Seite:Die Gartenlaube (1853) 345.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

auswich. Welche glänzende Stellung sie nun auch in der Welt hatte und welche Hoffnung auf ein reiches Erbe – und wie oft sie es diesem oder jenem Mann merken ließ, daß sie seine Hand nicht ausschlagen würde – es wollte sich kein Freier für sie finden. Sie gewöhnte sich daran, von vielen Partien zu sprechen, die sie ausgeschlagen, aber man wußte recht gut, daß diese Anträge nur in ihrer Phantasie existirten.

Der Oheim starb, da sie bald dreißig Jahre alt war und setzte sie, geringe Legate abgerechnet, zu seiner Universalerbin ein. Die frühern Gerüchte tauchten bei diesem Todesfall zwar nicht wieder auf, da der Erblasser allmälig dem Grabe zugewankt war, allein jetzt machte sich Meta durch Härte und Geiz gegen seine andern armen Verwandten, gegen seine Diener und Alle, die von ihm Unterstützung empfingen, verhaßt. Einige Jahre waren seitdem vergangen, Meta hatte die Grille vieler Frauen: sie hielt es für ein schreckliches Loos, unvermählt zu bleiben, nicht weil sie so einen schönen Beruf und die Uebung der süßesten Pflichten entbehrte – sondern weil die verheirathete Frau eine angesehenere Stellung in der Welt einnimmt, wie ein alleinstehendes Mädchen, trotz alles Reichthums. Und sie stand sehr allein – sie wußte, daß sie von Niemand geliebt und nur von Denen gesucht ward, welche einst von ihr zu erben hofften – denn sonst hatte Niemand viel Vortheil von ihrem Reichthum. Sie war geizig und kannte das Glück des Wohlthuns nicht.

Meta lebte unter der haute volée der Stadt, welcher auch der Commissionsrath angehörte, und Ludolf’s einnehmende Persönlichkeit hatte in ihr eine Leidenschaft erweckt, die sie kaum zu verbergen wußte. Dem Commissionsrath hatte sie dieselbe absichtlich verrathen, weil sie hoffte, er werde vielleicht auf seinen Sohn zu wirken suchen und die Vortheile einer reichen Partie ihm auseinandersetzen.

Als der Commissionsrath die bevorstehende Kassenrevision erfuhr, brachte ihn die Verzweiflung zu einem Schritt, den er sonst im Leben nicht gethan haben würde. Er ging zu Fräulein von Zahring als Brautwerber seines Sohnes. Und da er keine abschlägliche Antwort erhielt, sondern nur die lächelnde: der Sohn möge es immerhin wagen, selbst zu kommen – wagte er seine Bitte um ein Darlehn von zehntausend Thalern – an den künftigen Schwiegervater. Natürlich daß er sich nicht ganz entdeckte – daß er eine andere Schuld vorschob, einen Wechsel, der heute noch ablaufe – daß er die Bürgschaft für einen Freund übernommen, der ihn nun im Stiche lasse – das Geld heut’ Abend noch haben müsse. Meta ahnte, aber sprach es nicht aus, daß Ludolf nur unter dieser Bedingung von seinem Vater zu einem Schritt überredet worden, den er sonst nimmer thun würde – sie schwankte – und Beide führten diese Unterredung wie eine diplomatische Unterhandlung weiter. Die blinde Leidenschaft und die Aussicht, Frau und die Frau eines jungen beliebten Mannes zu werden, trugen den Sieg über den letzten Rest weiblichen Zartgefühls und Stolzes in ihr davon. Der Sohn sollte heute noch kommen – mit ihm sollte von dieser schmählichen Uebereinkunft nie die Rede sein – und der Vater dann noch vor Nacht die nöthigen 10,000 Thaler von der Braut seines Sohnes erhalten.

Und jetzt war Ludolf allein und kämpfte mit Pflicht, Gewissen und Ehre – Liebe kam kaum mit in den Kampf – aber doch schwebte unaufhörlich ein holdes Mädchenbild vor ihm wie ein winkender Schutzgeist.


II.

Fünf Uhr war vorüber und der Commissionsrath traf seinen Sohn Ludolf nicht mehr in seiner Wohnung. Der Vater athmete beruhigt auf – er hoffte, der Sohn habe den schweren Schritt zu seiner Rettung gethan.

Es war sechs Uhr, als Ludolf zurückkam, bleich mit wankenden Schritten und niedergeschlagenen Augen, einen furchtbaren Entschluß auf seinem verstörten Antlitz.

Der Vater streckte ihm die Hand entgegen: „Laß Dich umarmen!“ rief er mit zitternder Stimme und Thränen in den Augen: „Du kommst von Fräulein Zahring? –“

Ludolf wehrte der Umarmung und antwortete tonlos: „Nein – ich kann nicht!“

Der Alte bebte zurück und sank entsetzt in das Sopha, mit seinen Händen sein Antlitz verhüllend – „Verlaß mich, Vatermörder!“ schrie er nach einer Pause, ohne aufzusehen.

„Ich bin bereit, mich für Dich zu opfern,“ sagte Ludolf mit schwer erkämpfter Ruhe, „aber anders als Du willst. Noch heute gehe ich zum Minister – ich gestehe ihm, daß ich die Kasse best-“ er wollte bestehlen sagen, brachte das Wort aber nicht heraus, da er es ja von der That seines Vaters gebrauchen mußte und corrigirte sich: „die Kasse angegriffen – daß er mit mir verfahren mag wie recht ist – ich habe mir bereits eine Geschichte ausgedacht, die ich erzählen werde, wie ich mich in Besitz der Schlüssel und des Geldes gesetzt, ohne daß Du eine Ahnung davon haben konntest – man glaubt den Geständnissen des Verbrechers, wenn sie ihn so graviren wie ich die meinigen ablegen werde. Man wird keine Beweise meiner Unschuld finden – oder Deiner Schuld. Diese That von Dir wird Jedermann unglaublich erscheinen – ich bin ein junger Mann, der noch kein langes Leben hinter sich hat, das ihm Achtung und Vertrauen allgemein erworben – man hält die Jugend von heute für schlecht und der Verführung zugänglich – man wird mir glauben, vielleicht sagen die Meisten: sie hätten das von mir vorausgesehen – ich habe den Sonderling gespielt – sei ein überspannter Charakter – man sehe was dabei herauskomme –“

Der Vater zog die Hand von seinem Antlitz weg und ließ seine Augen prüfend auf dem Sohne weilen, als wolle er bis in die Tiefen seines Herzens lesen. Dann sagte er bitter: „Und Du denkst, der Minister werde mit Dir eine Großmuthsscene spielen, gerührt von Deiner freiwilligen Beichte Dich ungestraft entwischen lassen und die ganze Geschichte vertuschen, weil er mir immer wohl gewollt? Der Staat hat jetzt nicht so leicht zehntausend Thaler zu verlieren – und zu einer einmal angeordneten Kassenrevision kann der Minister

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 345. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_345.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)