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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

„Elsbeth!“ – riefen beide Männer zugleich. „Was ist Dir?!“

„Dem Himmel sei Dank, es war nur ein Traum,“ stöhnte die junge Frau, schwer aufathmend und schmiegte sich zitternd an des Gatten Brust. – „O!“ fuhr sie fort – und bedeckte einen Augenblick mit beiden Händen ihr Antlitz, als fürchte sie, die Schreckbilder ihres Traumes noch einmal zu erblicken – „o fürchterlich war das Bild, was ein böser Traum vor meinen Augen aufrollte und so deutlich als stehe es jetzt noch hier. Du, Arnold, warst im Handgemenge mit dem Feinde, um Dir her thürmten sich die Leichen der von Dir Erschlagenen, deren Blut Dich bespritzt und Du, Vater, beugtest demüthig Deine Knie vor dem Feinde, der in stolzer Siegersicherheit auf dem Marktplatz hielt, und vor dem Du Gnade für die Stadt erflehtest.“

Betroffen sahen sich bei dieser Erzählung Arnold und Weißenburg an.

„Geh’ zur Ruh, Elsbeth!“ begann jetzt Becker und versuchte zu lächeln. „Du siehst ja wohl, daß es eben nichts war als ein wirres Traumbild, was Dich erschreckt. Ich selbst will jetzt gehen und mich überzeugen, ob Lüneburg, treu bewacht, der nächtlichen Ruhe pflegen darf.“

„O nur heute geh’ nicht von hier!“ bat Elsbeth und versuchte den Gatten zurückzuhalten.

„Laß ihn, Kind,“ ermahnte der Bürgermeister. „Es ist seine Pflicht und der Stadt nöthig. Denn bald würde es traurig um die Wachsamkeit unserer Söldner aussehen, wenn sie wüßten, daß wir der Ruhe pflegen und keiner da wäre, den sie fürchten, und der sie überwacht.“

„Elsbeth! geh’ in Dein Kämmerlein, bald bin ich wieder hier,“ tröstete der Stadtobrist und führte die sich sträubende Gattin ihrem Schlafgemach zu, drückte einen zärtlichen Kuß auf ihre Lippen und entfernte sich schnell. Aber fast in demselben Augenblicke als Becker das Haus verlassen, unterbrach von der Festung her der Donner des Lärmgeschützes[1] die Stille der Nacht, und bald darauf tönte der Angstruf: der Feind! der Feind! durch die Straßen der Stadt. Aus allen Häusern stürzten die in Eile bewaffneten Bürger ihren Sammelplätzen zu, während das Geschrei einzeln flüchtender Bewohner mit dem wilden Hohngelächter der Feinde sich mischte, die begünstigt durch den Nebel, welcher den Tag vorher die Umgegend bedeckt, sich der Stadt genähert und mit Beginn der Nacht auf Sturmleitern die Wälle derselben erstiegen, wo nach geringem Widerstande der aus tiefem Schlaf aufgeschreckten Wachen sie nichts gehindert bis in’s Innere der Stadt vorzudringen.

Aber bald wich der Bürger Bestürzung der muthigen Besonnenheit derselben und wohlgeordnet zogen unter des Stadtobristen Becker und des Kriegshauptmannes Fischkeute Befehl die Schaaren der Bewaffneten dem Markte zu, denn hier hielt der Feind, bestehend aus 700 größtentheils adeligen Kriegern, die als Verbündete des Herzogs Magnus unter Anführung des Grafen von Homburg und des Ritters Siegfried v. Saldern (genannt „mit den Krücken“ diesen Ueberfall versucht.

