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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

ist auf das Härteste beurteilt worden – aber Du weißt so gut wie ich, daß dennoch nie Jemand ihren Ruf in Bezug auf ihre weibliche Ehre angetastet – wie kannst Du da eine Heirath mit ihr für eine entehrende Zumuthung halten?“

„Ist es denn gleichgültig,“ entgegnete Ludolf, „ob ein Weib sich der schlechtesten Handlungen schuldig gemacht oder nicht, sobald es nur nicht zu den Gefallenen gehört? Nein Vater – diese Zahring ist verächtlicher als eine solche – ich kann mich nicht an sie verkaufen!“

Der Commissionsrath sah nach der Uhr. Sie zeigte auf Drei und ein Viertel. „Ich lasse Dir bis um 5 Uhr Bedenkzeit,“ sagte er mit erzwungener Fassung – „um diese Stunde erwarte ich, daß Du bei Fräulein Zahring erscheinst und mir eine Stunde nachher Deine Verlobung meldest. Die Sache wird nichts Peinliches für Dich haben. Sie weiß nicht und darf es nicht erfahren, daß Du ihr nur um diesen Preis Deine Hand bietest – es wird Alles so abgemacht, daß jede peinliche Scene, jedes Erröthen Dir und ihr erspart wird. Wähle: eine reiche Partie – das Bewußtsein treu erfüllter Pflicht, den guten Namen, die Ehre, das Leben Deines Vaters gerettet zu haben, die Erhaltung aller Lebensfreuden für Mutter und Schwester – meine ewige Dankbarkeit und meinen Segen, meinen Stolz, einen solchen treuen Sohn zu haben – oder den ewigen Vorwurf des Gewissens: ich konnte meinen Vater, die Meinen Alle retten und ihnen Alles – und dann erliege unter den Qualen dieses Fluches!“

Ludolf war allein. Aufgeregt ging er im Zimmer hin und her. Todtenblässe bedeckte sein Gesicht, aber sein Hirn glühte, seine Schläfe hämmerten, daß das braune lockige Haar, welches sie bedeckte, sichtbar davon aufflog. Eine furchtbare Entdeckung war ihm so eben erst gemacht und eine noch furchtbarere Wahl gelassen worden! –

Der Commissionsrath machte ein glänzendes Haus. Jedermann begegnete ihm mit Hochachtung und sprach nur Gutes von ihm. Allgemein war er als gewissenhafter Staatsdiener bekannt. Seit länger als zehn Jahren brachte es seine Stellung mit sich, daß er eine bedeutende Staatskasse unter sich und in seiner Verwahrung hatte. Ein Zufall hatte ihm jetzt verrathen, daß diese Kasse in den nächsten Tagen, wahrscheinlich am nächsten Morgen schon, revidirt werden sollte. Er wußte, daß zehntausend Thaler darin fehlten – darum versetzte ihn diese Nachricht in die äußerste Bestürzung. – Sein Gehalt hatte zu dem Luxus seines Hauses, zu dem er sich durch seine Stellung verpflichtet hielt, nicht ausgereicht. Das Vermögen, das ihm seine Gattin als Mitgift gebracht, hatte er allmälig mit zugesetzt, dieser selbst aber nie Rechenschaft davon abgelegt und sie sich ruhig daran gewöhnen lassen, daß die Lebensweise, welche sie führten, ihrem Einkommen entsprach. Wie nun jenes Kapital aufgezehrt war und mit ihm selbst auch natürlich der Zuschuß der Interessen wegfiel, wollte der Commissionsrath seiner Frau doch nicht das demüthigende Geständniß machen, daß er schlecht gewirthschaftet habe und nun einige Einschränkungen die nothwendige Folge wären. Er nahm jetzt, was ihm fehlte, aus der ihm anvertrauten Kasse. Freilich mit der gewissen Hoffnung, dies Geld nur als Darlehn zu betrachten, das er gelegentlich gewissenhaft wieder ersetze. Anfangs geschah es auch so. Endlich aber war es ihm nicht mehr möglich und die fremden Hunderte wuchsen allmälig zu Tausenden an. Die Seinen hatten keine Ahnung davon und lebten in glücklicher Sorglosigkeit. Er selbst freilich konnte dieser Sorgen sich nicht entschlagen, aber er tröstete sich mit allerhand vagen Hoffnungen. Ein Gewinnst in der Lotterie – vielleicht eine gute Partie für seine Tochter – vielleicht für seinen Sohn –

An diese letzte Spekulation hielt sich der Commissionsrath jetzt.

Die Geschichte des Fräuleins Meta von Zahring war allerdings eine etwas seltsame. Ihre Eltern hatten ihr kein sehr großes Vermögen hinterlassen und sie war als fünfzehnjähriges Mädchen verwaist zu einem Bruder ihres Vaters gekommen, der durch das Vermögen seiner Frau und eigner Erwerbsthätigkeit einer der reichsten Gutsbesitzer geworden war. Er hatte zwei Töchter, etwas älter als Meta; seine Gemahlin war todt. Obwohl Meta von ihren Cousinen auf die freundlichste Weise aufgenommen ward, fühlte sie sich doch nicht nur durch deren größern Reichthum, sondern auch durch ihre Schönheit und Liebenswürdigkeit zurückgesetzt. Meta war häßlich und ein vorzugsweise hämischer und neidischer Charakter machte sie noch häßlicher und raubte ihr auch jene Anmuth von Herz und Geist, welche auch eine unschöne Hülle anziehend zu machen vermag. Mit ihrem Neid wuchs ihre Falschheit. Sie war immer voll Dienstfertigkeit gegen ihre Cousinen und hatte zärtliche Worte für sie, aber im Stillen suchte sie dieselben bei ihrem Vater zu verkleinern oder doch selbst gegen diesen noch zärtlicher und gehorsamer zu erscheinen als jene. Er schenkte ihr auch sein ganzes Vertrauen, obwohl er es darum seinen Töchtern nicht entzog. So waren Jahre vergangen. Da verlobte sich die älteste von ihnen und zwar mit einem Lieutenant, für den Meta selbst eine leidenschaftliche, aber unerwiederte und unbemerkte Neigung empfand. Etwa einen Monat vor dem zur Hochzeit festgesetzten Tage erkrankte die Braut und war nach ein paar Wochen todt. Allgemeine Trauer herrschte in der Familie. Ein Jahr nachher bekam auch die zweite Schwester ein bösartiges Fieber – und starb. – Meta erschien untröstlich – aber nun war sie die einzige Erbin, da der unglückliche Vater seinen einzigen Ersatz in ihr fand, seiner treuen Pflegerin. Er selbst blieb ahnungslos darüber, welche Gerüchte unter der Dienerschaft zuerst und dann in größern Kreisen umgingen. Man sprach von Gift und hielt Meta für fähig, es den beiden Mädchen gereicht zu haben. Aber es blieb nur bei dem Verdacht, bei dem Gemurmel des Publikums. Kein Kläger trat auf, kein genügender Verdacht zu einer Untersuchung lag vor. Die Schwestern hatten verschiedene Aerzte gehabt und keiner von ihnen hatte Auffälliges gefunden oder ausgesprochen. Es blieb also immer nur bei dem Gerücht, aber es war mächtig genug, um Meta zu einer Person zu machen, die man fürchtete, der man mit einer gewissen Scheu

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 344. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_344.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)