sie dem Krankheitsdämon auf den Leib rückten.

Jetzt hat diese Meinung wohl nur noch wenige Anhänger. Man ist wieder nüchtern geworden, und gefällt sich nicht mehr darin, für wissenschaftlich noch unerkannte Erscheinungen geistreich klingende Redensarten statt einer Erklärung zu geben.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. ein aus dem Kampferbaum gewonnenes Heilmittel
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 435. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_435.jpg&oldid=- (Version vom 14.4.2020)