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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

No. 33. 1853.
Die Gartenlaube.


Familien-Blatt. – Verantwortlicher Redakteur Ferdinand Stolle.


Wöchentlich ein ganzer Bogen mit Illustrationen.
Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 10 Ngr. zu beziehen.


Schuld um Schuld.

Geschichte aus der neuesten Zeit.
III.

Vier Wochen später knieete Ludolf am Grabe seines Vaters. Auf einem einfachen idyllischen Dorfkirchhofe war ein einsames Grab an der Mauer, das die Reste eines unbekannten Mannes umschloß, der vor ein paar Wochen im verwesten Zustand aus dem vorüberfließenden Fluß gezogen worden, wo die Leiche wahrscheinlich lange unbemerkt im dichten Weidig hängen geblieben war, bis vorüberfahrende Schiffer sie zufällig fanden und an’s Land warfen. Die gerichtsärztliche Obduction konnte nur angeben, daß der Mann ertrunken sei und etwa drei Wochen könne im Wasser gelegen haben. An dem kleinen Finger steckte noch der Trauring – an ihm erkannte man später, daß die Leiche die des Commissionsraths von Buchau sei. Wie die Seinen sich erinnerten, war der Ring ihm festgewachsen, und so hatte er ihn auch an jenem verhängnißvollen Morgen nicht abgebracht. Der Fluß floß an der Stadt vorbei, die er bewohnte – auf dem Gerichtsweg erwies sich das Uebrige. In dem Dorfe, wo der Körper angeschwommen, hatte man ihn so schnell als möglich begraben. Als Ludolf erfahren, wo das Grab seines Vaters sei, eilte er dahin, einmal um den Todtengräber zu veranlassen, ihm ein freundliches Ansehen zu geben und dann, um dort vielleicht die Ruhe zu finden, die ihn bisher geflohen – er wußte, daß er nicht anders hatte handeln können und dürfen, als er gethan, aber zuweilen klagte er sich doch an, Schuld zu sein an diesem Ende seines Vaters, dem Unglück seiner Familie. –

Er war gegen Abend in das Dorf gekommen, und um sich in seinem Schmerz nicht stören zu lassen von den neugierigen Dorfbewohnern, war er erst in der Dämmerung zu der Stelle gegangen, die er hier aufsuchen wollte. Er hatte stundenlang auf dem frischen Hügel gesessen und mit seinen Empfindungen gerungen. Die Nacht blieb er in der Schenke, da das Dorf ziemlich weit von seinem Wohnort entfernt lag, und wollte am andern Morgen wieder zurückgehen. Als er da noch einmal zu dem Grabe kam, sah er eine schlanke Mädchengestalt daran beschäftigt, es mit Blumen zu

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 355. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_355.jpg&oldid=- (Version vom 13.4.2020)