Ihres Sieges gewiß erwarteten hier in stolzem Uebermuth die Feinde der Stadt Lünebnrg demüthige Unterwerfung, und bald näherte sich auch, nach einer kurzen Besprechung mit dem Stadtobristen, der Bürgermeister Ulrich von Weißenburg, welcher beim ersten Hülferuf, nachdem er die jammernde Elsbeth ihren Dienerinnen übergeben, sogleich nach dem Schauplatz der Verwirrung geeilt, mit mehreren der Rathsherren in demütiger Haltung ohne alle Waffen, von einem Fackelträger begleitet, und blieb in einer kurzen Entfernung vor dem an der Spitze des feindlichen Kriegshaufens haltenden Grafen v. Homburg stehen, während Becker und Fischkeute die bewaffneten Schaaren der Bürger so geräuschlos als möglich in allen zum Markte führenden Straßen vertheilte, ohne daß der Feind sich irgend eines Angriffs vermuthete.

„Bringt Ihr die Schlüssel der Rebellenstadt?“ herrschte Graf v. Homburg den Bürgermeister zu, welcher sich tief vor dem stolzen feindlichen Heerführer verneigte.

„Ja, Graf von Homburg, entgegnete ernst der Bürgermeister. „Sobald Ihr uns Frist vergönnt, die Bürgerschaft zu unterrichten, daß Ihr die Schlüssel verlangt, und sobald Ihr uns versprecht, daß wir an Leben und Gut nicht Schaden leiden sollen, und die Stadt verschont bleibt vor Eurem Grimm, da Herzog Magnus ja selbst vor Kaiser und Reich uns Sicherheit zugesagt im Vergleich mit den sächsischen Fürsten.“

„Und wenn wir das alles nun aber nicht wollten?“ frug höhnisch Siegfried v. Saldern, „wie dann?!“

„Dann bleiben wir, der Rath der Stadt, Euch überliefert, die Bürger Lüneburgs werden dann mit Euch den Kampf wagen auf Leben und Tod,“ antwortete fest und ruhig Ulrich v. Weißenburg.

„Thörichtes Krämervolk!“ – schalt verächtlich Graf v. Homburg, während seit den letzten Worten des Bürgermeisters das Murren der Ungeduld und des Unwillens im den Reihen der Feinde immer lauter vernehmbar wurde. „Was würden wir wohl von Euch zu fürchten haben, da wir schon in den Mittelpunkt Eurer Stadt ohne Schwertstreich gelangt. Wahrlich fast bereue ich, daß wir nicht schon den rothen Hahn auf Eure Dächer gesteckt; darum sputet Euch und bringt unterwürfige Antwort, denn ein Wort von mir und Eure Stadt ist dem Verderben Preis gegeben.“

„Habt Geduld, edler Graf,“ bat der Bürgermeister und verneigte sich demüthig. „Ihr sollt sogleich gnügende Antwort erhalten.“

Aber kaum hatte sich Ulrich v. Weißenburg mit den Rathsherren entfernt und den Blicken der Feinde entzogen als die in Schlachtordnung aufgestellten Schaaren der Ritter und Knappen sich zu trennen begannen, um nach eigner Willkür, des Harrens überdrüssig, in den Straßen der Stadt sich zu vertheilen, in deren Besitz sie sich ungehindert wähnten.

In diesem Augenblicke gab der Stadtobrist Becker mit dem Ausrufe: „Mit Gott für Lüneburg!“ das Zeichen zum Angriff, und mit Ungestüm stürmten von allen Seiten die bewaffneten Bürger auf die feindlichen Krieger, die in wilder Unordnung zurückweichend den mutigen Bürgern nicht Stand zu halten vermochten. Mit Löwenmuth kämpfte an der Bürger Spitze Arnold Becker Mann gegen Mann mit dem Grafen v. Homburg und als dieser mit gespaltetem Haupte todt zu Boden sank, durchbohrte


  1. Bekanntlich gab es schon seit dem Jahre 1360 in Deutschland gegossene Kanonen, deren die Hansestädte und Augsburg sich zuerst bedienten.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 230. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_230.jpg&oldid=- (Version vom 6.12.2019)