Seite:Die Gartenlaube (1853) 408.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

den Erlös, um ihrer Kranken nahrhafte Speisen zu bereiten. Die Muhme stand ihr in ihren Mühen und Sorgen trefflich bei. Nach und nach erholte sich die Mutter; es war aber auch die höchste Zeit, denn Röschen hatte Nichts mehr zu veräußern; was ihr noch Werthvolles geblieben, das war Richards Bild, und das war anvertrautes Gut!

Selten kommt ein Unglück allein. Frau Goldhahn hatte kaum ihren ersten Umgang im Zimmer gehalten, da legte sich die alte Muhme. Woher nun Hülfe nehmen? Röschen mußte den Arzt wieder rufen; er kam auch gleich, ohne seine Hand nach der Bezahlung auszustrecken, war ihm doch die alte Rechnung schon vor Röschens Heimkunft von Heller zu Pfennig bezahlt worden. Aber wie den Apotheker bezahlen? Auch da half der Arzt durch seine Fürsprache; der Apotheker wartete mit der Bezahlung. Allein es wollte auch jetzt noch so mancherlei sein, was nicht vom Arzte, nicht in der Apotheke zu erlangen war. Freilich kamen von Außen Unterstützungen in den Ort, aber so beträchtlich sie waren, so wenig reichten sie aus für alle Bedürfnisse aller Bedürftigen. Röschen war übrigens wie ihre Mutter eine „verschämte Arme.“ Sie durchsuchte alle Schachteln, Kästen und Winkel, ob sie Nichts mehr fände, das sich entbehren ließ – umsonst, da war Nichts, gar Nichts mehr – als das Bild mit dem Rahmen von Gold und Perlen. Hätte sie das nur versetzen können, so wäre geholfen gewesen. Die Muhme schwebte in der größten Gefahr – der Stadtdoktor mußte auch für sie geholt werden – die Mutter wurde auch wieder bettlägerig – – gräßlich, herzbrechend war die Noth, deren Wogen das arme Röschen umringten und sie zu verschlingen drohten.

„Es hilft Nichts!“ rief sie endlich. „Noth kennt kein Gebot! Ich kann die Muhme nicht umkommen lassen, und wenn sie auch nicht meine Muhme wäre, sie ist ein Mensch wie die Mutter – es muß sein, und kost’ es das Glück meines Lebens! – Mutter!“ sagte sie zu dieser, „ich gehe selbst nach Johanngeorgenstadt zum Doktor; ich schicke die Schmidt-Rieke her, daß sie einstweilen meine Stelle vertritt. Sorge Dich nicht, wenn ich etwas spät wiederkomme.“

Sie ging, das Bild des unvergeßlichen Fremdlings von Dobberan – nicht zu verkaufen, nur zu versetzen. Auf dem Wege nahm sie es wohl tausendmal und küßte es, und weinte dazu, daß die Thränen den Schnee salzten. Es wurde ihr so schwer, sich von dem lieben Andenken zu trennen. Und wie? Wenn er nun plötzlich kam, es zurückzufordern, und sie konnt’ es ihm nicht geben? Der Gedanke hemmte noch einmal ihren Schritt, aber die Erinnerung an die todtkranke Muhme und die nothleidende Mutter trieb sie vorwärts. So erreichte sie die Stadt, so trug sie ihr Kleinod zum Goldschmied, der ihr gleich funfzig baare Thaler darauf leihen wollte. Sie nahm aber nur zwanzig. „Das Geld giebt sich aus,“ sagte sie, „und zu zwanzig Thalern wird eher wieder Rath als zu funfzig.“ Während der Goldschmied das Geld aufzählte, bedeckte sie das Bild heimlich mit Küssen und Zähre auf Zähre floß darüber hinweg. Endlich mußte sie es doch hingeben. Sie nahm ihr Geld, eilte zum Arzte, und nach zwei Stunden betrat sie mit ihm ihr heimathliches Stübchen, jetzt ein kleines Lazareth.

Nicht lange blieb es das. Die Muhme genas, die Mutter wurde wieder stark und rüstig – aber das Bild des theuern Richard war weg. Bald wird auch das Geld aufgezehrt sein, das Röschen darauf geliehen – aber der Frühling ist da, „der Schnee des Winters rieselt von den Kuppen,“ bald kommt Ostern, bald können die Menschen wieder hinaus. Mancher freilich muß daheim bleiben unter dem Rasen, aber den Andern wird Gott weiter helfen! –




„Von der Alpe tönt das Horn!“ blies der Postillon auf dem Bocke einer Extrapost, die in Johanngeorgenstadt langsam nach dem hochgelegenen Markte hinauffuhr. Kopf zum Fenster hinaus! hieß es da rechts und links in den Häusern, auch im Hause des Goldschmieds, der im Besitze von Röschens Medaillon war.

„Sieh’ nur mal den Herrn, Alte, der da drin sitzt!“ sagte der ehrenwerthe Mann zu seiner mit ihm nach der Extrapost spähenden Ehehälfte. „ist das nicht das leibhaftige Ebenbild zu dem Kopfe auf dem Pfande der Breitenbrunner Rösel?“

„Mein linkes Ohrringel kann dem rechten nicht ähnlicher sehen,“ bestätigte die Frau. „Wie’s scheint, steigt der im Gasthofe drüben aus – richtig, die Kutsche hält – da eilt er schon in’s Haus!“

„Bring’ mir gleich Stiefel, Rock und Hut!“ befahl der Mann; „ich will ein Töpfchen drüben trinken! man weiß nicht, was es mit dem Medaillon für eine Bewandtniß hat.“

Bald saß der ehrsame Goldschmied bei seinem Töpfchen, der Fremde ihm unfern gegenüber. Je länger jener diesen betrachtete, destomehr fiel ihm die wahrgenommene Aehnlichkeit auf. Diese konnte unmöglich eine zufällige sein. Nicht lange dauerte es, so befand sich der freundliche Bürger mit dem Reisenden im Gespräche. Dieser fragte nach den Verhältnissen des Ortes, dann nach seinen Umgebungen, insonderheit nach den Namen der verschiedenen Dörfer und ihren Haupterwerbsquellen. Da wurde ihm Jugel als Berg- und Ackerbau treibender Ort, Wittigsthal als Hammerwerk, Karlsfeld als Sitz von Wanduhrenmachern, Nagelschmieden, Wald-, Wiesen- und Straßenarbeitern genannt; zuletzt auch Breitenbrunn mit seinen fahrenden Musikanten.

Ein Freudenstrahl zuckte über das edle, blasse Gesicht des Fremden. „Wie weit ist es bis dahin?“ fragte er hastig.

„Nur zwei gute Stunden,“ lautete die Auskunft.

„Da könnte ich ja heute noch hinkommen,“ sagte der Fremde. „Aber wer weiß,“ fuhr er mit gesenkter Stimme fort, „ob ich mich nicht wieder täusche. Ich bin nun schon hin und her, kreuz und quer gefahren, aber immer an den unrechten Ort gekommen.“

„Suchen Sie vielleicht Jemand in Breitenbrunn?“ fragte der Goldschmied.

„Ich suche wohl Jemand, weiß aber nicht wo?“ war die Antwort.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 408. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_408.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)