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verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Jungen und Alle vereinten sich zu einem spöttischen Lachen.

Ein junger Zögling einer der öffentlichen Schulen hatte in unwilligem Schweigen diesen Gesprächen zugehört, die ihm in’s Herz schnitten; zuletzt unfähig sich zurückzuhalten, wandte er sich gegen den Priester und sagte:

„Ein durch seine Freigebigkeit so bekannter Mann sollte mit mehr Achtung besprochen werden. Was geht es uns an, wie er sich kleidet, oder was er ißt, wenn er einen edlen Gebrauch von seinem Vermögen macht?“

„Bitte, welchen Gebrauch macht er davon?“

„Die Akademie der Wissenschaften hatte einen Platz für eine Bibliothek nöthig und keine Fonds, einen zu miethen. Wer verlieh ihr einen herrlichen Palast? war es nicht Staszic?“

„Oh! ja, weil er so gierig nach Lob ist wie nach Gold.“

„Polen schätzt als seinen Hauptruhm den Mann, welcher die Gesetze der Sternenbewegung entdeckte. Wer war es, der ihm ein Denkmal, würdig seines Ruhmes, errichten ließ – der den Meisel des Canova rief, das Andenken Copernikus' zu ehren?“

„Es war Staszic,“ erwiederte der Priester, „und so ehrt ganz Europa dafür den freigebigen Senator. Aber, mein junger Freund, es ist nicht das Licht der Mittagssonne, welches christliche Liebe beleuchten soll. Wenn Ihr einen Menschen gründlich kennen lernen wollt, so beobachtet den täglichen Lauf seines Privatlebens. Dieser prahlerische Geizhals seufzt in den Büchern, die er veröffentlicht, über das Loos der Bauern, und auf seinen weiten Gütern beschäftigt er fünfhundert unglückliche Sklaven. Geht eines Morgens in sein Haus – da werdet Ihr ein armes Weib treffen, welches mit Thränen zu einem kalten, stolzen Manne fleht, der sie zurückstößt. Dieser Mann ist Staszic – das Weib seine Schwester. Sollte nicht der stolze Schenker von Palästen, der Erbauer prächtiger Statuen sich nicht lieber mit dem Schutze seiner unterdrückten Leibeigenen und mit der Hülfe für seine verlassene Verwandte beschäftigen?“

Der junge Mann begann seine Erwiederung, aber nicht Einer wollte auf ihn hören. Traurig und niedergeschlagen, von einem Manne, der ihm ein wahrer und edelmüthiger Freund gewesen, so sprechen zu hören, ging er in seine bescheidene Wohnung. Am nächsten Morgen begab er sich zu einer frühen Stunde in das Haus seines Wohlthäters. Dort fand er ein Weib weinend und klagend über die Unmenschlichkeit ihres Bruders.

Diese Bestätigung Dessen, was der Priester gesagt hatte, gab dem jungen Manne einen bestimmten Entschluß ein. Es war Staszic, der ihm eine Stelle im Kolleg verschafft und ihn mit den Mitteln versehen hatte, dasselbe fortwährend zu besuchen. Jetzt wollte er seine Gaben zurückweisen – er wollte keine Wohlthaten von einem Manne empfangen, der unbewegt auf seiner eigenen Schwester Thränen blicken konnte.

Der gelehrte Minister hielt beim Eintritte seines Lieblingszöglings in seiner Beschäftigung nicht inne, sondern sagte, indem er zu schreiben fortfuhr, zu ihm:

„Gut, Adolph, was kann ich heute für Euch thun? Braucht Ihr Bücher, so nehmt sie aus meiner Bibliothek; oder Instrumente – sucht sie aus und schickt mir die Rechnung. Sprecht frei zu mir und sagt mir, wenn Ihr etwas nöthig habt.“

„Im Gegentheil, Herr, ich komme, um Euch für Eure bisherige Güte zu danken, und zu sagen, daß ich es in Zukunft ablehnen muß, Eure Geschenke zu empfangen.“

„Ihr seid also reich geworden?“

„Ich bin so arm wie immer.“

„Und Euer Kolleg?“

„Ich muß es verlassen.“

„Unmöglich!“ rief Staszic aus, indem er aufstand und seine durchdringenden Augen auf seinen Besuch heftete – „Ihr seid der am meisten versprechende von allen unsern Schülern – es kann nicht sein!“

Vergebens versuchte der junge Student den Beweggrund seines Benehmens zu verbergen; Staszic bestand darauf ihn zu wissen.

„Ihr wollt mich,“ sagte Adolph, „mit Gunstbezeugungen überhäufen auf Kosten Eurer nothleidenden Familie.“

Der mächtige Minister konnte seine Bewegung nicht verbergen. Seine Augen füllten sich mit Thränen und er drückte des jungen Mannes Hand warm, als er sagte:

„Lieber Junge, nimm stets den Rath in Acht: Urtheile über nichts vor der Zeit! Ehe das Ende des Lebens kommt, kann die reinste Tugend vom Laster besudelt, und die bitterste Verleumdung als unbegründet bewiesen sein. Mein Benehmen ist in Wahrheit ein Räthsel, das ich jetzt nicht lösen kann – es ist das Geheimniß meines Lebens.“

Als er den jungen Mann noch unschlüssig sah, fügte er hinzu:

„Haltet eine Rechnung über das Geld, das ich Euch gebe; betrachtet es als ein Darlehen; und wenn Ihr eines Tages durch Arbeit und Studium Euch selbst reich findet, so zahlt die Schuld durch Erziehung eines armen es verdienenden Studenten. Was mich betrifft, so wartet meinen Tod ab, bevor Ihr über mein Leben urtheilt.“

Fünfzig Jahre hindurch erlaubte Stanislaus Staszic der Bosheit, seine Handlungen anzuschwärzen. Er wußte, daß die Zeit kommen würde, wo ganz Polen würde ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen.

Am 20. Januar 1826 sammelten sich dreißigtausend trauernde Polen um seine Bahre und suchten das Leichentuch zu berühren, als dächten sie, es wäre irgend eine heilige, köstliche Reliquie.

Die russische Armee konnte den Grund der Huldigung nicht begreifen, welche in dieser Weise von dem Volke in Warschau diesem berühmten Manne dargebracht wurde. Sein letztes Testament erklärte vollständig den Grund seines scheinbaren Geizes. Seine ausgedehnten Güter waren in fünfhundert Theile getheilt, deren jeder das Eigenthum eines freien Bauern – seines frühern Leibeigenen werden sollte. Eine Schule sollte nach einem bewundernswerthen Plane und in sehr ausgedehntem Maße für den Unterricht

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verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1853, Seite 402. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_402.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)