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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Siegermiene[1] durchschritt, da wurde meine Aufmerksamkeit durch einen Fiakrekutscher abgeleitet, welcher, tüchtig auf die erschöpften Pferde peitschend, links durch die prachtvolle Allee gefahren kam, welche sich die Anhöhe hinauf zieht, auf der das Schloß liegt.

An dem eisernen Gitterthore angelangt, verweigerten die Schildwachen dem Kutscher die Einfuhr. Es entspann sich darüber mit den beiden Herren, die in dem Wagen saßen, ein kleiner Streit. Diesen zu schlichten, trat ich näher, da die Schildwachen sich mit den Franzosen nicht verständigen konnten. Ich machte den beiden Herren, welche mir sagten, daß sie aus Paris kämen und in Angelegenheiten von höchster Wichtigkeit mit dem Fürsten Blücher zu sprechen hätten, nicht ohne Mühe begreiflich, daß sie dazu aussteigen und die kurze noch übrige Strecke zu Fuße zurücklegen müßten.

Brummend entschlossen sie sich, den Wagen zu verlassen, und nun zeigten sich meinen prüfenden Blicken zwei auffallende, aber mit einander eben so auffallend contrastirende Gestalten. Der Eine war klein, dick, beinahe rund, denn ein stattlicher Bauch wurde von den dünnen Beinen nicht ohne Anstrengung vorausgetragen.

Der Andere überragte seinen Gefährten um mehr als Kopfeslänge, und wenn er auch nicht eben dürr genannt zu werden verdiente, so erreichte er doch den Umfang des Kleinen bei weitem nicht.

Beide waren schwarz gekleidet, und wenn sie auch außer einem kleinen rothen Bändchen im Knopfloch kein Abzeichen höheren Pompes trugen, so war doch die Vornehmheit ihrem ganzen Wesen leicht anzusehen. Besonders der Lange zeigte eine stolze Haltung und ein Benehmen der Grandezza, an welchem der Kleine durch seine Körperbeschaffenheit gehindert wurde.

Nachdem ich mich ihnen zum Führer angeboten hatte und als solcher von ihnen angenommen war, fragte ich nach ihren Namen. Sie gaben eine ausweichende Antwort, und da mir im Grunde wenig an der Beantwortung meiner Frage lag, schritt ich hierauf neben ihnen her, quer über den Hof weg, nach dem rechten Flügel des Schlosses, in welchem die Zimmer lagen, die Fürst Blücher zu seinem persönlichen Gebrauche gewählt hatte.

Während des Weges dahin sprachen sie sich unter bittern Klagen darüber aus, daß sie von Paris, welches sie bereits um 6 Uhr Morgens verlassen hätten, von einem Vorposten zum andern geschickt und überall so lange aufgehalten worden wären, daß sie zu der Strecke von wenig mehr als einer Stunde die Zeit von zehn vollen Stunden gebraucht hätten. Ich gab ihnen lachend zur Antwort, das ginge nun einmal im Kriege nicht anders, führte sie in das Ordonnanzzimmer und meldete hier einem eben aus dem zweiten Vorzimmer - dem Offizier-Wartezimmer – tretenden Adjutanten, daß die beiden Herren den Fürsten zu sprechen wünschten. Er fragte sie nach ihren Namen, und sie sagten ihm dieselben so leise, daß ich sie nicht verstehen konnte, obgleich ich dicht neben ihnen stand.

Der Adjutant verbeugte sich ziemlich artig und sagte, er würde sie sogleich dem Fürsten melden, sie möchten nur einstweilen Platz nehmen. Doch die beiden Herren bezeigten keine Lust, dieser Einladung zu folgen, nachdem ein Blick rings umher sie überzeugt hatte, daß sie sich unter lauter Ordonnanzen, Gemeinen oder höchstens Unteroffizieren befanden. Sie traten daher an ein Fenster und unterhielten sich sehr eifrig, doch ganz leise miteinander. Dabei waren ihre Blicke fortwährend mit dem unverkennbaren Ausdrucke der Ungeduld nach der Thür zu den Zimmern des Fürsten gerichtet. Doch es vergingen fünf, es vergingen zehn Minuten, ohne daß der Adjutant erschien, und der Ausdruck der Ungeduld in den Zügen der beiden Franzosen verwandelte sich in unterdrückte Wuth, denn ich sah, wie sie mehrmals die Zähne auf die Lippen bissen und dabei einander Blicke zuwarfen, welche zu sagen schienen: Vielleicht kömmt einst noch die Zeit, diese Schmach, diese Beschimpfung zu rächen, und sie sollen dann gewiß nicht vergessen sein.

Endlich kehrte der Adjutant zurück. Er sagte mit kalter Höflichkeit, der Fürst sei zwar augenblicklich zu beschäftigt, um sie zu sprechen, indeß möchten sie in dem Offizierzimmer warten, bis sie vorgelassen werden könnten.

Und hier mußten sie, eine Zielscheibe für die spöttischen Blicke aller Ab- und Zugehenden, denen ihre Namen zugeflüstert wurden, noch volle anderthalb Stunden warten; denn als dem Fürsten Blücher gemeldet wurde, wer sie wären und was sie wollten, hatte er lachend gesagt:

„Das Geschäft hat keine so große Eile, und die Schurken mögen daher einmal aus eigener Erfahrung kennen lernen, wie es schmeckt, im Vorzimmer demüthig auf die erbetene Audienz warten zu müssen.“

Endlich glaubte der Fürst, sie lange genug gezüchtigt zu haben, ließ sie vor, und es wurde mit diesen beiden Männern die Capitulation von Paris abgeschlossen, in Folge welcher die Preußen und Engländer am 7. Juli ihren feindlichen Triumpheinzug hielten.

Wer aber waren die beiden Männer, an deren Demüthigung Fürst Blücher ein solches Vergnügen fand?

Der Lange war Talleyrand, der mächtige Minister des französischen Kaiserreichs, der feine Diplomat, der den Mantel so geschickt nach dem Winde zu drehen wußte, daß keiner der politischen Stürme, die er durchmachte, ihn umzuwerfen im Stande war.

Der kleine Dicke war Fouché, der schlaue, allgemein gefürchtete, allgemein gehaßte Polizeiminister.

Beide aber waren Männer, vor deren bloßem Stirnrunzeln sonst Tausende erzitterten; man kann sich daher die Gefühle denken, die ihr Inneres durchtoben mußten, als sie sich in der demüthigsten Lage von der Welt zwei Stunden lang den Hohn- und Spottblicken der siegreichen Feinde ausgesetzt sahen!





Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. geändert gem. Berichtigung auf S. 342
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 330. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_330.jpg&oldid=- (Version vom 13.4.2020)