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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

„Wachend allenfalls, denn ich sprach ihn wirklich aus, Herr Piat.“

„Sie kannten mich also nicht und kannten mich doch?“ sagte er verwundert.

„Verzeihen Sie! Ich kannte Sie nicht, ich nannte Sie nur. Aber – um Ihrer Neugierde keine härtere Probe aufzuerlegen – Madame Carlotts hatte mit mir von Ihnen gesprochen und daß Sie diese Loge mitunter besuchten. Auch war sie es, die mir diesen Platz überließ.“

„Ach! Nun verstehe ich!“

„Wie sich das ganze wunderbare Räthsel in einfache Prosa auflöst. So geht es leider oft im Leben!“

„Leider!“ wiederholte er seufzend.

„Und doch will man den Augenblick nicht festhalten, will alle Räthsel gelöst sehen.“

„Nicht ich. Das trifft bei mir nicht zu.“

Nicht?“ fragte die Dame gezogen mit einem schalkhaften Lächeln.

„Nicht im Allgemeinen; wirklich nicht. Ich bin ein Kind des Augenblicks, und freue mich des Scheines der Dinge, ohne ihrem Warum nachzuforschen. Ich bin kein praktischer Mensch, ich lebe in der Welt meinen Ideen und verlange von der Erde nichts als eine Seele, mich zu lieben.“

„Und hat die Erde Ihren Wunsch gewährt?“

„Noch nicht, aber sie wird es, ich zweifle daran nicht,“ sagte er und sah ihr tief in das Auge. Sie senkte erröthend den Blick und wandte ihn dann der Bühne zu, wo eben der zweite Act begonnen hatte. Die Cruvelli sang und spielte heute zu hinreißend, um nicht zu fesseln, und der Schluß dieses Actes fand das ganze Haus in Bewegung, Sträuße flogen von allen Seiten und nur eine Stimme des Beifalls war hörbar. Auch Julius Piat hatte sein Bravo ertönen lassen und seine Hände dem allgemeinen Sturme geliehen. Als jetzt eine Stille eintrat, bemerkte seine Nachbarin:

„Wunderbar! Wie dieses Mädchen einen Conflict von Leidenschaften darstellen kann, von denen ihr junges Leben keine Ahnung hat.“

„Keine Erfahrung, meinen Sie; denn darin liegt ja eben die Macht des Genies, daß es sich in alle Zustände zu versetzen weiß, bis es davon, wie von der Macht der Wirklichkeit, ergriffen wird. Der Dichter, der Künstler sind groß durch dieses Intuitive ihrer Natur. Nur wer nicht aus sich heraus kann, ist zum Geschäftsmanne tauglich, dem die Wahrheit einseitig vorliegen muß, der nur den eng vorgezeichneten Pfad verfolgen kann.“

„Und welcher Laufbahn haben Sie sich bestimmt, wenn ich so fragen darf?“

„Keiner. Ich tauge für Beide nicht. Mir fehlt die Form für die Erste und die Neigung für die Zweite. Ich kann mich freuen am Schönen, aber ich kann es nicht hervorbringen.“

„Glücklich für Sie, daß Sie nur genießen dürfen, daß kein „muß“ Sie zwingt, selbst schaffen und leisten zu sollen.“

„Meinen Sie mit dem muß die leere Börse, so möchte dieser Mahner wohl öfter vor der Thüre stehen, als mir lieb ist; aber ich leihe ihm ein taubes Ohr und lebe unbeirrt fort. Geht es dann in Europa nicht länger, so bieten mir die Wälder Amerika’s immer noch Freiheit, Luft und – Einsamkeit.“

„So glauben Sie wirklich, Sie könnten Europa eines Tages ein Lebewohl sagen und auf Alles verzichten, was Ihnen die Kunst bietet?“

„Gewiß! – nur nicht allein. Wie die Pflanze die Sonne erstrebt, so bedarf ich der Liebe. Finde ich das Wesen, das die Natur mich zu ergänzen geschaffen, dann wird die Natur der Tempel, wo ich opfere.“

„Aber ein großer Entschluß für ein Mädchen, in eine so fremde, ferne Welt hinaus zu ziehen.“

„Es ist ein Prüfstein ihrer echten Liebe. Gilt ihr auf dieser Welt noch etwas höher, als der Mann ihrer Wahl, dann taugt sie mir nicht, dann sind wir nicht für einander geschaffen, und unsere Liebe war eine Täuschung der Sinne. Würden alle Verbindungen unter diesen Bedingungen geschlossen, so wäre es wirklich wie im Himmel geschehen, und das tiefsinnige Sprichwort hätte seine rechte Bedeutung gefunden.“

„Sie scheinen der Meinung, daß die Natur für jeden Mann eine Frau geschaffen, und daß diese herauszufinden seine Aufgabe sei.“

„Allerdings! Und wie könnte es anders sein? – Nur das Gleiche sucht das Gleiche und gesellt sich zu einander.“

„Woran aber das Gleiche erkennen?“

„An der innern Beziehung. An dem Verstehen auch ohne Worte.“

„Und wenn man sich irrt?“

„Man irrt sich nicht, wenn man sich nicht irren will. Der Irrtum, wo er begangen wird, entsteht durch die befangenen Sinne; und sollen diese für uns über ein ganzes Leben entscheiden? – Der Mensch hat, indem er dies geschehen ließ, eine große Verantwortung, der Menschheit gegenüber, auf sich geladen. Die Folgen sind unberechnenbar.“ –

„Ich habe diese Theorie nie aufstellen hören.“

„Und findet dieselbe in Ihrer Brust ein Echo, das ein Amen dazu ruft?“

„Ich glaube ja.“

„Dann verstehen wir uns.“

Die junge Dame wurde verlegen und fächelte sich Kühlung zu. „Sehen Sie die unvergleichliche Stellung der Cruvelli! Wir haben uns Beide den Vorwurf zu machen, nicht achtsam genug auf das uns Nächstliegende gewesen zu sein. Wir kamen die Oper zu sehen, und verplaudern die Vorstellung.“

„Sie haben sich in diesem Augenblicke noch einen andern Vorwurf zu machen, der härter trifft.“

„Und welcher wäre das?“ fragt sie überrascht durch den Ernst seines Ausdruckes.

„Sie sind nicht wahr gewesen.“

„Wie meinen Sie das?“

„Sie wissen es. Sie wissen, daß unser Gespräch Sie näher anging, als die Vorstellung der Cruvelli. Sie konnten sich und mich nicht täuschen wollen.“

Sie errötete tief. –

„Sie sind mir so fremd, Herr Piat, daß die Wendung, die unsere Unterhaltung nahm, mich in Verlegenheit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 375. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_375.jpg&oldid=- (Version vom 4.7.2018)