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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

seiner Sprechstimme um Vieles den besänftigenden Eindruck seines Wortes. Derselbe war in seiner Milde nicht nur ganz das Echo der Milde seiner Seele, sondern erhielt auch noch etwas Trauliches mehr durch einigen Anklang an den voigtländisch-baierischen Dialekt, wie z. B. Mound für Mond. War man, wie ich, nur Haus- und Tischgenoß, so fühlte man sich um so leichter bei ihm einheimisch, als er nie in seiner Lebensweise sich wesentlich von der frugalen und einfachen Gewohnheit seiner dürftigen Jugendjahre entfernte. Er aß nur die gewöhnlichste landübliche Hausmannskost, und was namentlich sein vorgebliches ungebührliches Weintrinken betrifft, so war das zu seiner Zeit eine der unverständigsten Verleumdungen, die je über einen bedeutenden Mann verbreitet worden sind.

Die anspruchslose Einfachheit aber, mit welcher Jean Paul in den schönen und in seinem „Siebenkäs“ für alle Zeiten verherrlichten Umgebungen von Baireuth umher wandelte, rief selbst der bekannte Nachfolger Hegels, der damalige Rector Gabler, der mit mir an dem offnen, von Fackeln umgebenen Grabe des Dichters stand, den Anwesenden in die Erinnerung zurück, hindeutend auf den Blumenstrauß im Knopfloch des schlichten Hausrockes, auf die Jagdtasche mit Manuscripten, mit Büchern, dem Schreibzeug und einigem Mundvorrath, während Ponto, sein weißer Pudel, sein beständiger Gefährte in dem Hause, wo er die Aufmerksamkeit seines Herrn mit dessen Laubfröschen und Canarienvögeln theilte, so wie außer demselben freudig vor ihm hersprang.

So zog namentlich an dem ersten schönen Frühlingstage Jean Paul zu jener, auch in weitern Kreisen schon bekannten Frau Rollwenzel, einer sehr schlauen Bauerfrau, die gar bald inne geworden, welchen Vortheil sie, gegenüber den nach Baireuth kommenden Fremden, von dem Umstande ziehen konnte, daß „der Herr Legationsrath – bekanntlich ein vom Herzog von Hildburghausen dem Dichter gegebener Titel – in ihrem, am Ende der nach der Eremitage führenden Allee gelegenen Schankhause ein Stübchen gemiethet, wo er den Rücken des geliebten Fichtelgebirges und den Colm bei Neustadt, wo sein frommer Großvater gestorben, ganz vor Augen hatte und wohin er arbeiten ging. Freilich unterhielt er sich oft und gern mit der dicken, untersetzten und sehr rothbäckigen Wirthin, die oft, nach der Weise der dortigen Gebirgsbewohner, allerlei originelle und komische Bemerkungen im Landesdialect machte. Indeß war es aber die Landleuten oft sehr eigenthümliche Schlauheit bei ihr, wenn sie dem Fremden zu verstehen geben mochte, daß Jean Paul so oft ihrer Person wegen dort seinen Arbeitstisch aufgeschlagen. Es war nur der Anblick auf das Gebirge, den er am Besten aus dem Stübchen in ihrem Hause gewann, der ihn dazu vermochte; und hier bietet sich denn die natürliche Gelegenheit, an einem von mir selbst erlebten, von mir herbeigeführten, ja für meine ganze Lebensrichtung entscheidend gewesenen Vorfall darzulegen, welcher Naturanbeter Jean Paul war und welche magische Wirkung die bloße Wortbeschreibung großartiger, von Andern empfundener Natureindrücke auf ihn machen konnte.

Es war Ende Juni 1825, als ich, von einer in die Schweiz gemachten Fußreise zurückkommend, wieder vor den so geliebten Bergen und Hügeln, dem Schneeberge im Fichtelgebirge und dem Sophienberge vor Baireuth stand. Wie immer bei meinem Erscheinen bei ihm, sammelte ich mich eine Zeitlang vor der Stadt, ehe ich hinein und auf sein Haus zuging, zumal diesmal, wo ich ihn kaum vor fünf Wochen auf meinem Hingange nach der Schweiz erst gesehen. So ließ ich die erhabendsten der eben erst erblickten Naturbilder vor meiner Seele vorübergehen. Zwei derselben hatten einen besonders tiefen Eindruck in mir hinterlassen. Als ich nämlich von einer vorspringenden Anhöhe im Badischen die Alpenkette in der Ferne zum erstenmale und dieselbe wie mit den Wolken zusammenfallend gesehen, hatte ein fast physischer Schmerz meine Brust auseinandergerissen, als ob das plötzlich auf sie eindringende Riesenbild mit Gewalt sich darin erst Platz machen müsse. Den andern Hauptaugenblick meiner Alpenfahrt hatte mir die Rigikuppe gewährt, wo ich die Nacht geblieben war, um dem Sonnenaufgang dort beizuwohnen. Ich ward dabei auf das Schönste begünstigt. Während nämlich die bereits aufgehende Sonne die Spitzen der Gletscher noch vergoldete, hatte der Mond noch am Himmel geweilt und sich im Vierwaldstättersee wiedergespiegelt. Der Eindruck dieser großartigen Scene war so überwältigend gewesen, daß ich ihm fast erlegen und mich in das Rigihäuschen hatte zurückziehen müssen.

Die Seele erfüllt von solchen Bildern, war ich Abends in die Familienstube eingetreten, fand dort Jean Paul, von den Seinigen umgeben, auf dem Sopha sitzen, und fuhr erschreckt von seinem Anblick zurück. Während meiner fünfwöchentlichen Abwesenheit war eine erschütternde Veränderung mit ihm vorgegangen. Ohne daß man es noch muthmaßte, hatte die allmälige Auflösung seiner Kräfte, die vier Monate später schon vollendet sein sollte, ihre Verheerung bereits begonnen. – Er war erstaunlich abgemagert und sein Auge bereits so verloschen, daß er sich vorlesen lassen und seine Briefe diktiren mußte, dieselben nur noch mühsam mit seinem Namen unterzeichnend. Doch bei der lebhaften, enthusiastischen Rede, mit der ich Alles von ihm ausströmen ließ, was ich in der Seele trug, bei den erhabenen Naturbildern, die ich bei ihm vorüberführte, richtete er sich, wie wundersam gestärkt, immer mehr empor, er, der nie die so heiß ersehnten Alpen und die italischen Seen seines Albano zu sehen vermocht, er so vorzugsweise der Verherrlicher des Frühlings! Kaum hatte ich so eine halbe Stunde unter den Seinen gesessen, als er plötzlich Punsch verlangte. Lautes Jubelgeschrei seiner Kinder ertönte bei diesem Verlangen. Dasselbe war immer das Anzeichen höchster Herzensbefriedigung gewesen, und es war so lange her, daß er ein solches Verlangen nicht geäußert!

Und von diesem Abende an beschloß Jean Paul, mich für die Dauer seines Lebens an seiner Seite zu haben. Nachdem ich noch ihm seine damaligen Bedenklichkeiten bei einer ihm angetragenen Herausgabe seiner sämmtlichen Werke beseitigt und ihn dazu ermuthigt, erhielt ich, nach Dresden zurückgereist, sehr bald von

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 370. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_370.jpg&oldid=- (Version vom 19.9.2016)