Seite:Die Gartenlaube (1853) 407.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

dem Namen Ihres Heimathsortes zu fragen, mich von Ihrem Angesichte verbanne und nicht eher wieder vor Sie trete, bis ich als ein tüchtiger Mensch, ein wahrer Christ, mit einem Herzen voll lauterer, ungefärbter Bruderliebe vor Sie treten und mich für werth halten kann, die Luft Ihrer Heimath mit Ihnen zu athmen. Weiß ich doch den Namen Ihrer weiteren Heimath – das Erzgebirge! Der Stern, der Sie mich hier finden ließ, wird mich auch wieder zu Ihnen leiten. Es sei ein Theil meiner Buße, daß ich Sie suchen muß. Aber damit ich nicht ganz einsam sei, nicht von Allem geschieden, was mit Ihrer Person in einigem Zusammenhange steht; ja, damit ich ein Pfand besitze, das mir dafür bürgt, daß Sie mich nicht von Ihrer Schwelle jagen wollen, so geben Sie mir das Bild Ihres Vaters für dieses.“ Er zog aus seiner Tasche das Medaillon hier. „Ich ließ es,“ fuhr er fort, „für meine Braut malen, kurz eh’ sie mich verrieth. Nehmen Sie es statt des Ihrigen; ich löse es nach vollendeter Buße sicher wieder ein.“ – Mutter! Ich zögerte nicht – ich gab ihm das Bild – ich wollte das seine nicht nehmen – aber das unsere konnt’ ich ihm nicht abschlagen – nein, Mutter! ich hätt’ ihm mein Herzblut geben müssen, wenn er es gefordert hätte – ich konnte nicht anders. Ich küßte das Bild noch einmal und hing es ihm um den Hals; er mir schnell das seine – was in dem nächsten Augenblicke geschah – ich weiß es nicht – ob er mir blos die Hand drückte – oder mir auch die Stirn küßte – ich bin mir dessen nicht deutlich bewußt. Als ich wieder völlig bei mir selbst war, befand ich mich allein. Ich sah ihn nicht mehr. Nur hörte ich noch, und gerieth darüber in nicht geringen Schreck, daß Richard von dem Grafen auf Pistolen gefordert worden war, diesem aber, was mich schnell wieder beruhigte, hatte sagen lassen: Buben gäbe er keine Genugthuung. Darauf ist er abgereist – wohin, weiß ich nicht. Aber, Mutterle! härme Dich nicht um Dein Bild – gewiß, Du erhältst es wieder – mir sagt mein Herz, daß Richard hierher kommt, und wenn Du ihn dann siehst, wirst Du selbst sagen, daß ich recht gehabt, ihm seine Bitte nicht abzuschlagen!“ –

Die Mutter gab der Erzählerin einen Kuß auf den dargereichten Mund, schüttelte hinterher aber doch den Kopf und meinte: „Man darf keinem solchen feinen Herrn trauen – wer weiß, ob Dein Herr Richard nicht auch – –“

Aber Röschen hielt der Mutter den Mund zu und sagte: „Nein, gewiß und wahrhaftig ist Richard nicht, wie Du argwöhnen möchtest – darauf verwett’ ich Leben und Seligkeit!“

„Bst!“ – erwiederte die Mutter – „frevle nicht, Kind! Es sei wie es wolle – kommt er, ist es gut; kommt er nicht, nun, so sind wir um eine gute, aber traurige Lehre reicher. Jedenfalls laß ich Dich sobald nicht wieder mit reisen; ich bin nur froh, daß wir wieder beisammen sind!“ Darauf erzählte sie, wie einsam sie sich gefühlt während der ganzen Trennung, wie glücklich aber auch über jeden Brief, den sie von Röschen empfangen, und wie sie das Geld, das diese ihr geschickt, gewissenhaft erst zur Tilgung aller Schulden und dann zur Anschaffung der nothwendigsten Dinge für Leib und Haus verwendet habe.




Die Kirmes war vorüber; manches Breitenbrunner Kind, das den weißen Sonntag fröhlich mit begangen hatte, feierte die Kirmes schon nicht mehr: daheim wie in der Fremde war Dieser und Jener gestorben, Andere hatten ihr Herz draußen verloren und es nicht im Stiche lassen wollen, waren also mit draußen geblieben. Den nächsten weißen Sonntag sollten ihrer aber noch weit mehr vermißt werden: denn es kam eine böse Zeit über das Gebirge – die Kartoffeln mißriethen, das Getreide wurde theuer, andere Lebensmittel mit ihm. Im Geleite des harten Winters pochte der bittere Mangel an die Thüren der Armuth, das heißt: an die meisten Thüren des Gebirges. Schon waren die wenigen Kartoffeln, die man erbaute, aufgezehrt, schon war ein Bissen Schwarzbrod eine Leckerei, und man war glücklich, wenn statt der beliebten Röhrenkuchen „Röhrenklöße“ von Kleien erzeugt werden konnten, den Hunger zu stillen. Kälte und Hunger oder schlechte Nahrung im Bunde erzeugten böse Krankheiten – bald wüthete der Würgengel der Armuth, der Typhus, weithin über das ganze Gebirge diesseits und jenseits der Grenze. Auch Breitenbrunn blieb von dem allgemeinen Jammer nicht verschont. Opfer um Opfer bettete das Fieber unter den kühlen Schnee. Aber wie damals vom allgemeinen Jubel, so blieb jetzt das kleine Häuschen an der Gabel des „Ortsbach’s“ von dem allgemeinen Weh lange Zeit ziemlich unberührt. Röschens mitgebrachter Verdienst hielt lange vor – zwei Erzgebirgerinnen brauchen wenig, um zu leben. Dennoch empfanden sie die Noth sehr wohl – sie hatten manchem armen Verwandten mitzutheilen und ihr eigener spärlicher Unterhalt kam ihnen dreimal so hoch zu stehen, als in bessern Zeiten. Endlich mußten sie eine arme, verlassene Muhme zu sich nehmen. Da wurde Röschens Schatz allmälig doch recht klein. „Wenn nur der Winter vorbei ist und wir bleiben gesund,“ tröstete Röschen die oft ängstlich klagende Mutter; „zum Frühjahre mach’ ich dann gleich wieder eine kleine Reise mit der Lene, nur eine von wenig Wochen. So lange, hoff’ ich, werden wir uns schon hinfristen.“ Aber als schon der Thauwind hohl durch die „Unruh“ und um den „Sauberg“ sauste, streckte das gierige Fieber auch die Frau Goldhahn auf’s Lager. Da ließ sich nicht mehr sparen wie bisher, da mußte der Arzt gerufen, Arznei geholt, ein wärmeres Zimmer gehalten und Das und Jenes geschafft werden. Röschen ließ es an Nichts fehlen, um das Leben der guten Mutter zu retten. Sie rief noch einen Doktor aus der Stadt herbei, als der Ortsmedikus ein bedenkliches Gesicht zeigte, sie bezahlte ihm gleich seine Bemühung, damit er ja wiederkomme und die Mutter recht sorgfältig behandle – darüber ging ihre Baarschaft bis auf den letzten Pfennig fort. Die Mutter überstand zwar glücklich die Krisis, die Kraft des Typhus war gebrochen, aber sie siechte noch lange fort und bedurfte stärkender Mittel, um aufzukommen. Röschen schaffte Rath: sie verkaufte ihre besten Kleider und verwendete

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 407. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_407.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)