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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

so selige Stunden erlebt. Wer mochte heute meine Stelle dort einnehmen?

„Ich nahm mein Glas hervor und blickte genauer hin. Sah ich denn recht? Da saß ja Piat – und neben ihm eine Dame, mit der er sich eifrig unterhielt. O! Fluch über diesen Wankelmuth der Männer! Also auch er war nicht anders als sie alle; heute gefiel ihm die Eine, morgen die Andere. Aber unmöglich! – Seine Worte, die Wahrheit, die aus seinen Mienen sprach. – Ich lehnte mich weit vor, er sollte mich sehen, vielleicht kam er dann zu uns herüber. Aber er sah mich und – dennoch kam er nicht. Trostlos vergrub ich mich nun in den Schatten unserer Loge und Kopfweh vorschützend, nahm ich an nichts mehr Theil.

„Als wir endlich aufbrachen und ich mit weinenden Augen in den Wagen schlüpfen wollte, fühlte ich ein Papier in meine Hand gedrückt; woher es kam, konnte ich in dem Gedränge nicht unterscheiden. So wie ich nach Hause kam und mein Zimmer erreichte, entfaltete ich das Blättchen und fand mit Bleistift darauf geschrieben:

„Wo einmal Du vertrauest,
Da traue ohne Wanken.“ J. P.

„Das war von ihm, kein Zweifel! – Weinend sank ich auf meine Kniee und drückte schluchzend das Haupt in die Kissen, um endlich dem lange zurückgehaltenen Strom der Empfindung Luft zu gönnen. So war er doch noch derselbe! So hatte er mich nicht absichtsvoll täuschen wollen. – Warum aber war er ausgeblieben? – Warum sandte er mir nicht ein Wort der Erklärung? – Unter Zweifeln und Bangen, Hoffnung und Mißtrauen schwand die Nacht, und die Stunde der Abreise war da, ehe ich noch das Auge geschlossen.

„Nie war ich so ungerne von London geschieden, als eben heute! Er blieb ja dort. Nur ein Tag noch, und ich durfte hoffen, ihn zu sehen, ein Wort von ihm zu hören, das mich beruhigte; aber mit diesem Zweifel im Herzen zu scheiden, das war fürchterlich! –

„Wir kamen in Lisdof an. Der Kreislauf der gewohnten Tage begann, aber meine Gedanken waren ferne von meinen Beschäftigungen. Mechanisch verrichtete ich was mir oblag; aber Theilnahme und Interesse konnte mir nichts mehr abgewinnen. Ich legte schwarze Kleider an und trauerte, wie um einen Todten, um mein verlorenes Ideal. Die Menschen glaubten, es sei mir ein lieber Verwandter gestorben, und ließen mich gehen; was ich betrauerte, war leider mehr als todt für mich.

„Hier ist Ihnen nun das Räthsel meines langen Schweigens gelöst. Lassen wir die Sache hiermit aber beendet sein; jede Andeutung würde mir Schmerz machen, und der Rath und Trost, den Ihre Güte mir spenden möchte, könnte mir nur wehe thun. Also – sprechen wir nie mehr davon.

„Und nun leben Sie wohl, theure Anna, und schließen Sie mich in Ihr Gebet ein. – Daß ich heute nicht aufgelegt bin, zu gleichgültigen Dingen überzugehen, sondern hier schließe, werden Sie verzeihlich finden.

Ihre Susanne.“ 




Der Winter nahte seinem Ende. Schon schmückte das erste zarte Grün die fruchtbaren Gefilde des feuchten Bodens, da rollte der Wagen Lady Hexter’s, mit ihren schönen stolzen Rappen bespannt, rasch der Hauptstadt zu. Ein bleiches Mädchenantlitz, von einem schwarzen Krepphute überschattet, schaute zu einem der Wagenfenster hinaus. Es war Susanne, die heute zum ersten Male die Hauptstadt Irlands begrüßte, und mit achtsamem Blicke die Umgebung des reizend gelegenen Ortes musterte.

Lady Hexter wollte sich von der Langeweile ihres Landaufenthaltes erholen, willkommen war ihr daher die Nachricht, daß gerade heute ein ausgezeichnetes Concert stattfinde, in welchem der berühmte Sänger Peretti sich hören lasse. Billete zu den besten Sitzen wurden schnell noch bestellt und erhalten. Um acht Uhr fuhr der Wagen vor und als eben das erste Stück zu Ende war, trat Lady Hexter in Begleitung Susanne’s in den Saal, den bereits eine glänzende Gesellschaft füllte.

Kaum hatte man sich gesetzt, so drängte sich ein Kreis von Herren heran, um Lady Hexter zu begrüßen. So leise diese sich auch nahten, so wirkte deren Begrüßung dennoch störend, besonders für Susanna, die der Musik mit ganzer Seele zugethan war und sich ungern einen Ton entgehen ließ. – Die Concerte in England sind sehr lang. Das Publikum sieht immer noch zu sehr auf die Quantitat, ohne Einsicht der Unmöglichkeit, sein Ohr so viele Stunden lang ohne Anstrengung leihen zu können; und ein Concert soll ein Vergnügen und keine Arbeit sein. Die lange Pause, die die Hälfte der Stücke theilt, wird daher zu einer nothwendigen Wohlthat, ohne die man unfähig wäre, über die letzten Stunden hinauszukommen. – Eben war nun dieselbe eingetreten, und ein großer Theil des Auditoriums hatte sich entfernt, um Athem zu schöpfen, der Saal war daher vergleichsmäßig leer geworden und ein freier Blick über die Versammlung vergönnt. Susanna hatte ihr Auge träumerisch hier und dorthin gleiten lassen, ohne daß ein besonderes Interesse es irgendwo fesselte. Jetzt plötzlich färbte Purpurgluth ihre Wangen und ihre ganze Gestalt verlängerte sich. Was mochte ihr aufgefallen sein?

Wir folgen ihrem Blicke und bemerken hart an der Thüre, die in das Gemach führt, in welchem die Sänger sich aufhalten, einen bleichen jungen Mann gegen einen Pfeiler gelehnt, dessen Auge jetzt eben ihrem überraschten Blicke begegnet. Auch seine Wangen färbt jetzt Purpurgluth, er streicht sich das blonde Haar aus der hohen Stirne, steht einen Augenblick wie unschlüssig und tritt dann rasch vor. Susanne folgt seinen Bewegungen mit verhaltenem Athem. Ihr Sitz läßt einen freien Zugang zu; er steht jetzt neben ihr und bietet ihr seine Hand. Wer schildert das Glück dieser Minute? – Der Kummer eines ganzen Jahres, jeder Vorwurf, jedes Mißtrauen war mit einem Blicke dahin. „Susanne!“ sagte er mit einem Tone, der tief in ihre Seele drang, „Susanne, Sie haben mich nicht vergessen?“

Sie zitterte. „Was brachte Sie hierher?“ fragte sie bewegt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 385. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_385.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)