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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Tage? Die Wirthin hatte auch dafür gesorgt. Konnte mich die arme Frau zum Hofmaler machen oder bei einem Lord einführen? Nein, aber doch in einen Lumpenboden mit fünf Schillingen wöchentlich. Lum – Ja, ich schreibe keine Dichtung, ich meine auch nicht etwa einen blos lumpigen, sondern einen großen, wirklichen Lumpenboden (pag-Shop) mit sechszehnverschiedenen Beamten in den Departements der leinenen und kattunenen, der wollenen und halbwollenen und der gemischten Lumpen, der verschiedenen Maculatursorten und der Knochen. Blos acht Tage arbeitete ich im Knochen-Departement, dann avancirte ich schon zum Papiere und zwar gleich zum Sortiren des feinen und gröbern. Freilich nach vier Wochen waren meine Augen schon so entzündet, daß ernstlich an einen Arzt gedacht werden mußte. Auch hier schaffte die brave, dicke Wirthin Rath und sogar ein Hospital, das deutsche Hospital weit oben in Dalstow (einem äußersten, nordöstlichen Stadttheile Londons). Der brave Doctor Heß heilte nicht nur die Augen, sondern verschaffte mir auch Eintritt in einige deutsche Familien, die mich aus Gnad’ und Barmherzigkeit Portraits malen ließen. Das schwerste, sauerste Brod, das ich je gegessen! Es klingt wieder sehr unzart, wenn ich melde, daß ich mich in den Lumpenboden zurücksehnte, aber es ist doch wahr, und vor der Wahrheit muß man immer Respect haben, in welcher Gestalt sie auch auftrete. Aber was half’s? Dort war keine Stelle vacant und so fuhr ich fort, Leute auszuspioniren, die sich portraitiren ließen. Man hatte mir die Gegenden jenseits des Towers empfohlen, wo viele deutsche Capitains und Matrosen zu finden seien. Und wirklich, dort erblühte mein Glück. Diese Art Herren haben nicht so feine Physiognomien und Ansprüche und waren leicht zu treffen und zu befriedigen. Mancher Matrose zahlte nicht nur Geld, sondern auch herzlichen Dank für die Freude, daß er nun seine Physiognomie einer alten Mutter oder einer jungen Liebsten schicken könne. So kam ich durch Praxis und Empfehlung immer weiter in den Hafen hinein, einmal auch auf ein Schiff, das auf Wind für Amerika lauerte. Dort hatte ich namentlich den Steuermann gut getroffen. Sogleich versprach mir der Capitain zehn blanke Thaler, wenn ich ihn eben so gut träfe. Ich ging an’s Werk, aber natürlich nicht als freier Künstler, sondern als eine für zehn Thaler verkaufte Seele. Und dazu der steife Grog! Und dabei das immerwährende Aufspringen und Donnern unter den Matrosen von Seiten des Capitains! Der Wind wurde günstig, ehe ich ihn nur im Umrisse günstig conterfeit hatte. Ich entschloß mich kurz, mitzufahren. Ein Bischen Seekrankheit ärgerte mich anfangs, ging aber bald vorüber. Am Tage spielten wir Karte und tranken Grog, des Nachts wurde geschlafen.

So kamen wir mit wenigern Abenteuern, als auf der kürzesten Poststation, eines Nachmittags in New-York an. Matrosen und Capitain sahen weder links noch rechts und würdigten das Gewühl am Strande keines Blicks. Alle hatten’s schon hundertmal gesehen. Auch mir fällt es nicht ein, New-York zu beschreiben. Was gibt’s denn hier zu schildern? Geschäfte, große und kleine Geschäfte, verdorbene oder verschlissene Deutsche, Louis Drucker, Linden-Müller, Irländer. – Inwendig mag manches Herz schlagen und manches edle Gefühl und manche schöne That blühen – ich habe nichts davon bemerkt. Ich portraitirte mich bald immer weiter nach Südwesten hinein, ohne daß mir dabei etwas Besonderes passirt wäre. Alles, was ich erlebte, beschränkt sich auf pecuniäre oder appetitionäre Verlegenheiten, aus denen ich mich dann immer so ziemlich mit etwas farbiger Kreide herausstrich. Nur Musikanten und Portraitmaler können so in die Welt hineinlaufen, wie ich, allenfalls noch Handwerksburschen. Andern Leuten mag ich’s nicht rathen.

