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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

No. 23. 1853.
Die Gartenlaube.


Familien-Blatt. – Verantwortlicher Redakteur Ferdinand Stolle.


Wöchentlich ein ganzer Bogen mit Illustrationen.
Durch alle Buchhandlungen und Postämter für 10 Ngr. vierteljährlich zu beziehen.


Der Genius von New-York.

oder
Abenteuer eines geflüchteten Kurhessen.

Auch ich war in Arcadien geboren, nämlich in Kurhessen, und dort auch Maler geworden. Aber was ist ein Maler, der nicht trifft? Ich war brodlos und wurde auch heimathlos, nachdem ich einen berühmten Mann gemalt und nicht getroffen hatte. Besonders, weil die Finger zu lang gerathen waren. – Glücklich war ich in London angekommen; aber wie hier glücklich durchkommen? Ich hatte mir die Stiefeln schief und die Sohlen abgelaufen. Niemand wollte mir Gehör, geschweige Arbeit und Brod geben. Niemand hatte Zeit, am Wenigsten dazu, Geld für Kunst auszugeben. Ich glaube auch, daß die Leute hier nur deshalb so reich sind, weil sie niemals Zeit haben, Geld auszugeben. Die Zeit reicht kaum hin, um es zu verdienen.

Gott, rief ich, was ist das für eine Welthauptstadt, wo die Leute Alles haben, nur keine Zeit! Nicht einmal gemeine, nach Stunden und Minuten gemessene Zeit, geschweige Muße. Ohne Zeit keine Muße, ohne Muße keine Musen. Ich traf manche deutsche Brüder, die mir alle riethen: habe Geld und fang’ ein Geschäft an, sonst gehst Du zu Grunde. Andere meinten’s noch redlicher und gaben mir noch bestimmtere gute Regeln: Nicht blos Geld sollt’ ich haben, auch feine Wäsche und Kleider, einen Backenbart und glanzlackirte Stiefeln, sonst komme man unter den Engländern nicht fort. Das rieth man mir, der ich schon 14 Tage lang nach Verwirklichung meines nächsten Ideals strebte, ohne es zu erreichen: neuer Sohlen unter meine kurhessischen Stiefeln.

Doch ich will mich über diese sich immer mehr ausdehnenden Zwischenräume zwischen Oberleder und Sohle nicht zu weit ausdehnen, zumal da ich dann der Vollständigkeit wegen auch die Gründe auseinander setzen müßte, warum ich den rechten Arm immer sehr knapp um die Seite hielt, was nicht meine Gewohnheit war, als ich unter dem Arme noch nicht zu erröthen brauchte. Ich dachte: Streckt sich doch Mancher, der mehr hat und ist, als ich, nach der Decke; warum soll ich nicht wenigstens den Arm nach einer Stelle, die nicht gehörig bedeckt ist, strecken? Aber, wie gesagt, ich will an diesen meinen Gebrechlichkeiten nicht zum Maler werden und über eine Zeit hinwegeilen, in der ich jedenfalls verhungert wäre, wenn nicht meine Wirthin, eine sehr arme Frau, Erbarmen und Brod für mich gehabt hätte. Ich schreibe keine Dichtung, sondern ein Stück Leben, wie sich’s eben wirklich zusammensetzte.

Ich bin angestellt. Brod! Eine Stelle! Etwas Gewisses jede Woche! Was will der Mensch mehr heut zu

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 241. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_241.jpg&oldid=- (Version vom 12.4.2020)