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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

wieder mir fort von Dir! Der liebe Gott hat uns gesegnet, daß die Noth uns nicht gleich wieder hinaustreibt, und wenn auch die Lene nächstes Frühjahr wieder reist, so bleib’ ich doch daheim bis das andere Jahr!“

Das war Balsam für das Mutterherz. „Ach, Du gutes Kind!“ erwiederte Frau Goldhahn, „wie erquickt mich Deine Rede! Daraus erkenne ich, wenn ich’s nicht schon wüßte, daß Du hrav geblieben bist, Dich nicht von dem Schimmer und den Verlockungen der argen Welt hast bethören lassen. Ja, ja, Du hast meine Worte beherzigt, Du hast das Bild Deines guten, seligen Vaters treu, nicht nur auf dem Herzen, sondern auch im Herzen bewahrt.“

Eine hohe Purpurröthe, die bei diesen Worten Röschens Gesicht übergoß, entging den Augen der Mutter nicht, doch schrieb sie dieselbe ihrer Bescheidenheit zu, herzte und küßte die Erglühete auf’s Neue und eilte dann, den – zumal bei solcher Veranlassung – in Breitenbrunn wie aller Orten im Gebirge unvermeidlichen Kaffee zu bereiten. Röschen wollte der Mutter das Geschäft abnehmen, allein da kam sie schön an; sie mußte sich gefallen lassen, aus der „Hölle“ gejagt und auf das Kanapee gewiesen zu werden, damit sie sich von der weiten Reise ausruhe. In der That war Röschen von dieser so ermüdet, daß sie, nachdem sie sich aller überflüssigen Umhüllungen entledigt hatte, so zu sagen auf das Kanapee fiel und bald auf ihm entschlief.

Welch ein rührendes Bild sich jetzt dem Auge eines Beobachters dargeboten hätte! In der Stube umhertrippelnd das geschäftige, freundliche, überglückliche Mütterchen – und auf dem Kanapee die in sanftem Schlummer hingegossene liebliche Gestalt der voll aufgeblühten Jungfrau! Zuweilen warf die Mutter einen glänzenden Blick auf die Ruhende, zuweilen – wie beim Kaffeemahlen – blieb sie gar bei ihr stehen und betrachtete sie mit seligem Entzücken. Darüber vergaß sie zuletzt gar die Röhrenkuchen [1], daß erst ihr Brandgeruch die gute Alte wieder an ihr Werk erinnerte. Endlich war Alles bereit: der Kaffee stand in blanker irdener Kanne, die erst gestern von der Lauterer Topfhändlerin geliefert worden war, auf dem Tische; dazu gesellten sich zwei Steinguttassen, mit großen Blumen bemalt und jede mit einem Sinnspruch beschrieben; ein Salzfäßchen von gleicher Masse, das interimistisch die Stelle der selten gebrauchten Zuckerdose vertrat, vervollständigte das einfache Service. Die Röhrenkuchen lagen aufgeschichtet in der Mitte und ein Näpfchen Butter stand bereit, ihnen den nöthigen haut-gout zu verleihen. Jetzt hätte Frau Goldhahn doch gern gesehen, ihre Schläferin wäre aufgestanden, aber es dauerte sie, sie zu wecken. Sie schlief so süß – wer weiß, ob sie nicht ’was Liebliches träumte! Auf ihrem rosigen Antlitz lag ein so himmlischer Friede, zugleich aber umspielte ihren Mund ein wonniges Lächeln. Die Mutter mußte mitlächeln, als sie das sah, und sie hätte der Schlummernden vor hochaufwallender Mutterlust um den Hals fallen mögen. Aber sie beugte sich nur ganz still nieder auf sie und hauchte einen leisen Kuß aus ihre Stirn. In diesem Augenblicke bewegte Röschen ihre Hand nach der wogenden Brust, preßte sie mit einem Seufzer darauf und ließ sie sanft wieder herabgleiten. Bei dieser Bewegung verschob sich das Tüchlein, das den Busen züchtig verhüllte, und das Auge der Mutter heftete sich auf die entblößte Stelle. Es war jedoch nicht das Gebilde, welches der göttliche Bildner hier geschaffen, es war ein Werk von Menschenhand, das die mütterlichen Blicke fesselte. Da war ja das Bild des Gatten – aber in ganz anderer Fassung als sonst! Der einfache Elfenbeinrahmen war einem kostbaren von Gold und Perlen gewichen – Frau Goldhahn bog sich betroffen nieder, um den reichen Zierrath genau zu betrachten und auch das lange entbehrte Bild des Gatten zu küssen. Aber wie betroffen fuhr sie zurück – das war es ja gar nicht – das war das Konterfei eines wildfremden Mannes!

Vergebens suchte die gute Frau das ihr theure Bild – ein anderes thronte an seiner Stelle. Da zog eine schwere Kummerwolke durch das Gemüth der Matrone, darüber vergaß sie die Schonung gegen den „heiligen“ Schlaf – sie weckte die Tochter und fragte sie heftig: „Wo hast Du mein Bild?“

Die Gefragte fuhr erschrocken empor, erröthete, stammelte und sank der zürnenden Mutter schluchzend an die Brust.

„Herzliebe Mutter!“ flehete sie, „sei mir nicht böse – ich will Dir jetzt Alles erzählen.“

Frau Goldhahn konnte ihrem Herzenskinde nicht wahrhaft zürnen, und im Tone von Röschens Bitte lag eine so rührende Gewalt, in ihrem Antlitz ein solcher Zauber der Unschuld, daß jene, schnell besänftigt, sie bei der Hand nahm, zum Tische führte und zum Essen und Trinken nöthigte; dann erst forderte sie die Heimgekehrte auf, ihre Erzählung zu beginnen.

„Wir waren“ – lautete dieselbe – „schon viele Meilen weit gereist, hatten in Leipzig, Magdeburg, Braunschweig, Hannover und der großen Stadt Hamburg gespielt und gute Geschäfte gemacht, als wir uns in Folge einer Verschreibung nach Dobberan begaben. Das ist ein kleiner Ort an der großen See mit einem Seebade. Da ging unsere goldene Zeit an. Wir wurden von dem Wirthe, der uns für die Badezeit verschrieben hatte, mit offenen Armen aufgenommen, in seinem großen Hotel prächtig einquartirt, auch fortwährend gut bewirthet und behandelt. Das dankten wir aber dem guten Rufe, worin die Schmidt-Lene wegen ihres Verhaltens allerwege steht; denn das ist ganz anders, wie das der meisten „Schallerinnen,“ die mitunter so frei sind – so – ich kann gar nicht sagen wie. O Mutterle – wenn ich mit solchen ziehen sollte, so wollt’ ich lieber daheim halb verhungern, als draußen in Saus und Braus leben. Also in Dobberan waren wir und bei unserm Herrn Gastgeber gut aufgehoben. Da mußten wir alle Mittage und Abende für die Gäste spielen, wofür er uns ein Gewisses gab, doch hatte er nichts dawider, wenn Musikfreunde uns ein


  1. Nächst der „Rauchen Mahd“ und dem „Röhrenkloß“ ein Lieblingsgebäck des Erzgebirgers. Sämmtliche Gebäcke bestehen aus gekocht geriebenen Kartoffeln, wenig Mehl und Salz, wozu bei letzteren beiden etwas Leinöl oder Butter kommt, da sie in der Pfanne gebacken werden.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 395. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_395.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)