Endlich bin ich in einer kleinen, jungen Stadt weit innen im Lande. Ich will sie nicht nennen, denn ich habe es mit lauter wirklich lebenden Personen zu thun. In der kleinen Stadt bin ich Gehülfe bei einem Franzosen, der fabrikmäßig portraitirt. Er macht die Gesichter, ich die Haare und Kleider, ein Anderer die Rahmen u. s. w. Die Personen brauchen blos 1/2 Stunde zu sitzen. Drei Stunden nachher wird ihnen das Portrait mit Glas und Rahmen und einer quittirten Rechnung in’s Haus geschickt. Letzteres besorgt ein hübscher Junge mit einem Tressenkragen. Eines Tages kömmt ein schönes Mädchen herein. Der Fabrikherr wirft eben die Züge eines alten Herrn auf’s Papier, während eine dicke, rothlockige Mutter mit ihrem Jungen aus einer Tasche ißt und öfter fragt, ob sie bald dran kämen. Die junge, schöne Dame eröffnet, daß sie gar keine Zeit habe, und es müsse überhaupt sehr rasch gehen, sonst sei sie genöthigt, sich an einen Andern zu wenden. Wer aber läßt die Kunden in einem Geschäft gerne gehen? Der Portraitfabrikherr fragt mich, ob ich’s wagen wolle? Ei warum nicht! Die junge, schöne Dame setzt sich mir gegenüber, und daß nun der Zeitpunkt gekommen ist, wo die Liebesgeschichte anfängt, versteht sich. Sie war selbst unter den schönen Amerikanern schön, außerdem wohl kaum 17 Jahre alt. Auch ich bin nicht häßlich, so viel weiß ich als Portraitmaler, und hab’ ich nicht einen Schnürenrock und einen schönen Bart rings um und langes Haar mit etwas natürlicher Lockung? Außerdem mußte sie durch das viele gegenseitige Ansehen bald merken, daß ich mit einem nicht schlechten Herzen voll heiliger Bewunderung für dieses feine, frische, edele, schöne Gesicht war. Doch wozu so etwas schildern? Die Sache ist, daß wir uns in der ersten Stunde gegenseitig liebten und zwar sehr eifrig. Sie war viel zu offen und naiv, als daß ihr das Versteckspielen hätte gelingen sollen. Sie wohne „sechste Straße,“ die nur aus einem einzigen Hause bestehe, sagte sie, als sie sich verabschiedete. Man möge eine bestimmte Zeit festsetzen, wenn das Portrait abgeliefert werden solle, damit sie’s im Garten in Empfang nehmen könne; Vater sollt’ es nicht sehen. Die armen Amerikaner haben keine Geschichte, keine Könige, keine großen Kriegshelden, nach denen sie ihre Straßen taufen könnten, und so helfen sie sich mit magern Zahlen, um sich in ihren nüchternen geraden Straßenzeilen zurechtzufinden.

Sechste Straße – einziges Haus! Das ist ja kinderleicht zu finden, dacht’ ich und trug das Portrait natürlich selbst hin. Aber die vierte und fünfte Straße und die siebente und achte Straße bestanden auch erst aus einzelnen, zerstreuten Häusern, deren Linien in der Dämmerung sich gar arg verwirrten. Nachdem ich vergebens an mehreren einzelnen Häusern herum spionirt hatte, ob sich das liebe Gesicht zeige, kam sie mir endlich entgegen, nahm das Portrait in Empfang, fragte nach der Rechnung und öffnete ihr Taschenbuch.

„Es kostet mehr, als Sie da in dem Buche haben,“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 242. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_242.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)