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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

wäre, dann würde es in unserer Meinung ein größerer Fluch für die Gesellschaft sein, als der Schmuz, die Unwissenheit, das Laster und das Elend der alten Arbeitshäuser der einzelnen Bezirke, deren einziger Gegenstand war, die Armen zu füttern; denn wir fürchten für das Gedeihen und Wohlsein eines Staates Nichts so sehr als wohlgenährte Bettler an Stelle einer gesunden und kräftigen Arbeiterklasse. Für den Arbeitsfähigen muß selbst das bequemste Unions-Arbeitshaus ein höchst unwillkommener Aufenthalt sein. Die geordneten Eintheilungen, die zugemessene Quantität der Nahrungsmittel, die unveränderliche Einförmigkeit der strengsten Disciplin, der Zwang zu arbeiten und der gänzliche Ausschluß von der Außenwelt, jedes einzeln und Alles zusammen bietet Unbequemlichkeiten dar, deren sich nicht leicht jemand unterzieht, der die Mittel besitzt, seinen Lebensunterhalt anderswo zu verdienen. Der schmuzige Vagabond, welcher gelegentlich einspricht und um Obdach und Nahrung nachsucht – welches beides jedem ohne Unterschied gewährt wird, – findet natürlich keinen Gefallen an der herrschenden Reinlichkeit und Ordnung, welche ein Aufenthalt in der Anstalt erheischt; und er hält es deshalb nicht lange darin aus. Für den ordentlichen Arbeiter hingegen, welcher eine Zeit lang wider eigenes Verschulden ohne Existenzmittel ist; für den Bejahrten und Schwachen, der nicht im Stande gewesen ist, sich eine sorgenfreie Lage im drückenden Alter zu erarbeiten; für die Wittwen und Waisen, welche durch einen unzeitigen Tod des Ernährers und der väterlichen Stütze beraubt sind, für diese Personen sind die Unions-Arbeitshäuser unstreitig von der höchsten Bedeutung und dem wohlthätigsten Einflusse, und wir wissen, daß manche arme Kinder in diesen Anstalten eine Erziehung genossen haben, welche sie sonst niemals hätten erhalten können, und so lange es noch Arme in England gibt, welche in eine der angegebenen Klassen fallen, für welche diese Arbeitshäuser gegründet sind, so lange halten wir sie für durchaus praktisch und dem Zeitgeiste angemessen.




Bausteine zu einer naturgemäßen Selbstheillehre.

II.
Sind die Aerzte entbehrlich?

Ja! die Aerzte sind entbehrlich, welche die kranke Menschheit durchaus nur mit sogenannten Arzneimitteln oder durch einseitige Heilmethoden kuriren wollen; die Aerzte sind aber zur Zeit noch ganz unentbehrlich, welche Krankheiten verhüten oder den Kranken den naturgemäßen Weg zeigen, auf welchem diese entweder ihre Gesundheit wieder erlangen oder, ist das Uebel unheilbar, doch die wenigsten Nachtheile davon haben können. Aber wahrlich dieser Weg führt nicht durch die Apotheke, nur manchmal neben einer einzigen Büchse derselben, neben der mit betäubenden Mitteln vorbei. Ich höre im Geiste, lieber Leser, wie Du mir höhnisch lächelnd einwirfst: aber wie viele Kranke sind nicht schon durch Aerzte und Medicin gesund worden und was für Männer – Halt! urtheile nicht eben so falsch, wie die Aerzte selbst und schreibe nicht Alles, was in Dir geschieht, wenn Du Medicin eingenommen hast, nur dieser zu. Bedenke, daß Dein Körper von Natur so eingerichtet ist, daß er die meisten Krankheitsprocesse, am leichtesten bei richtigem diätetischen Verhalten, aus eigenen Mitteln allmälig tilgt und glaube mir, die meisten dieser Kranken sind nur trotz des Arztes und obschon sie Arznei nahmen gesund worden. Der Arzt bringt nur da scheinbar durch seine Arzneien Hülfe, wo in der That die Natur das Uebel hebt; höchstens kann der Arzt durch Angabe des richtigen Verhaltens des Kranken der Natur die Heilung etwas erleichtern. Aber China[WS 1] gegen Wechselfieber! rufen alle Aerzte wie aus einem Munde; da sieht man doch klar und deutlich, daß eine bestimmte Krankheit durch ein bestimmtes Mittel gehoben werden kann, und was bei einer Krankheit möglich ist, das muß doch bei den andern auch zu ermöglichen sein. Also suche man nur fleißig, damit man die richtigen Mittel gegen andere Krankheiten endlich auch erhasche. Falsch! Grundfalsch! Die China kurirt die eigentliche Krankheit, kaltes Fieber genannt, nicht, sondern hebt nur die auffälligste und beschwerlichste Erscheinung desselben, den sogenannten Fieberanfall (Frost und Hitze), und dies können auch eine Unzahl anderer, selbst sympathetischer und mystischer Mittel fast ebenso gut, wie die China. Wollte man die China für ein spezifisches Mittel gegen Wechselfieber ansehen, dann müßte man auch andere Arzneien, welche lästige Symptome einer Krankheit in den Hintergrund drängen, für spezifische erklären, z. B. Opium gegen Krebs und andere schmerzhafte Uebel, Champagner gegen Hypochondrie bei Männern, Schooshündchen, ein Ball oder ein neues Kleid gegen hysterische Weinkrämpfe bei Weibern u. s. w. Ich warne Euch hiermit vor Aerzten, die immer nur Recepte verschreiben, oder gar Alles, selbst aus der Entfernung, über einen Leisten kuriren. Paßt einmal auf die Recepte eines solchen Arztes auf und Ihr werdet bald finden, daß derselbe nur etwa 15 bis 20 Formeln bei 8 bis 10 Mitteln im Gebrauche hat, um die verschiedensten Krankheiten zu kuriren, daß er nur manchmal statt des Milchzuckers einfachen Zucker, anstatt des gemeinen Wassers destillirtes und statt eines braunen Saftes einen grünen nimmt.

Traut den Aerzten ja nicht, die Euch nach oberflächlicher Befragung, nachdem sie den Puls gefühlt und die Zunge besehen, aus der Apotheke etwas Stärkendes für die Nerven, für den Magen und andere Theile verschreiben wollen, die durch Arzneien die schlechten Säfte des Blutes zu tilgen, verschleimte Organe auszufegen oder von Innen nach Außen, von Oben nach Unten und von Vorn nach Hinten abzuleiten streben und die Euch Mittel, deren Titel mit anti- anfängt, wie antiscrophulöse, antihämorrhoidalische, antigichtische, antirheumatische, antisyphilitische, antiphlogistische, antiscorbutische u. s. w. beibringen wollen. Nur Denen schenkt Euer Vertrauen, die Euch genau untersuchen, Eueren Körper befühlen, beklopfen

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Chinarinde und das daraus gewonnene Chinin wird seit dem 17. Jahrhundert zur Behandlung von Wechselfieber (Malaria) verwendet.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 225. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_225.jpg&oldid=- (Version vom 12.4.2020)