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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Von Gervinus brachte Nr. 25 der Gartenlaube schon Portrait und kurze Biographie; wir wollen unsere Leser aber auch noch zu seiner Person führen, in sein Haus. Es war im vorigen Monat, als es mir vergönnt war, Gervinus in seinem Hause aufzusuchen. In Heidelberg, über die Neckarbrücke weg, rechts umgebogen und den Neckar entlang bis zu einem hellen, schönen, etwas erhöhten Hause, im Geschmack einer Villa, mit einer hohen, freien Vorhalle auf mächtigen Säulen ruhend: das ist das Haus des Geheimeraths von Falkenstein, dem Freunde Gervinus’, der diese Freundschaft noch jüngst öffentlich bethätigte durch eine Broschüre über das bekannte Verfahren gegen die Person und die Schrift des berühmten Historikers. In diesem Hause, zwei Treppen hoch, wohnt derselbe. Zu seinen Füßen der Neckar mit lachenden, sonnigen Fernblicken nach links und rechts; grad ihm gegenüber die herrlichste Ruine Deutschlands, das sogenannte „Schloß“ und darüber hin die Bergwaldung reifer Kastanien in lichtem, saftigem Grün. – Hier ist es unmöglich, Das zu werden, was man unter einem „Deutschen Professor“ versteht; hier müssen Herz und Geist frisch und stark werden und bleiben, hier spült der Strom, hier rauscht der Wald den bösen Bücherstaub aus Herz und Hirn. – Dieser Blick hinaus harmonirt mit den freien, hellen, luftigen Zimmern und ihrer heiteren, harmonischen, künstlerisch-einfachen Einrichtung, worin der berühmte Gelehrte wohnt, und das Alles sympathisirt wieder mit dessen persönlicher Erscheinung und deren Behabung. Eine große, stattliche Erscheinung, an Göthe erinnernd, nur nicht dessen „Excellenz“, Haltung und Imponirung; einfacher, wohlthuender und doch immer in gewissen respectgebietenden Schranken. Die Stirne von seltener Höhe, den tiefen Denker verrathend und doch mild und sanft. Ebenso die sinnig-geistvollen, dunkelblauen Augen. Die Züge fein, wir möchten sagen aristokratisch; die Form des Gesichts an einen vornehmen Engländer erinnernd. Um den edelgeschnittenen Mund spielen ganz feine, ironische Linien, wie kleine Schlänglein. – Gervinus spricht eher weich als streng, eher leise als laut; Alles ist an ihm nicht Behaglichkeit, sondern Ruhe, Harmonie, milder Ernst; es thut das wohl; man fühlt sich stets einer großen Persönlichkeit gegenüber und doch auch wohnlich; das kommt: man fühlt auch den Menschen heraus und den Künstler. Diese beiden Elemente sind in Gervinus noch so wenig erkannt und sind doch so eng mit seinem ganzen Wirken und Schaffen verbunden, wenn sie auch mehr der Person gegenüber hervortreten mögen. An allen Erscheinungen des öffentlichen Lebens nimmt Gervinus regen Antheil und alle Künste sind ihm treue, heitere Gefährten auf seiner ernsten Lebensbahn. Schöne Bilder und antike Statuen und Köpfe umgeben ihn bei seinen gelehrten Arbeiten; um seinen schönen Flügel versammeln sich wöchentlich ein paarmal Musiker und Sänger und die Entwickelung einzelner deutscher Theater, die nicht nur Kammerherrn zu Dirigenten haben, verfolgt er mit aufmerksamem Blicke. Ein Lieblingswunsch von ihm ist, daß einmal die größten Schauspielkräfte des Vaterlandes sich zusammenthäten und einen glänzenden Gastrollen-Cyclus der besten deutschen Schauspiele in London gäben. Er trug mir dringend auf, dafür doch nach Kräften zu wirken. – Auf meine Frage, ob er Heidelberg, Baden überhaupt, verlassen würde, meinte er: „Ich glaube es nicht; ich habe mich zu sehr hier eingelebt und –“ doch das Uebrige gehört nicht hierher. – Eine Zeitung wird Gervinus nicht wieder gründen; nach den neuen Preßgesetzen in Baden hat er mit diesem einmal gehegten Entschlusse abgebrochen. – Wenn er die neue Ausgabe seiner Literaturgeschichte im Herbst beendet haben wird, geht er allen Ernstes an sein großes Geschichtswerk des 19. Jahrhunderts. Sein Muth dazu ist nicht gebrochen; unverwandt hält er sein Ziel im Auge und geht stark-muthig darauf los. Sein Glaube an die große, unverwüstliche sittliche Kraft im deutschen Volke und also auch an dessen höchster Ausbildung ist unerschütterlich. – Neugestärkt und gehoben von diesem Glauben verließ ich den großen, edlen Mann und sein Bild begleitete mich den Rhein hinunter bis nach Bonn, wo Ernst Moritz Arndt wohnt, vom Volke „der alte Arndt“ genannt.

Des alten Arndt’s Schicksale und Werke sind hinlänglich bekannt; sie hängen noch miteinander zusammen, ergänzen sich gleichsam und mahnen uns an den begeisterten Patrioten, den freien, starken Menschen, den tüchtigen Charakter, den scharfen und rasch entschlossenen Denker. Seine flammenden Flugschriften und Lieder im französischen Kriege halfen ebenso mächtig das Vaterland befreien, wie die Schwerter mancher Helden und sein altberühmtes Nationallied: „Was ist des Deutschen Vaterland“ tönt noch jetzt wie Tuba-Ruf durch das einsame Herz jedes echten Patrioten. Diese großen Eigenschaften und Verdienste des edlen Greises wurden feierlichst anerkannt, als derselbe zum ersten Male in die National-Versammlung kam: Auf Benedey’s Antrag erhoben sich da alle Repräsentanten der Nation von ihren Sitzen; – gewiß ein schöner, feierlicher Moment für den Mann und für die Nation, die so einen Tribut ihres Dankes darbrachte.

Und diesen Mann sollte ich nun nach vielen Jahren wiedersehen; den Mann, dessen Worten ich so oft gelauscht hatte, wenn sie wie Eichenwaldbrausen herab von seinem Katheder rauschten. Ich wußte noch, daß er in Bonn vor dem Coblenzer Thore wohnte; aber wo dort, mußte ich erst in der Nähe erfragen und wehmüthig wurde mir’s zu Muthe, als ein Student antwortete: „Da der dritte Garten, mit einem alten ausgerankten Lattenthor und verkrüppelten Bäumen.“ Und die wehmüthigen Zeichen trafen ein und der ganze Garten am Hinterhause und dieses selbst sahen verlassen aus, – das ganze Wesen wie eine Pächterswohnung, die nicht mehr benutzt wird. – Nach vorn aber ist Alles freundlich, hübsch, lebendig; denn hier am Fuße des Hauses, rauscht ja des alten Patrioten theurer Strom vorbei und von hier aus begrüßen den alten Herrn die sieben Berge, – es ist ein wunderschöner Platz vor diesem Hause; so heimisch-feierlich, so einfach-prächtig, die lauschige Stille zum Rauschen des Stromes und zum Dämmern der Berge. Hier muß man jung und deutsch bleiben, mag das Leben

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 314. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_314.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)