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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Golf hin hören bald alle Bäume auf und 50 Meilen ringsum ist nichts zu sehen als Sumpf und Wasser. Hier in dieser baumlosen Wasser- und Sumpfwüste schwamm und ruderte ich, um einen Ibis zu erwischen.

Ich war von einer kleinen französisch-creolischen Colonie ganz allein abgefahren, selbst ohne Hund, da mein theurer Liebling kurz vorher, als er mir durch eine Bucht nachschwamm, von einem Alligator verschlungen worden war.

Der schläfrige Strom trug mich langsam weiter und immer weiter, ohne daß ich meinen Vogel entdeckte. Eine Zweigbucht begegnete mir sehr lockend mit ihren Inseln, auf denen Riedgräser in ungeheurer Fülle sich bogen. Ich ruderte mich hinein. Alles erschien hier unberührt und urkräftig in einer so furchtbaren Einförmigkeit und Stille, daß ich gleichsam vor mir selbst erschrack, hier mich zu befinden und sogar Lärm zu machen.

Doch hatte das Gefühl, daß ich wohl das erste menschliche Wesen sein könnte, welches dieses Stück Schöpfung sah, bald etwas Erhebendes für mich. Ich fing an, mich meiner Herrschaft über die Schöpfung bewußt zu werden und tüchtig unter die unschuldigen, noch ganz furchtlosen Thiere hineinzuschießen. Schon hatte ich einen großen Holz-Ibis und einen von der weißen Species, doch noch keinen rothen, auf den mir’s eigentlich ankam. Inzwischen holte ich mir einen weißköpfigen Adler vollends herunter, der offenbar neugierig und keine Gefahr ahnend, sich weit herabgelassen hatte, um mich in der Nähe zu besehen. Ich mochte ungefähr 3 Meilen stromaufwärts gerudert sein, als ich mich entschloß, die Ruder hereinzunehmen und mich zurück treiben zu lassen. Doch merkte ich zugleich, daß sich die Bucht weitete. Von Neugier gepackt, trieb ich rasch weiter hinauf. Nach einigen hundert Schlägen befand ich mich am Ende eines ziemlich eirunden Sees von etwa 1 Meile im Umfang. Er war tief, schwarz und voll von Alligators. Ich sah deren häßliche Riesenkörper und ihre langen, gezackten Rücken nach allen Richtungen hin und herfahren und Fische oder einander verzehren; doch war das nichts Neues für mich. Ich hatte das Schauspiel schon zu oft auf meinen Excursionen gesehen. Was mich am Meisten aufregte, waren rothschwimmende Linien auf einer kleinen Insel beinahe mitten im See. Das konnten rothe Ibis sein. So ruderte ich eifrig heran, doch vorsichtig genug, um sie nicht aufzuscheuchen. Die Sonne brannte heiß und hell und beleuchtete blendend die glänzend rothe Reihe von Vögeln, die, auf einem Beine stehend, entweder schliefen oder in tiefe Gedanken versunken waren. Jetzt sah ich, daß es keine Flamingo’s waren. Die Gestalt ihrer Schnäbel, einer Degenklinge ähnlich und ihre Größe von etwa 3 Fuß (der Flamingo hat fünf) überzeugten mich, daß ich eine Compagnie Ibis vor mir sah. Sie standen am entgegengesetzten Ende der Insel, die kaum 70 Ellen maß. Mit der größten Vorsicht schob ich den Kahn herum und legte meine Doppelbüchse an. Ich zielte und drückte sogleich beide Läufe ab. Der Rauch zerstob rasch und ich sah alle davonfliegen, bis auf einen. Mit leidenschaftlicher Hast sprang ich aus dem Kahne und auf meine Beute, einen richtigen rothen Ibis. Freudig kehrte ich zurück, sah aber zu meinem Schrecken den Kahn schon weit davon treiben. In meiner Leidenschaft hatte ich ihn nicht befestigt. Ich wollte nachspringen, merkte aber, daß das Wasser dicht am Ufer gleich klaftertief war.

Ich sah blitzschnell ein, daß mein Kahn und ich verloren seien, unwiderruflich, obgleich ich im ersten Augenblicke das Schreckliche, Beispiellose meiner Lage noch nicht im vollen Umfange einsah. Meine kleine, trostlose, öde, sumpfige Insel lag mitten in einem See, und um diesen See mitten in einem Labyrinthe von Sümpfen, Inseln, Seen und Flüssen, die noch nie ein Mensch gesehen haben mochte. Ich wußte, daß hier meilenweit ringsum kein Mensch wohne. Schwimmen konnte ich nicht und würde mir auch mitten unter Heeren von Alligatoren wenig geholfen haben. Auf der Insel kein Baum, kein Stecken, nicht die Spur von Holz, wovon ich hätte etwas zum Schwimmen machen können. Der Schrecken der Einsamkeit und Verlassenheit überfiel mich mit seiner ganzen riesigen Allgewalt. Niemand konnte mich hören oder sehen oder nur ahnen, denn in der Kolonie, wo ich mich aufhielt, war ich nur als Fremder bekannt, der sich zuweilen Wochen lang nicht sehen ließ. Sie hielten mich für eine Art Wunderthier, das zuweilen nie gesehene Thiere, die ich in ihrer Nachbarschaft geschossen, nach Hause bringe. Sonst wußte Niemand etwas von mir, und Niemand hatte ein Interesse an mir. Man konnte mich also unmöglich eher vermissen, als bis ich vielleicht verhungert oder von einem Alligator verdaut worden war.

Ich begriff dies Alles in weniger als einer Minute. Ich schrie, ich brüllte nach allen Seiten, obgleich ich wußte, daß mich Niemand hören konnte. Nur meine Stimme hört’ ich als Antwort weithin verhallen. Die Reiher kreischten und der weißköpfige Adler schien ein wahnsinniges Hohngelächter aufzuschlagen.

Ich hörte auf zu schreien, warf mein Gewehr zur Erde und mich daneben. Ich habe einmal lange in einem düstern Kerker gesessen, ich bin einmal einem Banditen begegnet, der mir die gespannte Pistole vor die Stirn hielt, Niemand wird dies angenehme Situationen nennen, auch waren sie’s für mich nicht. Ich habe mich einmal in einer Prairie von Tejas verloren, auf dem unendlichen Meere festen Landes mit mannshohem Grase, ohne die geringste Spur von Baum, Gegenstand, Stern oder sonst einem möglichen Leiter. Das war noch schlimmer. Man sieht sich ringsum die Augen aus; man sieht nichts, man hört nichts, man ist allein mit Gott und zittert vor seiner Gegenwart. Alle Sinne verschwimmen, das Gehirn dreht sich im Kreise und wir mit ihm, man fürchtet sich vor sich selbst, man erschrickt, daß man denken kann. Von Allen verlassen, fürchtest Du, daß Dich Dein eigner Geist verlasse. Das ist schrecklich, unsäglich furchtbar, aber man kann’s ertragen, denn ich habe es ertragen und würde es lieber noch zwanzigmal durchmachen, statt nur eine Minute der ersten Stunde meiner jetzigen Lage wieder zu erleben. Dein Gefängniß ist dunkel und schweigend, aber Du weißt, daß Du Mitgefangene hast und der Schließer kommen und Dir ein menschliches Gesicht zeigen wird, sei es noch so häßlich und barbarisch.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 310. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_310.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)