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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Stille zu Dir herniederleuchtete, so ist vielleicht zuweilen in Dir die Frage aufgestanden: Wie viel mögen das wohl Sterne sein, die ich mit bloßem Auge sehe? Du hast vielleicht sogar einmal den Versuch gemacht, eine Anzahl zu zählen, bist aber bei der übergroßen Anzahl bald davon zurückgekommen. Und gleichwohl ist Deine Frage nicht unschwer zu beantworten. Wer von Gott mit einem recht scharfen Auge gesegnet ist, der erblickt in unsern Breitegraden, wenn die Nacht vollkommen dunkel und die Luft möglichst rein und klar ist, etwa zweitausendfünfhundert unterscheidbare Sterne.

Diese sämmtlichen Sterne sind nun von den Astronomen, je nach ihrem größern oder geringern Lichtglanze, in verschiedene Classen oder Größen eingetheilt worden. So stellt der berühmte Archelander in Bonn, und zwar für das ganze Himmelsgewölbe, von dem wir bekanntlich stets nur die eine Hälfte zu sehen bekommen, folgende Berechnung auf: Es leuchten am Himmel von

Erster Größe 20 Sterne,      0Vierter Größe 425 Sterne,
Zweiter Größe 65 Sterne,      Fünfter Größe 1100 Sterne,
Dritter Größe 190 Sterne,      Sechster Größe 3200 Sterne.

Diese sechs Classen der unter den günstigsten Verhältnissen dem unbewaffneten Auge sichtbaren Sterne würde eine Anzahl von 5000 ergeben. Nimmt man die Hälfte davon, die auf unsre Himmelshalbkugel kommen, so erhält man die oben angegebene Zahl von 2500.

Dies wären denn die dem bloßen Auge sichtbaren Sterne. Aber mit ihnen ist der Reichthum der Sternenwelt lange nicht abgeschlossen. Nehmen wir ein Fernrohr zur Hand, das uns die Sterne der siebenten Größe – und die Astronomen zählen bis zur 15. und 16. Größe – erkennen läßt, so vermehrt sich die Anzahl der Sterne sofort um 13,000. Die Sterne der achten Größe bereichern den Himmel um 40,000; die der neunten Größe um 142,000 und so fort. Welch’ Sternengewimmel, welche Pracht, welcher Reichthum der Schöpfung! Ja, wer Gelegenheit und das Glück haben könnte, durch einen der großen Riesentelescope, wie solche namentlich in England anzutreffen, zu schauen, der würde den uns sichtbaren Theil der Milchstraße in etwa achtzehn Millionen unterscheidbare Sterne aufzulösen vermögen.

Seit es der neuern Astronomie gelungen, vermöge ihrer Instrumente von außerordentlichster Tragweite selbst eine Unzahl der seit Jahrtausenden dem menschlichen Auge verschleierten Nebelflecke in Sternenstückchen abzuklären, erscheint der Reichthum der Fixsternwelt geradezu unermeßlich. Nach einer mathematischen Wahrscheinlichkeitsrechnung schätzen die Astronomen die Anzahl sämmtlicher Sterne am ganzen Himmel auf 273 Millionen. Und wo ist selbst hier die Grenze!

Die verschiedenen astronomischen Sternverzeichnisse führen 25,000, 50,000, ja 75,000 einzelne Sterne auf, die alle sorgfältig beobachtet und deren Stand am Himmel mit außerordentlicher Genauigkeit bestimmt worden ist. Wie weit es überhaupt die Astronomie in der Haarschärfe ihrer Beobachtungen heutzutage gebracht hat, davon will ich später erzählen. Diese sorgfältigen Sternenverzeichnisse reichen also weit über die Anzahl der uns mit bloßem Auge sichtbaren Sterne hinauf. Man kann also getrost behaupten, daß kein Stern am Himmel steht, und wenn er uns als noch so unbedeutendes Fünkchen erschiene, der nicht der genauesten Beobachtung und der gewissenhaftesten Berechnung unterlegen hätte.

Der Reichthum der Sternenwelt erscheint uns von unserm dunkeln Erdensandkörnchen aus nicht ganz gleich vertheilt. Wir erblicken sowohl mit bloßem Auge, als hauptsächlich durch die Telescope sternenarme und auch wieder sehr sternenreiche Gegenden. So stehen in der Gegend des prachtvollen Sternbildes Orion auf einem Raume von etwa 30 Vollmondlängen und 4 Vollmondbreiten Funfzigtausend unterscheidbare Sterne. Am Sehfelde des zwanzigfüßigen Spiegeltelescopes des großen Astronomen William Herschel[1] zogen – in der Nähe der Milchstraße binnen 41 Minuten etwa 258,000 unterscheidbare Sterne vorüber.

Alle dem bloßen Auge unsichtbare und nur durch die Fernröhre erkennbare Sterne werden telescopische Sterne genannt. Kehren wir eine zeitlang zu den nichttelescopischen, wie wir sie Abends mit unbewaffnetem Auge erblicken, zurück.

Bereits im grauen Alterthume theilte man diese Sterne in Gruppen oder Sternbilder, denen man großentheils die Namen von Helden und Thieren, in neuerer Zeit sogar von nützlichen physikalischen Instrumenten wie: Herschel’s Telescop, Electrisirmaschine, Kompas, Buchdruckerwerkstätte u. s. w. beilegte. Man darf aber nicht glauben, daß die betreffenden Sternbilder in ihrer Sterngruppirung auch nur eine entfernte Aehnlichkeit mit dem Gegenstande haben, dessen Namen sie tragen. Höchstens könnte das Kreuz des Süden, dessen glanzvolle Sterne der Gestalt eines Kreuzes ähneln und die drei hellen in gerader Linie neben einander stehenden Sterne im Orion, die unter dem Namen des Jacobstabes bekannt sind, eine Ausnahme machen. Die bekannten sieben Sterne, welche unsern Himmelswagen bilden, sind kein Sternbild für sich, sondern nur der vierte Theil des Sternbildes des großen Bären. Die Benennung der Sternbilder der Alten hing auf das Innigste mit ihren Helden- und Göttersagen zusammen. Diese Sterngruppen, die in den verschiedenen Jahreszeiten regelmäßig ihre goldenen Bahnen wandeln, waren den uralten Völkern ein untrüglicher himmlischer Kalender; dem Hirten, Ackerbauer, Jäger und Seefahrer ein sicherer Wegweiser. Bei Beschreibung des Zodiakus oder himmlischen Thierkreises in einem spätern Artikel, werde ich ausführlicher hierauf zurückkommen. Heutzutage bekümmert sich die Wissenschaft der Astronomie wenig mehr um die Sternbilder. Sie zieht ein Netz von geometrischen Linien über das Himmelsgewölbe und kann darnach weit sicherer den Standpunkt eines Sternes bestimmen, als mit Hülfe der abenteuerlichen Gestalten von Menschen, Thieren und Geräthschaften. Daher

  1. Noch jetzt glänzt der Name Herrschel leuchtend in der astronomischen Welt. Es ist John Herrschel, der ebenbürtige Sohn des großen William, dem wir die großen Entdeckungen am Südhimmel verdanken.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 294. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_294.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)