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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

er sich auch wieder an der Decke. Man konnte weder Höhlung noch Spalte sehen. Das Bett ward wieder zu einem gewöhnlichen Bette, der Himmel eben so zu einem gewöhnlichen, selbst für die scharfsichtigsten Augen.

Jetzt zum erstenmale bekam ich meine äußere Beweglichkeit wieder und konnte von meinem Armstuhle aufstehen, um zu sehen, wie und wo ich entfliehen könne. Verrieth ich durch das geringste Geräusch, daß der Versuch meiner Erstickung verunglückt sei, so war ich überzeugt, gemordet zu werden. Hatte ich schon Geräusch gemacht? Ich horchte aufmerksam nach der Thür gerichtet. Aber kein Fußtritt auf dem Gange außerhalb, kein Ton eines leichten oder schweren Einhergehens über mir, tiefes Schweigen rings umher. Um meine Thür zu schließen und zu versperren, hatte ich einen alten hölzernen Kasten dagegen gestemmt, den ich unter dem Bette gefunden. Diesen Kasten fortzubewegen (das Blut gerann mir in den Adern, wenn ich bedachte, was darin sein könnte!), ohne irgend eine Störung zu machen, war unmöglich, und doch war der Gedanke, aus dem, jetzt während der Nacht versperrten Hause zu entfliehen, ein reiner Unsinn. Nur ein Ausweg blieb mir – der durch das Fenster. Ich stahl mich auf den Zehen zu ihm.

Mein Schlafgemach war im ersten Stockwerke, über einem Entresol und sah auf die finstere Straße. Ich erhob die Hand, um das Fenster zu öffnen, fühlend, daß an diesem Augenblicke bei dem geringsten Geräusche meine Rettung hange. In einem Hause des Mordes wird scharfe Wache gehalten! Wenn ein Rahmen knarrte, eine Scheibe klirrte, war ich vielleicht ein verlorener Mann. Ich muß mich wenigstens fünf Minuten der Zeit nach – meiner Angst nach fünf Stunden lang mit der Oeffnung des Fensters beschäftigt haben. Es gelang mir dies mit all der Gewandtheit eines Diebes ganz still zu thun und ich sah dann auf die Straße. Auf sie unter mir herabzuspringen, wäre offenbare Vernichtung gewesen. So sah ich mich denn seitwärts am Hause um. Die linke Seite herab lief die dicke Wasserröhre. Sie ging nahe bei der äußern Ecke des Fensters vorbei. So wie ich diese Röhre sah, wußte ich, daß ich gerettet. Zum erstenmale, seit ich den Betthimmel sich zu mir hatte herabbewegen sehen, holte ich wieder frei Athem.

Manchem würden allerdings diese entdeckten Mittel zur Flucht schwierig und gefährlich genug geschienen haben, mir aber kam die Aussicht, an der Röhre auf die Straße herabzugleiten, nicht im mindesten gefährlich vor. Ich war sehr gut in gymnastischen Kunststücken geübt und wußte daher, daß Kopf, Hände und Füße mir treu im Herauf- oder Herabklettern zu dienen pflegten. Schon hatte ich ein Bein über das Fensterbrett geschwungen, als ich mich an das Taschentuch mit Geld unter meinem Kopfkissen erinnerte. Ich hätte es allerdings hinter mir lassen können, aber ich war rachevoll entschlossen, daß die Bösewichter des Spielhauses eben so ihre Beute wie ihr Opfer verlieren sollten. So ging ich denn wieder zu dem Bette zurück und band mir mit meinem Halstuche das schwere Taschentuch auf dem Rücken fest. Gerade als ich es haltbar gemacht hatte, glaubte ich einen Athemzug außerhalb der Thüre zu hören. Abermals durchfröstelte mich Schrecken, als ich so horchte. Doch nein! Es blieb alles still auf dem Gange. Ich hatte nur die Nachtluft leise in das Zimmer wehen hören. Im nächsten Momente war ich wieder auf dem Fenster – und im folgenden hatte ich mit Händen und Knieen eine feste Lage an der Wasserröhre gefaßt.

Leicht und ruhig glitt ich, wie ich mir gedacht, in die Straße hinab, und eilte augenblicklich mit der größten Schnelle zu einer Polizei-Expedition von der ich wußte, daß sie sich in unmittelbarer Nähe befinde. Es traf sich, daß ein Beamter und einige hewaffnete Leute seines Gefolges noch wach waren, ohnstreitig in der Absicht, etwas von dem geheimnißvollen Morde zu entdecken, der eben damals in Paris so großes Aufsehen machte. Als ich meine Geschichte athemlos und in sehr schlechtem Französisch begann, konnte ich sehen, wie der Beamte mich im Verdacht hatte, ein betrunkener Engländer zu sein, der etwas gestohlen habe, als ich aber fortfuhr, änderte er seine Ansicht sehr schnell, und ehe ich nur im mindesten geendet hatte, schob er alle seine Papiere vor sich in ein Schubfach, setzte seinen Hut auf, versorgte mich mit einem andern, denn ich war baarhäuptig, stellte eine Schaar Soldaten auf, befahl seinen Vertrauten, alle Arten von Werkzeug, um Thüren aufzubrechen und Fußböden aufzuhacken, mitzunehmen, und ergriff mich auf die freundlichste und vertrauteste Art am Arme, um mich mit sich zu dem Hause fortzunehmen.

So gingen wir denn durch die Straßen, der Beamte immer mich examinirend und mir glückwünschend, wie wir an der Spitze unserer Begleitung einherzogen. Schildwachen wurden vorn und hinten am Spielhause aufgestellt, sobald wir es erreicht hatten. Ein furchtbares Klopfen donnerte an die Thüre. Ein Licht ließ sich in einem Fenster sehen. Ich selbst versteckte mich hinter den übrigen. Jetzt erscholl eine laute Stimme: Aufgemacht im Namen des Gesetzes! Bei diesem furchtbaren Aufrufe wurden Riegel und Schlösser von einer unsichtbaren Hand geöffnet, und im Augenblicke darauf stand der Beamte im Eingange vor einem halbangekleideten, leichenblassen Manne. Folgender kurze Dialog fand nun sogleich statt:

„Wir wollen den Engländer sehen, der hier im Hause schläft.“

„Er ging vor einigen Stunden fort.“

„Das that er nicht. Sein Freund ging, er aber blieb da. Führen Sie uns in sein Schlafzimmer.“

„Ich schwöre es Ihnen, Herr Unterpräfect, er ist nicht hier.“

„Und ich schwöre es Ihnen, Herr Garçon, er ist hier. Er schlief hier – er fand Ihr Bett nicht bequem – er beklagte sich deshalb bei uns – hier ist er unter meinen Leuten – und hier bin ich, um in seinem Bette nachzusehen. Picard! binden Sie diesem Burschen da die Hände auf den Rücken, und dann vorwärts, die Treppe hinauf!“

Alles was im Hause war, ward festgenommen, der alte Soldat zuerst. Nun erkannte ich das Bett für das, worin ich geschlafen, und dann ging’s eine Treppe

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 333. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_333.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)