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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Sind in England Ochsenschwänze eine Delikatesse, kann ein Alligator-Schwanz immer noch gut genug sein, den Hungertod hinauszuschieben. Freilich ich hungerte noch einen Tag und eine Nacht, ehe ich an meine Fleischkammer ging, und dann verbreitete das Aas einen so entsetzlichen Geruch, daß ich, zumal da keine Spur von Wind ging, genöthigt war, es mit ungeheurer Anstrengung in’s Wasser zu bringen. Aber ich schoß einen andern und schnitt mir ein derbes Stück aus dessen Schweife.

Du schauderst, Leser? Schaudere nicht, sondern denke in Demuth daran, was der Mensch sei in seinem Hunger. Im Hunger und im Tode sind alle Menschen gleich, glaub’ ich. Hast Du einmal gehört, christlicher Leser, von jenen Matrosen, die sich im stillen Ocean von ihrem untergehenden Schiffe auf ein Boot gerettet und auf einer Fahrt von 6 Wochen drei von ihren Unglücksgefährten, die das Loos traf, aufgegessen und ihren Durst von deren Blute gestillt hatten? – Ich verlange von keinem Menschen, daß er seinen Nächsten (ohne Grund) liebe, vielweniger seine Feinde; aber wer einen Menschen mit Bewußtsein hungern ließe, den möcht’ ich in’s Auge schießen, wie einen Alligator.

Nachdem ich meinen frischen Alligatorschwanz „in Gottes freier Natur“ verzehrt hatte, fühlte ich mit Wollust eine Art von anglo-sächsischem Phlegma und Comfort wiederkehren. Ich fühlte sogar das Bedürfniß, meine Zähne zu stochern, aber freilich weder Natur noch Kunst boten hier diesen Artikel feil. So sah ich ruhig in’s Weite über meinen Fleischvorrath hinweg (selig ist der Besitzende) und bemerkte, wie sich ein dunkler Körper träge auf der Oberfläche des Wassers umhertrieb. Freilich sah ich bald, daß es nur der verwesende Alligator war, den ich in’s Wasser gebalgt hatte; aber ich sah mehr. Ich sah den Grund, warum das Aas schwimme. Es ist geschwollen, es haben sich in dem Processe der Verwesung Gase entwickelt – um aus dieser Verwesungsluft mein Leben zu holen. Ja so kamst du, Kind der Noth, die schon Größeres im Leben schuf und erfand, als die Rettung eines Menschenlebens.

Ich dachte an den schwimmenden Alligator, an seine geschwollenen Eingeweide, an die Eingeweide in dem vor mir liegenden. – Wie ein Blitz schoß ich auf ihn zu, schnitt ihn auf, riß die Eingeweide heraus, reinigte sie, blies sie mit einer Feder vom Ibis auf, verband sie und wickelte sie mir um den Leib. Nun konnte ich schwimmen. Mit meiner geladenen Flinte ging ich keck in’s Wasser. Es trug mich so schön, daß ich gleichsam in demselben stand und ging in möglichster Nachahmung der Wasservögel. Mein Gewehr hielt ich tapfer über Wasser, um es gegen Alligatoren zu gebrauchen und mich nicht ohne Gegenwehr verschlingen zu lassen. Zu meiner Freude wurde ich gar nicht attakirt: Alles schlief den tropischen schweren Schlaf unter der Mittagssonne. Ich hatte sogar auch die rechte Zeit zu meiner Rettung getroffen. Nachdem ich etwa eine halbe Stunde Wasser getreten hatte, näherte ich mich dem Ausgange der Bucht. Wer beschreibt meine Seligkeit, als ich hier mein Boot entdeckte? Es hatte sich in einem Winkel des Morastes festgefahren. Mit Riesenkraft schwang ich mich – ja ich hatte nach dreitägiger Pein der unsäglichsten Art jetzt doch wieder Riesenkraft – in mein Boot und zwang es mit gewaltigen Ruderschlägen, pfeilschnell durch die träge Wassermasse zu schießen.

Dabei dachte ich daran, den Krokodilen einen Tempel zu erbauen oder eine ungeheure Ode auf diese Lebensretter zu dichten.

Doch ich wurde zu bald in diesen Gedanken gestört und auf bessere gebracht. Wie ich so durch den „Urschlamm“ Amerika’s dahinruderte, sah ich unweit ein herrenloses Boot treiben. Mein erster Wunsch bei diesem Anblicke war: Gebe Gott, daß etwas Brod oder wenigstens Käse darin sei! Aber es war mehr darin.

Ich rudere heran und sehe zu meinem Erstaunen die schöne Creolin aus meinem Hotel, wo ich die letzten 6 Monate logirt hatte, wie todt im Kahne liegen. Aber sie schlief blos. Sie schlug die Augen wirr auf und stürzte sich dann mit einem Freudengeschrei an meinen Hals, wobei wir beinahe Beide in’s Wasser gefallen wären. Hernach bat sie gleich erröthend um Entschuldigung: Ich habe ihr von meinem Vorhaben erzählt, daß ich in dieser Richtung auf die Ibis-Jagd gehen und Abends wahrscheinlich wieder da sein werde. Nun sei ich in Ewigkeit nicht gekommen. Da habe es ihr keine Ruhe gelassen u. s. w. –

Lieber Gott, was blieb mir nun übrig, als sie zu heirathen? Ich hätte es wahrscheinlich auch ohnedies gethan, denn ich liebte sie längst, wie ich die „gute Gesellschaft“ meines Vaterlandes haßte, die blos Stand mit Stand, Pfunde mit Pfunden und Farbe mit Farbe verheirathet, um der Welt kein Aergerniß zu geben. Ich aber gebe mit Freuden der ganzen Welt Aergerniß, wenn ich damit nur meiner feurigen, schönen Blume, die mich immer wie personificirtes Morgenroth anlächelt, einen Genuß mehr verschaffen kann. So weiße Zähne und so rosige Laune sind in der ganzen Welt nicht zum zweiten Male da. Ebenso hat kein Museum der Welt solch ein Wunder in Spiritus, als ich, nicht solche merkwürdige Krokodils-Kaldaunen. Ich nehme das herrlichste Weib aus dieser Geschichte mit und damit der Leser auch nicht ganz leer ausgehe, geb’ ich ihm den guten Rath: das Boot allemal, ehe er aussteigt, festzubinden. Wer nicht am Wasser wohnt, kann sich unter Boot jedes beliebige und beliebte andere Ding vorstellen oder auch sagen: Ein Sperling in der Hand ist besser, als eine Taube auf dem Dache.

Uebrigens braucht sich aber der Leser nicht einzubilden, daß ich rohen Ibis und Krokodilenschwanz gegessen, um ihm zuletzt eine solche ausgekochte Moral aufzutischen.

Es passirte mir wirklich Alles so auf meiner Ibis-Jagd. Daß ich mir doch noch einen von der schönen, rothen Species geschossen, ohne ihn aufzuessen, gereicht wahrscheinlich mir mehr zur Freude, als dem Leser. Meine Frau befand sich nach den pflichtschuldigen 9 Monaten „den Umständen nach“ ganz wohl. Aber der kleine Bengel schreit manchmal so anhaltend, als wollte er später davon leben, wie von einer Profession. Um

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 312. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_312.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)