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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Zu viel Blau

oder
Es heißt alles gemalt.

Früh an einem schönen Sommermorgen schritt ein alter Mann auf der Straße hin, die von Brüssel nach Namur führt. Er erwartete einen Freund, der mit der Diligence ankommen sollte, und hatte sich früher aufgemacht, als sie erwartet wurde, um ihr ein Stück Weges entgegenzugehen. Da er vollauf Zeit hatte, so betrachtete er Alles, was einiges Interesse darbot, und blieb endlich stehen, um der Arbeit eines Malers zuzusehen, der, auf einer an die Vorderseite eines Wirthshauses gelehnten Leiter stehend, emsig beschäftigt war, über der Thür ein Gemälde anzubringen, welches eine Illustration zu dem Namen des Wirthshauses lieferte. Dieses hieß nämlich: „der Sonnenaufgang.“

„Aha,“ sagte der alte Mann bei sich selbst, „da steht so ein ehrlicher Gurkenmaler, der von der Perspektive so viel versteht wie ein Karrengaul, und sich dabei einbildet, ein Rubens zu sein.

„Hui! wie er diesen Ultramarinhimmel hineinpinselt!“

Der Kritiker begann vor dem Wirthshause hin und her zu gehen und dachte, er könnte eben so gut hier auf die Diligence warten, als ihr noch weiter entgegengehen. Der Maler fuhr mittlerweile fort, immer neue Schichten von dem hellsten Blau aufzutragen, was den alten Herrn sehr zu ärgern schien.

Endlich, als der Schildmaler seinen Pinsel abermals in dem blauen Topfe füllte, konnte es der Zuschauer nicht länger aushalten und rief in heftigem Tone:

„Zu viel Blau!“

Der ehrliche Maler blickte von seinem hohen Standpunkte herab und sagte in jenem Tone erzwungener Ruhe, den ein Zorniger zuweilen annimmt:

„Der Herr sieht wohl nicht, daß ich einen Himmel male?“

„O ja, ich sehe recht wohl, daß Ihr einen Himmel zu malen versucht, aber ich sage Euch nochmals, es ist zu viel Blau darin!“

„Habt Ihr jemals einen Himmel ohne Blau gemalt gesehen, Herr Kunstliebhaber?“

„Ich bin kein Kunstliebhaber. Ich sage Euch blos im Vorbeigehen – ich mache die gelegentliche Bemerkung – daß zu viel Blau darin ist; aber macht was Ihr wollt. Immer streicht noch mehr Blau auf, wenn Ihr noch nicht genug davon aufgekleckst zu haben glaubt.“

„Aber ich sage Euch, ich will einen klaren blauen Himmel bei Sonnenaufgang darstellen.“

„Und ich sage Euch, daß kein Mensch, der seinen richtigen Verstand hat, einen Himmel bei Sonnenaufgang blau malen würde.“

„Bei der heiligen Gudula, das ist zu stark!“ rief der Maler, indem er von seiner Leiter heruntersprang und seinen Zorn nicht länger verhehlte; „ich möchte sehen, wie Ihr einen Himmel ohne Blau malen wolltet!“

„Ich mache keinen Anspruch auf große Geschicklichkeit, aber wenn ich eine Probe machen sollte, so würde ich nicht zu viel Blau anbringen.“

„Und wie würde es denn dann aussehen?“

„Naturgetreu, hoffe ich, und nicht wie Euer Himmel, der wohl für ein Kornblumenfeld oder ein Stück blaues Tuch oder sonst etwas angesehen werden kann, nur nicht für einen Himmel. Ich versichere Euch zum zehnten Male, es ist zu viel Blau darin.“

„Ich will Euch etwas sagen, alter Herr,“ rief der beleidigte Künstler, indem er seinen Lehnstock quer über die Schultern legte und ein sehr grimmiges Gesicht machte, „ich glaube, Ihr seid ein ganz guter Mann, aber man sollte Euch nicht allein herumlaufen lassen.“

„Warum nicht?“

„Warum nicht? Weil Ihr verrückt sein müßt, auf diese Weise den Kritiker spielen zu wollen. Zu viel Blau – ei seht doch! Was, ich der Schüler Ruysdael’s, der dritte Vetter von Gerard Douw’s Urenkel, ich soll nicht wissen, wie man einen Himmel colorirt? Wisset, daß mein Ruf schon längst begründet ist. Ich habe ein Rothes Roß in Mecheln gemalt, einen Grünen Bären in Namur und einen Karl den Großen in Aachen, vor welchen jeder Vorübergehende bewundernd stehen bleibt!“

„Dummes Zeug!“ rief der Kritiker, indem er dem Maler die Palette aus der Hand riß. „Ihr wäret werth, daß man Euer eigenes Bildniß mit Eselsohren als Schild eines Wirthshauses aufhinge!“

Mit diesen Worten stieg er flink und gewandt wie ein Knabe die Leiter hinauf und begann mit der flachen Hand das Meisterwerk des dritten Vetters von Gerard Douw’s Urenkel auszuwischen.

„Halt, halt, Ihr alter Prahler!“ schrie der Künstler, „Ihr ruinirt mein Schild! Es kostet fünfunddreißig Francs. Und mein Ruf – verloren! dahin auf immer!“

Er schüttelte heftig die Leiter, damit sein Tadler herabsteige. Dieser aber, ohne sich dadurch oder durch die Anwesenheit einer Menge durch den Streit herbeigelockter Dorfbewohner stören zu lassen, fuhr unbarmherzig fort, die schöne Landschaft zu vertilgen. Dann malte er, indem er sich blos der Fingerspitze und des Stiels eines Pinsels bediente, in meisterhaften Umrissen drei flämische Bauern mit Biergläsern in den Händen, der aufgehenden Sonne zutrinkend, welche über dem Horizont erschien und die Dunkelheit des grauen Morgenhimmels zerstreute. Eins der Gesichter war eine auffällige und lächerliche Karrikatur des übertroffenen Schildmalers.

Die Zuschauer waren anfangs sehr geneigt, die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 418. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_418.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)