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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

sich uns wie eine unter dem Himmels-Dome offene Kirche, wenn wir von der Seite des Gartens aus (von der wir mit unserm ersten Artikel eine Ansicht gegeben haben) in die Halle treten.

Diese Riesenhalle, so wie auch der große Mittelgang, der ihn durchkreuzt, mit den Seitengängen und Hallen: sie alle sind mit einer Fülle von Bäumen, Sträuchern, Blumen, Pflanzen ausgeschmückt, geordnet nach den verschiedenen Zonen. Dazwischen befinden sich lebende Vögel in Käfigen, und andere Thiere, ausgestopfte, als wenn sie lebend wären, nach dem Verfahren des königlichen Conservators Plouquet in Stuttgart. Auch die Insekten und Würmer fehlen nicht. Ausgestopfte Fische scheinen wundersam im Wasser zu schwimmen, in Folge einer neuen Methode, die das Leben nachäfft. Die Schmetterlinge wiegen sich auf den Blumen, farbenprangende Käfer, statt wie es bei uns geschieht, aufgespießt an der Wand zu hängen, sitzen auf seltsamen Cactus und Orchideen. Und, damit die Täuschung recht lebendig sei, sieht man ringsum auch Gegenstände aus der unbelebten Natur und der schaffenden Arbeit des Menschen in derselben. „Es sollen – wie man schreibt, nämlich nicht blos die mannigfachsten Formationen der Erdkruste verschiedener Länder, sondern auch die geologischen Schichtungen einzelner besonderer Punkte zur Veranschaulichung gebracht werden. Man wird sorgfältig gearbeitete Modelle zur Verdeutlichung der Arbeiten in Bergwerken, zur Erläuterung von Vulkanen und Erdbeben, und zur Beleuchtung der praktischen Bedeutung der Erdkunde in Bezug auf Anlage von Brunnen, Wasserleitungen, Schächten u. s. w. aufstellen.“ –

Aber auch die Veranschaulichung des Menschen als Bewohner der Erde fehlt nicht. Man sieht plastische Bildwerke der verschiedenen Menschenfamilien in ihrer Pracht und in ihrer Lebensweise mit ihrem Haus- und Ackergeräthe, ihren Waffen, Wohnungen und Gefährt.

Hierzu tritt nun noch die alte und neue Kunst mit den Schöpfungen des Gewerbfleißes.

Alle diese Wunder, die den Geist erheitern und bilden, umringen uns in diesem Palast: man könnte wohl sagen in dieser Welthalle! –

In der Mitte des Querschiffs steigt eine krystallne Wassersäule empor. Links und rechts an den Enden des Mittelganges führen Brücken über Teiche mit lebenden Fischen und seltenen Wassergewächsen. Vom Eismeere steigen wir hinab in die gemäßigte Zone und gelangen über den afrikanischen Wüstensand in die Gegenden des ewigen Frühlings und in die Goldregionen von Australien. So reisen wir elektrisch-telegraphisch. Aber auch wie Mohamed, der in einer Secunde Schlafs Jahrtausende durchlebte, durchwandern wir die Zeitalter sogar die vorweltlichen Perioden und kaum daß wir uns von der Stelle bewegen. Die Mammouth’s, Mastodonten, Megatherier und Saurier und wie die colossalen Gebilde der Urtiere alle genannt werden, stehen um uns. Daneben steckt „die Nadel der Cleopatra“ (ein schöner Obelisk aus Aegypten) und nicht weit davon im Hofe zu Ninive sind die 3000jährigen Halbhochbilder der schöngelockten Assyrier und ihres politischen und häuslichen Lebens aufgestellt. Von Ninive und Nimrud kommen wir nach dem alten Aegypten mit den räthselhaften Sphinxen, Hieroglyphen, Mumien, Apis, Isis und Osiris, ganz anders als wir sie in der Zauberflöte zu sehen gewohnt sind. Von da gelangen wir nach Griechenland, beschauen uns das Parthenon und die Wunderwerke des Phidias. Wir durchschreiten nun das alte Rom, das (nach Schiller) jetzt „mit allem seinen Glanze nur ein Grab ist der Vergangenheit“ und erholen uns vom Taumel der Jahrtausende in der Erfrischungshalle der Alhambra, dem Löwenhof, der in Sydenham erhalten wird, während er in Spanien verfällt. Mit frischen Kräften ausgerüstet, durchschreiten wir gegenüber die mit der Kunst des Mittelalters und der Renaissance geschmückten Hallen. Durch blühende Gebüsche winden wir uns allmälig zu den herrlichen Seidenstoffen und Schals hindurch, die sich links vom Querschiff befinden. Von dort gehen wir zu den nützlichen Wollen-, Baumwollen- und Leinenwaaren über, betreten dann auf der nördlichen Seite die Schauräume für die unendliche Mannigfaltigkeit der Stück- und Kurzwaaren und flüchten uns zuletzt, geblendet von dem, wenn auch falschen doch schönen Glanz der Birminghamer Waaren, angegriffen von dem Gepränge der Waffen und Stahlarbeiten aus Sheffield, entzückt aber ermüdet vom Anblicke der Teppiche, Tapeten, Spitzen, Schleier, Hauben, Hüte und Blumen, bei denen sich unsere holden Begleiterinnen ein wenig zu lange aufhielten, in das Compluvium der pompejanischen Erfrischungshalle.

Hier schwärmen wir einige Minuten von Rosen bekränzten Festessen und Gelagen und begeben uns, des Genusses voll, nicht des Genossenen – denn dieses ist sehr nüchtern gewesen, kraft des Verbots, geistige Getränke zu verabreichen – nämlich des Genusses geistiger Speise voll, durch das Tablinum von Seristyl und das Triclinium zur Treppe, die auf die Gallerien führt. Abgespannt, wie wir sind, wagen wir inzwischen nicht, unsere Begleiter auf dem kühnen Pfade unserer Phantasie zu nöthigen, uns weiter zu folgen und sich alle die auf den Gallerieräumen ausgebreiteten kleinen und großen Unendlichkeiten des Kunst- und Gewerbfleißes zu beschauen. Dort liegen sie zur Schau ausgebreitet in immerwährender Ausstellung, wahrscheinlich aber bei stetem Wechsel, um nicht zu veralten und nicht zu langweilen.

Unsere Wanderung in Gedanken durch den Krystallpalast von Sydenham ist zu Ende.

Wie lange es noch dauern wird, bis jener Palast wirklich in Besitz aller seiner Schätze ist und durchwandert werden kann, ist jetzt noch nicht zu bestimmen, noch viel weniger aber, ob wir ihn je einmal durchwandern werden. –

Wir lassen uns inzwischen an der Phantasie genügen, denn:

„Was sich nie und nirgend hat begeben,
Das allein veraltet nie!“ –





Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 308. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_308.jpg&oldid=- (Version vom 12.4.2020)