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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Die Astronomen haben mehrere Muthmaßungen aufgestellt, wodurch sie diesen periodischen Lichtwechsel zu erklären suchen. Sie sagen: die veränderlichen Sterne sind wahrscheinlich Sonnen, die sich wie die unsre um ihre Axen drehen und ähnliche Flecken in ihrer Lichthülle zeigen. Kehren sie uns die fleckenlose Seite zu, müssen sie natürlich glänzender erscheinen; und lichtärmer, sobald die dunklere Seite hervortritt.[1] Alsdann nimmt man dunkle Körper an, die nach Art unserer Planeten sich um jene Sonnen bewegen und sobald sie zwischen unser Auge und den Centralkörper treten, denselben zeitweilig verfinstern. Eine dritte Ansicht geht dahin, daß jene periodischen, lichtwechselnden Sterne keine Kugel-, sondern Linsengestalt hätten und darum uns bei ihrer Axendrehung bald die volle, bald die schmälere Seite zukehrten. Diese Meinung gilt jedoch für sehr gewagt.

Eine noch wunderbarere Erscheinung aber als selbst die periodisch veränderlichen Sterne bieten die sogen. neuen Sterne dar. Obschon nur selten, – von 1500 bis 1800 sind nur acht beobachtet worden – leuchten urplötzlich große, zeither unbekannte Sterne auf, die eine Zeitlang prachtvoll strahlen, in der Regel einem Farbenwechsel unterworfen sind, nach einiger Zeit schwach und schwächer werden, bis sie den Augen entschwinden. Der merkwürdigste dieser Sterne erschien im Jahre 1572. Der große Astronom Tycho de Brahe kehrte eines Abends von seinem chemischen Laboratorium heim. Plötzlich gewahrt er zu seinem nicht geringen Erstaunen einen zeither völlig unbekannten großen, herrlichen Stern im Bilde der Cassiopeja. Sein Glanz kam dem der Venus in ihrem stärksten Lichte gleich, so daß scharfe Augen ihn selbst am Tage erkannten. Tycho de Brahe, als er diesen Stern zuerst erblickte, glaubte seinen eigenen Augen nicht zu trauen. Er rief einige Leute herbei. Alle sahen den Stern. Derselbe nahm bereits im selben Jahre von seinem Lichtglanze ab, bis er nach siebzehn Monaten völlig unsichtbar wurde. Er unterlag während seines Erscheinens dem merkwürdigsten Farbenwechsel. Im Anfang strahlte er in silberweißem Lichte, ging dann durch das Gelbliche ins Rothe über und nahm vor seinem Verschwinden wieder eine schwache Silberfarbe an. Man hielt ihn daher früher für eine in Flammen auflodernde Welt. Später hat eine freundlichere Ansicht Platz gewonnen. Es ist nämlich nicht ganz unwahrscheinlich, daß dieser Stern in gewissen periodischen Zeitläufen schon früher da gewesen. Man hat sogar eine Periode von dreihundert Jahren ausfindig gemacht. Demnach müßte er noch im Laufe dieses Jahrhunderts wiederkehren und würde alsdann den veränderlichen Sternen von längerer Periode beizuzählen sein. Eine höchst merkwürdige und noch nicht erklärte Erscheinung bei den neuen Sternen ist ihr urplötzliches Aufflammen und zwar im höchsten Glanze, während die Lichtabmahme nur nach und nach stattfindet.

Alle Weltkörper, die wir am Himmel erblicken, Sonne, Mond, Fixsterne, Planeten und Kometen, stehen in der Wirklichkeit nicht an dem Orte, an welchem wir sie sehen, sondern stets etwas tiefer. Nur diejenigen Sterne, die grade über uns, im Scheitelpunkte leuchten, erscheinen fast an dem Punkte, den sie im Weltraume wirklich einnehmen. Diese Erscheinung erklärt sich folgendermaßen. Unsere Erdkugel ist bekanntlich mit einer Lufthülle, die wir Atmosphäre nennen, umgeben. Die Lufthülle besteht aber aus zahlreichen Luftschichten von abnehmender Dichtigkeit; je weiter sie sich von der Erde entfernen, desto dünner werden diese Schichten. Nun denke man sich einen Stern, der Millionen Meilen draußen im Weltall steht, also weit erhaben über unserer Lufthülle, die ungefähr zu sechs Meilen Höhe angenommen wird; er sendet den Lichtstrahl nach unserer Erde. Dieser Lichtstrahl, sobald er auf die äußerste Luftschicht trifft, wird nach einem bekannten physikalischen Gesetze gebrochen; ebenso wie das Licht eines Stabes gebrochen wird, den man in eine klare Wasserfläche hält. Bei der nächsten Luftschicht erfolgt eine abermalige Brechung und so durch all die verschiedenen Schichten, daß der Lichtstrahl, ehe er unser Auge trifft und Kunde von der fernen Welt giebt, in den unterschiedlichen Luftschichten eine gekrümmte Linie beschreibt. Wir sehen nun natürlich den Stern in derjenigen Richtung, welche sein Lichtstrahl in der uns zunächstgelegenen Luftschicht genommen hat. Fällt der Strahl jedoch senkrecht auf unser Haupt und Auge herab, dann kann er sich nicht brechen und darum erblicken wir die Sterne im Zenith fast in ihrer natürlichen Stellung. Die Abweichung des scheinbaren Standpunktes von dem wahren nimmt ab, je mehr sich der Stern dem Horizonte nähert und sie erreicht unmittelbar am Horizonte ihre größte Ausdehnung, wo sie einen halben Grad oder eine Vollmondsbreite beträgt. Befinden wir uns also auf dem Meer oder in einer Ebene, wo der Horizont weder durch Berg noch Wald verdeckt ist und der Mond oder die Sonne stehen mit dem untersten Stande ihrer Scheibe grade auf der Horizontlinie, so sind beide Himmelskörper in der Wirklichkeit noch nicht aufgegangen. Sie würden sofort verschwinden, wenn eine allmächtige Hand urplötzlich die Lufthülle oder Atmosphäre hinwegziehen wollte; denn eben der Strahlenbrechung in dieser Lufthülle verdanken wir es, daß wir die himmlischen Lichter beim Aufgange ein paar Minuten früher erblicken und beim Untergange länger genießen. Für die Bewohner der Polargegenden ist diese Strahlenbrechung von wesentlichem Nutzen. Da bei ihnen die Sonne sich geraume Zeit am Horizonte entlang bewegt, so bekommen jene Völkerschaften das Sonnenlicht wochenlang früher zu Gesicht, ehe die Sonne in Wirklichkeit über ihrem Horizonte steht, und genießen es wochenlang noch, wenn die Sonne in Wirklichkeit schon untergegangen ist, durch welche wohlthätige Einrichtung der Natur die lange Polarnacht wesentlich verkürzt wird. – Die Berechnung des wahren Standes der Sterne bei den mannigfachen Strahlenbrechungen in den verschiedenen Luftschichten gehört aber zu einer der schwierigsten Aufgaben der Astronomie.

  1. Auch die eben besprochene nicht periodische Ab- und Zunahme des Sternenlichts will man durch Anhäufung oder Verminderung von dunkeln Stellen – ähnlich unsern Sonnenflecken – in der Lichtatmosphäre jener Welten erklären.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 380. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_380.jpg&oldid=- (Version vom 13.4.2020)