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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

schwarz oder roth gewinne, sprach nie; der schmutzige, runzlige alte Mann mit den Geieraugen und dem geflickten Oberrocke, der seinen letzten Sous verloren hatte und noch voll Verzweiflung zusah, da er nicht mehr spielen konnte, sprach nie. Selbst die Stimme des Croupier klang als ob sie in der Atmosphäre der Stube gänzlich verdumpft wäre. Ich war in das Haus gegangen, um zu lachen, ich fühlte aber, daß wenn ich länger bleiben und ruhig zusehen wollte, ich dem Weinen näher kommen würde. So trat ich denn, um mich von dem geistigen Drucke, der über mich gekommen war, zu erholen, unglücklicherweise auch an den Tisch und fing an zu spielen. Noch unglücklicher wie die Folge zeigen wird. Ich gewann – gewann außerordentlich, ungeheuer, auf eine solche Art, daß die regelmäßigen Spieler am Tische um mich zusammentraten und mit hungrigen, abergläubischen Augen auf meine Sätze starrend, einander zuflüsterten, daß der englische Fremde die Bank sprengen werde.

Man spielte Rouge et noir. Ich hatte dergleichen in jeder Stadt Europa’s gespielt, ohne jedoch den Wunsch noch die Geduld dazu zu haben, mich auf Berechnungen der Möglichkeiten oder Unmöglichkeiten einzulassen. Ich war überhaupt nie ein Spieler von Profession oder großer Leidenschaft gewesen. Blos zum Zeitvertreibe hatte ich stets nur gespielt. Auch unternahm ich nie ein Spiel aus Bedürfniß, weil ich nie wußte, was Geldmangel sei. So übte ich es denn auch nie so unausgesetzt, daß ich mehr hätte verlieren können als ich bei mir hatte, oder mehr gewinnen als ich ruhig in die Tasche stecken konnte, ohne durch mein gutes Glück außer meinem Gleichgewichte gebracht zu werden. Kurz, ich hatte bisher Spielhäuser gerade eben so besucht, wie ich Ballsäle und Schauspielhäuser besuchte, weil sie mich unterhielten und ich mit meinen müßigen Stunden nichts Besseres anzufangen wußte.

Aber hier war dies gänzlich verschieden. Jetzt zum erstenmale in meinem Leben fühlte ich, was Leidenschaft für’s Spiel wirklich sei. Mein Glück verwirrte mich anfangs, dann aber berauschte es mich in der eigentlichsten Bedeutung des Wortes. Es muß unglaublich scheinen, aber es ist wörtlich wahr, daß ich blos dann verlor, wenn ich Wechselfälle zu berechnen versuchte, und nach vorgefaßter Ueberlegung spielte. Wenn ich alles dem Glücke überließ und ohne die geringste Berücksichtigung spielte, war ich sicher, zu gewinnen, zu gewinnen aller möglichen anerkannten Wahrscheinlichkeit der Bank gegenüber. Anfangs wagten einige der Anwesenden ihr Geld sicher genug bei meinen Farben, aber nicht lange, so steigerte ich meine Sätze zu Summen, welche sie zu setzen nicht wagten. Einer nach dem andern hörte auf zu spielen und sah athemlos meinem Spiele zu. Von Zeit zu Zeit stieg ich immer höher und gewann stets. Die Aufregung im Spielzimmer stieg bis zum Fieber. Das Stillschweigen ward jetzt durch einen dumpfen Chorus von Ausrufungen und Schwüren, so oft das Gold nach meiner Seite hin gehäufelt wurde, unterbrochen, und selbst der unerschütterliche Croupier stieß in einer Wuth des Staunens über mein Glück, seine Harke auf den Boden. Nur einer der Anwesenden behielt seine vollkommene Ruhe, und das war mein Freund. Er trat mir zur Seite und flüsterte mir auf englisch zu, ich möchte doch von hier fortgehen und mit dem zufrieden sein, was ich bereits gewonnen. Ich muß ihm die Gerechtigkeit widerfahren lassen, zu bekennen, daß er mir dieses mehreremale wiederholte, mich dringend bat, und dann erst fortging und mich allein ließ. Ich hatte seinen guten Rath in Erwiderungen zurückgewiesen, indem ich gegen alle Vorstellungen und Vorschläge wie trunken vom Spiele war, welche es ihn unmöglich machten, noch länger in dieser Nacht sich mit mir zu beschäftigen.

Kurze Zeit, nachdem er fort war, rief eine rauhe Stimme hinter mir aus: – „erlauben Sie mir, werther Herr, erlauben Sie, daß ich Ihnen zwei Napoleons wieder zustelle, die Sie fallen ließen! Ich versichere Sie bei meinem Ehrenworte als ein alter Soldat, daß mir bei meiner langen Erfahrung in dergleichen Dingen nie ein solches Glück vorgekommen ist, wie das Ihre! Nie! Also vorwärts! Bomben und Granaten, frisch vorwärts, und die Bank gesprengt!“

Ich sah mich um und erblickte einen langen Mann in einem schlechten Oberrocke, der mir mit großer Höflichkeit und Vertraulichkeit zuwinkte und zulächelte. Wäre ich meiner Sinne mächtig gewesen, so würde ich ihn näher betrachtet und gefunden haben, daß er eine etwas verdächtige Art von altem Soldaten sei. Er hatte hervorstehende, blutunterlaufene Augen, einen gewaltigen Schnauzbart und eine zerbrochene Nase. Seine Stimme verrieth eine gemeine Intonation der allerschlechtesten Art, und er hatte ein Paar der schmutzigsten Hände, die ich je gesehen habe – selbst in Frankreich. Diese kleinen persönlichen Eigenthümlichkeiten äußerten jedoch keinen allzugroßen Einfluß auf mich. In der tollen Aufregung, dem rücksichtslosen Triumphe dieses Augenblicks war ich bereit, mit jedem Brüderschaft zu machen, der mich bei meinem Spiele anfeuerte. Ich nahm von dem alten Soldaten eine angebotene Prise an, klopfte ihn auf die Backen und schwur, er sei der ehrlichste Kerl von der Welt, die glorreichste Reliquie von der großen Armee, die ich jemals gesehen. „Vorwärts!“ rief mein militärischer Freund und schnipsete mit den Fingern, „vorwärts! Sprengt die Bank! Tausend Donnerwetter, mein vortrefflicher englischer Kamerad, hole Dir die Bank!“

Und ich ging vorwärts, ging so weit, daß nach der nächsten Viertelstunde der Croupier ausrief: „Meine Herren, die Bank ist für heute geschlossen!“ Alles Gold und alles Staatspapier, das sich darin befunden hatte, lag nun in einem Haufen unter meinen Händen; das ganze werbende Kapital des Spielhauses steckte in meinen Taschen.

„Knüpfen Sie das Geld in Ihr Taschentuch, mein theurer Herr,“ sagte der alte Soldat, als ich die Hand in den Geldhaufen vor mir untertauchte. „Knüpfen Sie es ein, wie wir bei der großen Armee ein Stück Mittagsbrod einzuknüpfen pflegten. Ihr Gewinn ist zu schwer für irgend eine Rocktasche, wie sie jemals genäht worden. Da! Da! Packen Sie es ein, Papiere und Gold! Was für eine Menge! Es ist ja ganz

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 322. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_322.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)