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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Das schreiende Unglück und der Fluch Irlands ist lediglich schlechte Verwaltung und Nichts weiter. Und wer trägt die Schuld derselben? Niemand als England. Wer erniedrigte Irland zu einem eroberten Lande? – England. Wer brachte alle die verschiedenen Elemente des Haders, der Unzufriedenheit und der Ungerechtigkeit in’s Land? Wer brachte zwei feindliche Kirchen und zwei feindliche Raçen, Celten und Sachsen, mit einander in Conflict? – England ohne Zweifel. Und die Consequenzen aller jener Ungerechtigkeit und monströser Verwaltung mußten nothwendig so ausfallen, als wir sie heutigen Tages vor Augen haben. Elende und nachlässige anglo-sächsische Grundbesitzer, welche mehr als ein Viertel des besten Landes unbebaut liegen lassen und nun die arme Bevölkerung durch ungeheuere Pächte für den Rest zu Tode drücken. Eine nutzlose Kirche, die mit dem Eigenthume mit Gewalt verdrängter Katholiken unterhalten wird, die natürlich wegen der Räuberei äußerst erbittert sind. Und dann schütteln wir unsere Köpfe und sprechen von Raçe. Wenn die Raçe schlecht ist, warum hat die Regierung nicht Sorge getragen, sie zu verbessern? Weshalb war es ihnen während vieler, vieler Jahre sogar gesetzlich verboten, sich auszubilden? Haben wir ein Recht, sie der Trägheit, Fahrlässigkeit und Hülflosigkeit zu beschuldigen, wenn die Regierung alle Mittel erschöpft hat, sie so zu machen?

England hat Kasernen an Stelle der Schulen errichtet, Schießpulver anstatt Getreide gesäet und nun wundert man sich über das Volk und die Früchte. Die weisesten und besten Männer in England haben seit Jahrhunderten Reform und Verbesserung Irlands verlangt, doch Alles, was geschehen ist, besteht namentlich in der Vermehrung der Armee und Polizei. Jahr ein Jahr aus haben ein Drittel der Debatten im Parlamente irländische Angelegenheiten zum Gegenstande. Alles Worte, keine Handlungen; als ob lange Reden das einzige Hülfsmittel wären für lange Leiden. Worte werden Irland nun und nimmermehr mit einem nur gerechten Gesetze versehen, welches das Verhältniß zwischen Grundbesitzer und Pächter regulirt, nun und nimmermehr die Millionen Brachacker in blühende Fluren umwandeln, oder die Masse des Volks erziehen, oder die Grundbesitzer zwingen, die Armen auf dem vernachlässigten Boden zu beschäftigen; oder die usurpirende Kirche entfernen, welche der katholischen Bevölkerung ein Dorn im Auge ist; oder den so verderblichen Indifferentismus hinwegräumen.

Der Irländer ist nicht ohne bedeutende Talente; er hat namentlich vortreffliche sociale Eigenschaften, ist stets fertig und empfänglich für einen guten Witz und, wenn gut gehandhabt, der allerbeste Gesellschafter. Aber Irland an der Seite Englands ist gleich der Sklavenbevölkerung in den Staaten Nordamerika’s ein Unglück für beide, für Herren sowohl als Unterdrückte. Und der größte Uebelstand dieses unglücklichen Verhältnisses ist in unserer Meinung jener Indifferentismus gegen das Elend. So lange Paddy seine Kartoffeln, ein Stück trockenes Brod und Salz hat, ist er überglücklich und rührt sich nicht von der Stelle. Man setze dem John Bull eine Mahlzeit vor, ich bin fest überzeugt, er würde sie nimmer anrühren, er verlangt sein Roastbeef und Plumpudding, und nebenbei einen pot of ale oder porter. Der Engländer hat viele Bedürfnisse und er spekulirt und arbeitet hart, dieselben zu befriedigen; der Irländer dagegen hat wenig oder keine Bedürfnisse, das macht ihn träge und elend. Der Irländer kann arbeiten, wenn er Lust hat, aber er hat einen Aufpasser nöthig, welcher ihn fortwährend anfeuert und leitet; dafür spricht das Gedeihen der irländischen Landarbeiter in Amerika und das bezeugen die Tausende von Tagarbeitern in London.

Wir haben uns über diesen Punkt absichtlich etwas ausführlicher ausgelassen, weil unseren deutschen Landsleuten der Zustand und Charakter des irländischen Volks gewöhnlich nur durch Vermittlung der englischen Presse bekannt wird und somit in Betracht des Gegenstandes höchst einseitige Ansichten verbreitet sind. Und wir glauben unsern geehrten Landsleuten, welche im Laufe der Ausstellung in Dublin Irland besuchen werden, hiermit höchst willkommene Andeutungen gegeben zu haben. –

„Kennst du das Land, wo die Citronen blühen?“ Wir haben gewöhnlich in unserer Jugend so viel Schönes und Erhabenes von Italien gehört, daß es uns später schwer, wenn nicht ganz unmöglich wird, uns dasselbe ohne seine Cato’s, Cicero’s, Virgile, seine Raphaele zu denken. Das alte Rom mit seinen stolzen Senatoren und kühnen Volkstribunen, das moderne Rom mit dem St. Peter und den ehrwürdigen Ruinen, die redenden Zeugen einer großen historischen Vergangenheit; das meerumgürtete Venedig mit seinen Kanälen und Gondoliren, seiner geheimen Inquisition und seinen Zinndächern; das herrliche Neapel mit seinen feuerspeienden Bergen, seinem schönen Meerbusen und einem ewigen Frühlinge; dies sind phantastische Bilder, welche ein jugendliches Gemüth, wie die Landschaften des Salvator Rosa – mit einem feierlichen Schauer des Großen und Erhabenen erfüllen, der sich später fast nie wieder ganz verwischen läßt. Und „wenn die Enttäuschung folgt dem gläubigen Hoffen“ und wir diese Tausende von italienischen Bettlern in London bemerken, welche uns ein Bild des geistigen Elendes und der körperlichen Entartung in der allerschrecklichsten Gestalt bieten, können wir anfänglich kaum den Gedanken ertragen, diese Jammergestalten mit dem klassischen Boden eines italienischen Himmels in Zusammenhang zu bringen. Kunst und Poesie sind hier zur allergemeinsten Karrikatur entartet, und die alten römischen Helden, welche ohne Anstrengung im Triumphe von einem Ende der Erde zum andern marschirten, sind in kleine, unansehnliche Figuren zusammengeschrumpft. Statt der plastischen Figuren eines Raphael und Michel Angelo haben mir ungeformte, zerbrechliche Gypsfiguren und an Stelle der göttlichen Poesie eines Dante haben wir die herzzerreißenden Töne eines verstimmten Leierkastens oder das betäubende Getöse einer zerbrochenen Trommel. Ja der Leierkasten und das Tambourin, die Trommel und tanzende Figuren; weiße Mäuse, Murmeltiere und halbverhungerte Affen und billige Gypsabgüsse sind die unzertrennlichen Symbole

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 411. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_411.jpg&oldid=- (Version vom 23.4.2018)