Seite:Die Gartenlaube (1853) 346.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

selbst keinen Gegenbefehl mehr geben, ohne daß diese außerordentliche Maßregel auffiele. Die Revision wird also stattfinden und der Defect entdeckt werden.“

„Dies ist natürlich,“ sagte Ludolf; „ich bin auf das Zuchthaus vorbereitet und ziehe es einer Heirath mit einer – Giftmischerin vor; ich ziehe die Schande, für einen Dieb zu gelten, der Verspottung vor, mich an ein verächtliches Weib zu verkaufen – ich nehme in’s Zuchthaus ein reines Gewissen mit, während mich an den Traualtar ein beflecktes begleiten würde.“

In kaltem Tone antwortete der Vater: „das heißt, Du wählst statt eines erfolgreichen, aber gewöhnlichen Rettungsmittels eine ungewöhnliche Handlung, die nur ein unnützes Opfer ist. Die Verantwortung für die Kasse habe ich – ich muß dafür haften – selbst wenn keine Spur einer Mitschuld mich träfe, muß ich doch für ihren Inhalt stehen. Und ob der Vater oder der Sohn die That gethan, das ist auch gleich – die Schande bleibt auf der Familie.“

„Es ist doch ein Unterschied. Du behältst Deine Stellung und die allgemein Achtung – der ungerathene Sohn wird ein Weilchen besprochen und dann vergessen,“ entgegnete Ludolf; „ich hoffe aber, daß wenn ich noch vor der Entdeckung bei dem Minister mein Geständniß mache – wenn ich mich noch heute verhaften lasse, nicht die ganze Wahrheit ins Publikum dringen wird, daß er vielleicht aus Rücksicht für Dich mir ein anderes, vielleicht ein politisches Verbrechen unterschiebt für die Oeffentlichkeit, – daß er die Kassenrevision natürlich stattfinden läßt, aber die Revisoren bereits vorher von dem Geschehenen unterrichtet, und daß sie dem Vater nicht die Schuld des Sohnes entgelten lassen.“

Der Vater versank in Nachdenken. Noch einmal versuchte er den Sohn zu der projektirten Heirath zu bewegen – es war vergeblich. Er nannte das von dem Sohn angebotene Opfer ein solches, das er nicht annehmen könne. Aber Ludolf fuhr fort, dafür zu sprechen. Er sagte, daß ein Leben mit Meta jedenfalls eine tägliche Hölle für’s Leben sei, daß er einige Jahre Zuchthaus leichter überstehe, dann könne er nach Amerika gehen und dort ein neues Leben beginnen, noch glücklich werden. Der Vater war überwunden, aber er bestimmte den Sohn, erst morgen früh zwischen sieben und acht Uhr zum Minister zu gehen, der ohnehin diesen Abend nicht zu sprechen sein würde. Er sagte auch: er wolle keine übereilte That von dem Sohne annehmen, sondern nur ein wohlüberlegtes, freiwilliges Opfer. Er umarmte ihn mit Thränen der Rührung und Scham und wollte ihn erst am nächsten Morgen wiedersehen.

Der Commissionsrath war entschlossen, das Opfer seines Sohnes anzunehmen, da er von ihm schied. Aber in der stillen Nacht ward sein Gewissen rege – er konnte keine Ruhe finden, und als der Morgen graute, kleidete er sich an und verließ das Haus. Niemand bemerkte es, nur die Tochter, deren Schlafzimmer der Vorhausthür am nächsten lag, hörte dieselbe leise auf- und zuschließen und Männertritte hinausgehen. Sie glaubte, es sei ihr Bruder, der einen Morgenspaziergang vorhabe, und wunderte sich darüber, aber ohne sich zu beunruhigen.

Gegen sieben Uhr erschien Ludolf im Zimmer seines Vaters, er fand ihn nicht darin, weder in seinem Schlaf- noch im Familienzimmer. Die Tochter sagte nun, was sie vorhin gehört – in furchtbarer Angst eilte Ludolf noch einmal in des Vaters Zimmer und warf einen Blick auf seinen Schreibtisch. Ein Brief lag darauf mit der Aufschrift: „An Ludolf.“ Er riß das Siegel auf – nur wenig Zeilen standen darin: „Geh’ nicht zum Minister – ich kann Dein Opfer nicht annehmen, bleibe eine Stütze für Mutter und Schwester. – Versucht mir nicht zu folgen, sucht mich nicht, besser, Ihr hört jetzt Nichts von mir.“

Ludolf stand vernichtet da. Was sollte er thun? Die Ausführung des Entschlusses, mit dem er jetzt vor den Vater hatte treten wollen, wäre Wahnsinn gewesen, hätte Nichts genützt. Den Vater suchen und suchen lassen – wo? – wollte er sich das Leben nehmen, war es gewiß zu spät, und wollte er fliehen, war es besser, man vermied jede Frage nach ihm – und wie konnte man ihn suchen, ohne hier und da eine solche zu thun und vielleicht die allgemeine Aufmerksamkeit auf den Vermißten zu lenken? Ludolf beschloß zu bleiben und das Kommende zu erwarten, ein Beistand für die Frauen – aber wie sollte er die Ahnungslosen vorbereiten? Da sie ihre Verwunderung aussprachen über des Vaters Ausgang, sagte er, daß er ihm gestern erzählt, es fände vielleicht Kassenrevision statt, und daß er dabei sehr sorgenvoll ausgesehen. Erst verstanden sie diese Andeutung nicht und da Ludolf noch eine Vermuthung hinzufügte, erbleichte die Mutter und die Schwester wieß mit sittlicher Entrüstung einen solchen Zweifel an ihrem Vater als frevelhaft zurück.

Die Ungewißheit währte nicht lange. Die Revisionscommission erschien – der Commissionsrath war abwesend – verreist, sagte Ludolf, er wisse nicht wohin. Die Herren machten bedenkliche Gesichter und versiegelten die Kasse. Als er am andern Tage noch nicht zurück war, da sie wiederkamen, ward dieselbe erbrochen – der Defect war erwiesen.

In wenig Stunden war es das Tagesgespräch: daß der Commissionsrath von Buchau die Kasse angegriffen habe und spurlos verschwunden sei.

(Schluß folgt.)




PRZU

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 346. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_346.jpg&oldid=- (Version vom 13.4.2020)