Seite:Die Gartenlaube (1853) 252.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

nicht; denn der Fall ist ernst. Sie müssen wissen, ich liebe mein Volk, und ich wünsche, daß mein Volk mich liebt. Sie mögen nun erwägen, ob eine blaue Schleife oder eine weiße Schleife an meinen Schuhen bessere Dienste leisten werde, um meinen Füßen seine Huldigungen dargebracht zu sehen. Aber wie? Sehe ich recht? Mein erster Leibarzt wagt es, der Nase seiner souverainen Herrin gewaltige Tabackswolken als Weihrauch zuzusenden?“

„Es möge sofort einer der Herren Gesandten den Hippogryph besteigen, um im Monde nachzusehen, ob nicht diesen Morgen nach dem Frühstück die Vernunft des guten Doctor’s denselben Weg gegangen ist, wie die des seligen Roland?“

Und tausend unschuldige Scherze, tausend drollige Einfälle folgten einander und brachten die wackern Seeleute so herzlich und so anhaltend zum Lachen, daß ihnen darüber ihre großen Pfeifen unter den Händen ausgingen.

Wer sich aber am allermeisten über die Triumphe des liebenswürdigen Kindes zu freuen schien, das war ein alter Matrose aus der Bretagne, Peter Hallo, der mehr Narben als Runzeln an sich trug. Er hatte gerade an diesem Tage als späten Lohn langer und treuer Dienste eine Ehren-Medaille erhalten, und war in dessen Betracht von dem Capitain zur Tafel gezogen worden, an welcher die beiden Damen, die Creolin und Verwandte des Capitains, die Ehrenplätze einnahmen. Maria Rosa, so hieß das junge Mädchen, hatte schon seit längerer Zeit mit großer Bewunderung von den ausgezeichneten Thaten Peter Hallo’s erzählen hören. Sie hatte ihn unter Schmeicheleien beglückwünscht, und das Herz des rauhen Greises, dem solche Gefühle ganz neu waren, hatte bei den Liebkosungen des Kindes ebenso laut geklopft, als bei dem Empfange der Ehrenmedaille.

Er allein war es, der sich ganz ihrem Dienste geweihet hatte, und er allein war es auch beinahe, der über sie wachte; denn die Tante Maria Rosa’s, eine gute Alte, welche von der Gicht an den Stuhl gefesselt war, beschäftigte sich den ganzen lieben Tag lang mit der Lectüre des heiligen Augustinus und unterbrach sich nur dann und wann durch den Ausruf: „Ici Minette! ici Marie-Rose!“ wenn sie etwa wahrnahm, daß ihre Katze einer Maus in den Schiffsraum nachlaufen, oder daß ihre Nichte, sobald ein Sonnenstrahl sich blicken ließ, auf das Verdeck springen wollte.

Aber Maria Rosa, die, wie die meisten Kinder in den Colonien, in großer Unabhängigkeit aufgewachsen war, hörte es nicht oder wollte es nicht hören. Bald stieg sie in’s Takelwerk und schaukelte sich an den Tauen – dann nahm Peter Hallo unten seinen Stand und war bereit, sie, wenn sie etwa auf das Verdeck fallen sollte, mit seinen großen Händen aufzufangen, wie er ein vom Fluge müdes Vögelchen aufgefangen haben würde, oder, wenn der Wind sie in das Meer geführt hätte, sie schwimmend herauszufischen; bald vergnügte sie die müßige Schiffsmannschaft durch Tanz und Gesang – dann stand Peter Hallo mit gespannter Aufmerksamkeit da, und es schien, als ob ihm plötzlich ein Sinn aufgegangen sei, für das Verständniß ihrer Verse und ein neues Gefühl, um die Anmuth ihres Wesens zu würdigen.

Am andern Tage nach dem Feste und ihrem kurzen Königthume sah das liebenswürdige Kind sehr traurig und niedergeschlagen aus, und der alte Meerwolf stellte sich besorgt und schweigend vor sie hin, wie eine Pudelhündin, die ihren Herrn weinen sieht. Sie konnte es nicht über sich gewinnen, den guten Alten auf diesen rührenden fragenden Blick ohne Antwort zu lassen, und machte ihn zu ihrem Vertrauten.

Eine alte Maron-Negerin[1], die für eine Zaubererin galt, und welcher Maria Rosa heimlich Brod in den Wald hinaus zutrug, hatte ihr eine seltsame Wahrsagung gemacht, die ihr das Köpfchen eingenommen hatte, und die sie ihrem ganzen Wortlaute nach wieder zu geben wußte:

Gute, kleine Herrin, ich haben sehen in der Wolke einen großen Condor steigen, sehr hoch, sehr hoch, mit Rose in seinem Schnabel. Du sein Rose. Du sehr unglücklich – dann Du Königin; dann großer Sturm und Du sterben.

„Gestern war ich Königin,“ fügte sie hinzu, „und nun, denke ich, muß der Sturm kommen, der mich im Meere begräbt.“

„Sein Sie nicht ängstlich, liebes Fräulein,“ erwiederte ihr Hallo, „wenn dem Reiher ein Unglück widerfahren sollte, so greifen Sie fest in die Seite meines Gürtels herein – so, hieher, – und mit Hülfe Gottes und meines Schutz-Patrons (das war ein großer Heiliger, sehen Sie, denn er ging auf dem Wasser, ohne hineinzusinken, und das ist, auf Seemannswort, ein schönes Wunder,) sollen Sie sanft anlanden, wie eine Goëlette, die von einem Dreimaster bugsirt wird.

Maria Rosa, die wieder etwas Muth schöpfte, belohnte die Hingebung des wackern Mannes dadurch, daß sie ihm eine Romanze vorsang, die noch Niemand von ihr gehört hatte. Sie enthielt ihre Klagen und ihr Lebewohl, wie es, als die Abreise entschieden war, ein junger Creole, ihr Nachbar, in Verse gebracht und in Musik gesetzt hatte:

Brich’ Negerknabe, mir zur Krone,
Der Blüthenfluren Schmuck und Wonne;
Die Negerin, die in Waldesnacht
 Entflohne,
Verhieß mir zehnmal Königs-Pracht
 Und Macht.

Was ist es, daß der Knabe zittert?
Hat er den Nordwind schon gewittert,
Der nur auf’s Neue jetzt das Haupt
 Erschüttert?
Mir all’ mein blühend Glück entlaubt
 Und raubt?

Schon müssen meine Thränen rinnen;
Leb’ wohl! das Meer sollt’ ich gewinnen
Für dich, du mein Drei-Insel-Land,
 Darinnen
Die kleine Barke, licht am Strand,
 Mir stand.

Leb’ wohl, muß ich, vom Wind enttragen,
Der Heimath und der Schwester sagen.
Der Blume Stern sinkt, wo ihr Stern
 Sollt’ tagen.
Ich ruht’ am Herz Dir, Schwester fern,
 So gern!


Aber es gibt ein Alter, in dem alle Schmerzen leicht und flüchtig vorüberrauschen, wo die Thräne, die Abends


  1. Entflohene Negerin.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 252. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_252.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)