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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Gelegenheiten Berlins und dem wetteifernden Fleiße der Schüler, zu geben vermochten.

Wilhelm, um 2 Jahre älter als Alexander, wurde der große Alterthums- und Sprachforscher und Staatsmann, Alexander der größte Naturforscher seiner Zeit. Die weit von einander abliegenden Ziele ihrer Bahnen waren doch kein Hinderniß, daß die Brüder in innigster Bruderliebe eins waren, bis 1835 der Tod Wilhelm’s sie trennte.

Alexander, der Anfangs an Begabung seinem Bruder weit nachzustehen schien, wurde in seinem der lebendigen Natur zugewandten Streben vielleicht durch einen seiner Lehrer bestärkt, dem Verfasser desjenigen Buches, welches Jeder von uns gelesen hat und kaum einer ohne den Drang, etwas von einem Alexander von Humboldt zu werden: des Robinson, Joachim Friedrich Campe.

Die „brennende Begierde in entfernte, von Europäern wenig besuchte Länder zu reisen,“ wie er selbst von sich sagt, hatte er durch die sorgfältigsten Vorbereitungsstudien zu einem berechtigten Drange geläutert und nachdem vielmalige Täuschungen gefaßter und der Ausführung schon ganz nahe gewesenen Reisepläne seine eiserne Beharrlichkeit erprobt hatten, schiffte er sich mit seinem französischen Freunde und Ruhmesgenossen, Aimé Bonpland am 5. Juni 1799 endlich zu Coruña in Spanien ein, um unter dem Schutze eines starken Sturmes aus dem von englischen Schiffen blokirten Hafen zu entkommen.

So schwer war es, daß dieser große Geist sich von Europa, dem Sitze der Gelehrsamkeit, losreißen konnte, um jenseits des Oceans im Schooße der Natur dieser die Weihe geistiger Erkenntniß zu geben.

Zwischen dem 5. Juni 1799 und dem August 1804, wo Humboldt in Bordeaux wieder europäischen Boden betrat, liegt die Einsammlung eines Schatzes, wie nie einer für Wissenschaft und Leben, für Leib, Geist und Herz des Menschen größer gesammelt worden ist.

Wenig Monate fehlen an einem halben Jahrhunderte, während welches Humboldt mit der Verarbeitung dieses Schatzes beschäftigt gewesen ist. Frei von der, den Naturforschern leider so oft eigenen Schwäche, ihre Entdeckungen selbst und allein zu veröffentlichen, und dadurch oft zu verspäten, theilte Humboldt mit vollen Händen seine ungeheuren Vorräthe an Sammlungen und Entwürfen an befähigte Genossen aus, mit deren Hülfe nach und nach eine ganze Literatur erwachsen ist, deren selbst kürzeste Aufzählung an diesem Orte viel zu viel Raum einnehmen würde.

So durchdrang Humboldt’s Geist seit seiner Rückkehr bis heute immer mehr die große Arbeiter-Association der Naturforscher Europa’s und Nordamerika’s. Durch seinen Kosmos hat er das in hundert einzelne Theile zerfallende Riesenwerk seines Lebens in klarem, abgeschlossenem Auszuge zusammengefaßt; hat er gezeigt, was er wollte und worein er die Aufgabe und die Pflicht der Naturforschung gesetzt.

Feiern wir alle, die wir an der wahren, sittlichen und geistigen Entwickelung der Menschen Freude haben, am 14. September in stiller Dankbarkeit Alexander von Humboldt’s 84. Geburtstag. Er hat zu dieser Entwickelung den mächtigsten Anlaß gegeben.

Es wird eine große, heilige Stelle leer sein, wenn er von den Lebendigen geschieden sein wird; aber um sie herum schaart sich immer zahlreicher die freie Verbrüderung derjenigen Naturforscher, welche durch ihn begreifen gelernt haben, daß die Naturwissenschaft nicht das Besitzthum grübelnder Gelehrten ist; daß vielmehr die Naturforscher nur die Verwalter fremden Eigenthums sind. Die Naturwissenschaft, wie alle Wissenschaft, ist Eigenthum der Menschheit. Die Besitzesurkunde hat der Großmeister derselben im Kosmos niedergelegt. Er hat sie bei seinen Lebzeiten dem Volke vererbt; möge er noch lange darüber wachen, daß dem Erben sein Erbtheil nicht verkümmert werde.




Aus der Gewerbswelt.

Mitgetheilt von Friedrich Georg Wieck.
Leben und Weben und der – Druck.

Leben und – Weben, so wie der Mann da in unserem Holzschnitt, ist eine große Kunst: nämlich nicht sowohl letzteres als ersteres. Denn der Mann webt einfachen glatten Kattun, von dem der Dampf mit der Webmaschine in derselben Zeit zehnmal mehr und zugleich besser macht als des Mannes fleißige Hand. Ja! es ist gewiß eine Kunst zu leben bei solchem Weben; und doch weben noch viele Tausende in unserem Vaterlande jenen glatten Kattun und leben noch; freilich so gut wie es nun eben geht. Sollen wir daher nicht die Maschine willkommen heißen, die dem Menschen die mühselige Arbeit abnimmt, bei der er ohnehin nichts mehr verdient und er gezwungen wird, irgend ein anderes Fach zu ergreifen, dessen Betreibung ihn besser lohnt? Denn bei allem mechanischen Fleiß hängt dem Menschen die geistige Trägheit doch stark an, und das alte morsche Werkzeug muß erst ganz zu Grunde gehen, ehe er sich entschließt, das neue bessere in die Hand zu nehmen, weil dessen Behandlung ein bischen Willenskraft und geistige Anstrengung kostet. Es giebt Weber in einigen Gegenden von Deutschland, die auf erbärmlichen Stühlen Kattun weben und nicht die Hälfte des Lohns verdienen, den ihre nicht geschickteren Brüder verdienen, weil diese in verbesserten Stühlen arbeiten. Und dies Mißverhältniß bestand schon vor zehn Jahren und besteht noch heute.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 399. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_399.jpg&oldid=- (Version vom 13.4.2020)