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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

bei ihr versehen sollte, in einem Seitenstuhle saß, war während des Gottesdienstes in einer fieberhaften Aufregung. Als der Geistliche, es war ihr Lehrer im Christenthume, an das Taufbecken trat, erhob sich das Mädchen rasch, aber sogleich wich alles Blut aus ihrem Gesichte und sie mußte sich auf den Arm ihres Oheims stützen. Der verständige Pfarrer sprach nur wenige passende Worte, weil er einsah, wie angreifend das alles für ein zartes Mädchen sein müsse. Als er mit der feuchten Hand ihren Scheitel berührte, sank der schöne Täufling mit einem leisen Schrei in die Arme des ihr zunächststehenden Pathen, doch sie erholte sich sogleich wieder und die Handlung endigte ohne weitere Störung.

„Gott verdamm mich,“ sagte ein junger Herr, der mit zwei andern in einem Kirchstuhle stand. – „Ich gäbe gleich zehn Thaler drum, wenn sie mir in den Arm gefallen wäre, das prächtige Kind. Seht nur, wie sie die Augen so schmachtend aufschlägt; man möchte gleich des Kukuks werden. Was sagen Sie, Reichardt? Sie sind ganz Blick,“ wandte er sich zu einem andern, der Veilchen unverwandt ansah.

„Ruhig, Sie stören ja die Versammlung,“ erwiederte der Angeredete.

„Na wahrhaftig, noch geschehen Zeichen und Wunder,“ sagte der Erste lachend. – „Reichardt wird fromm. Von solch’ einem reizenden Apostel ließe sich wohl jeder gern bekehren.“

Veilchen war auf die Namen Viola Augusta getauft worden, da die Oheime sie bei ihrem alten Namen fortzunennen wünschten, beide Benennungen paßten vortrefflich für sie. War sie doch anspruchslos wie ein verschämtes süßduftendes Veilchen und doch so erhaben in ihrer Bescheidenheit. Als sie da stand, wagte sie einen scheuen Blick auf die christliche Gemeine, der sie nun auch angehörte und flüsterte: „Alle will ich sie lieben, und sie werden auch mich lieben.“ – Armes Veilchen!

„Aber was wandelte Dich an, Kind?“ fragte Moses auf dem Heimwege.

„Als ich die nasse Hand auf dem Scheitel spürte, war es mir gerade, als schlüge eine Welle über meinem Haupte zusammen.“




„Sie kennen mich wohl nicht mehr, Herr Heinemann,“ fragte eine ärmlich gekleidete Frau, die schüchtern grüßend eingetreten war.

Moses betrachtete sie forschend und sagte dann: „Sie kommen mir bekannt vor, aber ich kann mich nicht besinnen.“

„Ja, ich habe mich verändert in den siebzehn Jahren. Ich bin ja die Hanne, die dazumal bei Ihnen gedient hat, wie – wissen Sie,“ – dabei sah sie Veilchen an.

„Richtig, jetzt erkenn’ ich Sie wieder. Setzen Sie sich. Wie geht’s, wie steht’s?“

„Ich danke, nicht besonders. Ich wollte mich eben bei Ihnen nach einem Dienste erkundigen, ich habe gehört, Sie geben sich damit ab.“

„Nun, wir haben immer derlei Aufträge. Wie heißen Sie denn? Noch wie sonst oder – ?“

„Ich war verheirathet und heiße Käufling.“

„Da könnte sie wohl die Aufwartung bei uns bekommen; ich bin ohnehin mit Christeln nicht zufrieden,“ sagte Veilchen.

„Auch das. Da kommen Sie morgen gleich zu uns, Hanne. Wenigstens für den ersten Riß ist gesorgt.“

„Ja, Sie sind immer gute Herren gewesen,“ erwiederte die Frau gerührt. – „Der Mensch weiß oft nicht, was er thut, sonst besänn’ er sich anders. – Und das ist das Töchterchen! Ja, wie die Jahre hingehn! Es ist mir, als wär’ es gestern Abend gewesen, daß Sie auf die Welt kamen, Mamsellchen. Ach, das war eine Nacht! – Mit Herrn Reichardt halten Sie wohl keine Freundschaft mehr wie ehedem?“

„Herr Reichardt ist ein steinreicher vornehmer Mann geworden, und wir arme Leute, das paßt nicht zusammen,“ erwiederte Moses mit einem bittern Lächeln.

Hanne murmelte etwas vor sich hin und schüttelte den Kopf leise. – „Die Frau Mutter lebt wohl schon lange nicht mehr, sie war damals schon bei Jahren?“

„Doch ist sie erst vorigen Spätherbst gestorben.“

„Eine brave Frau, Gott habe sie selig; habe oft an sie gedacht. Nun da will ich so frei sein und morgen kommen, weil Sie so gütig gewesen sind.“ – Damit stand Hanne auf und ging.




O süßes Geheimniß verschwiegener erster Liebe! Veilchen ging so still und feierlich, so verklärt umher; eine tiefe Befriedigung sprach aus ihrem ganzen Wesen. Kam aber der Abend herbei und mit ihm die Stunde, wo sie ihren Heinrich in Hannen’s kleinem Stübchen sehen sollte, dann bemächtigte sich ihrer eine fieberhafte Unruhe, die sich nur legte, wenn sie in seinem Arme ruhte. Oft fiel es ihr freilich schwer auf das Herz, daß sie ein Geheimniß vor ihren Oheimen hatte, aber stets beruhigte sie Heinrich damit, daß gerade in der Heimlichkeit ihrer Liebe deren Weihe beruhe. Wenn das Paar in ihrer kleinen Stube saß, stand Hanne wohl in einem dunkeln Winkel mit gefalteten Händen und pries sich im Stillen selig, daß sie die beiden jungen Leute so glücklich gemacht. Sie ging überhaupt mit einem zufriedenlächelnden Gesichte umher, als habe sie etwas recht Tüchtiges vollbracht und die Lösung einer schweren Aufgabe gefunden.

Frühling und Sommer starben lächelnd hin, denn sie sahn Veilchen glücklich; es kam der rauhe Herbst, der die Blüthen des Sommers tödtet.

Heinrich war schon einigemale nicht erschienen, Veilchen wurde immer blässer, und Hanne, selbst beunruhigt, vermochte ihr keinen Trost zu geben. In der Abenddämmerung traf ihn endlich die Aufwärterin auf der Straße. Sie sagte ihm, wie sehr sich seine Geliebte ängstige, er möge doch kommen, ihre Unruhe zu stillen.

„Ich will Ihnen was sagen, Frau Käufling,“ erwiederte er verdrießlich. – „Ganz offen: ich bin der Geschichte überdrüssig. Wozu soll es ferner führen? Ueberdies verlob’ ich mich nächster Tage. Sie sehen ein,“ –

„Verloben!“ unterbrach sie ihn mit erstickter Stimme. „Und Veilchen?“

Der junge Mann zuckte verlegen die Achseln. „Lieber Gott! sie ist ein liebenswürdiges, prächtiges Mädchen, ich habe sie recht gern, aber – heirathen kann ich sie doch nicht.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 275. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_275.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)