Seite:Die Gartenlaube (1853) 214.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

lange Zeit, wenn man die zahllosen Diatomeen genau mit dem Mikroskop besehen will, welche mit einem Tropfen Wasser auf einem Glasplättchen von der Größe eines Zolles dünn ausgebreitet sind.

Die Zierlichkeit und Manchfaltigkeit der Figuren meiner Zeichnung wird Dir um so mehr auffallen, wenn Du bedenkst, daß die formschaffende Kraft dazu blos einen so unendlich kleinen Raum hat. Du würdest die abgebildeten

etwa 30 Diatomeen auf einem Glasplättchen für ein wenig Staub halten und hinweghauchen. Was wirst Du aber sagen, wenn ich hinzufüge, daß diese Körperchen unverbrennlich sind. Wenn Du das Glasplättchen mit ihnen mit einem Zängelchen über einer nicht rußenden Spiritusflamme glühend heiß machen würdest, so würdest Du sie nachher unter dem Mikroskope unverändert wiederfinden. Nur die feinen Stielchen von Fig. 1 und 3 und die Algenfäden mit x bezeichnet, an denen jene wie Fig. 7 und 8, sitzen, würdest Du von der Hitze zerstört finden. Woher kommt das? Alle Diatomeen haben wie unsere Schnecken und Muscheln einen zierlichen sogenannten Panzer – das was Du siehst ist blos der Panzer – der aus einer Kieselerde besteht, wie die Schnecken- und Muschelschalen aus Kalkerde bestehen. Dieser Panzer ist fast immer, wenn es überhaupt Ausnahmen von dieser Regel gibt, glashell durchsichtig. Ich habe dies durch Uebereinanderlegung einiger, z. B. 7 über 9, angedeutet. Also alle die zierlichen Streifen, Rippen, Punkte, Zähnchen, die Du siehst, befinden sich an dem Kieselpanzer. Innerhalb desselben befinden sich nun die schwachen Spuren von Organisation, mit denen sich diese unvollkommenen Wesen begnügen müssen. Da ist freilich von Herz und Magen, Lungen und Leber, Augen und Ohren keine Rede. Darum ist aber eben die Entscheidung der Frage so schwer, ob man in ihnen Thiere oder Pflanzen vor sich habe. Und doch ist in den schwachen Spuren ihres inneren Organismus von Beiden etwas, weshalb sie von Manchen für Wesen gehalten werden, welche gewissermaßen zwischen Thier- und Pflanzenreich in der Mitte stehen.

Fig. 7 und 9 zeigen Dir, daß sich die Diatomeen auf verschiedene Weise zu zierlichen Gruppen verbinden. Fig. 10 ist eine einzelne selbstständige Diatomee, (stärker vergrößert), wie sich deren in Fig. 9 eine ganze Menge zu dem zierlichen Kreise durch seitliche Aneinanderlegung verbunden haben. Es ist dies das schöne meridion circulare. – Deutsche Namen gibt es für diese Geschöpfchen kaum, da sich das Volk noch nicht mit ihnen befaßt hat und die Wissenschaft nicht nach den Sprachstämmen ihre Namen gibt, sondern in den für alle Sprachstämme gleich geltenden Sprachen der alten Römer und Griechen. Bei der gemeinen Diatomee, Diatoma vulgare, (Fig. 7) sind die einzelnen Individuen an einer Ecke durch einen kurzen Stiel zu einer Kette verbunden. Die Synedra gracilis (Fig. 8) sitzt sternförmig gruppirt an einem Stückchen Algenfaden. Die sehr kleine Cocconeis pediculus (Fig. 2) schmarotzt oft zu Hunderttausenden an den Algenfäden, wie die Schildläuse (Coccus) auf Pommeranzenblättern, von denen sie auch den Namen hat. Die gemeinste von allen Diatomeen, Navicula viridis, siehst Du in Fig. 4 von zwei Seiten dargestellt; eben so zwei andere Arten: die von der einen Seite einer Schuhsohle ähnliche Surirella solea (Fig. 5) und die schlanke Synedra ulna (Fig. 6). Gomphonema subramosum (Fig. 1) sitzt gesellig auf kurzen, zuweilen verästelten weichen Stielchen ebenso wie Cocconema cistula (Fig. 3) auf einem Algenfaden.

Doch ich nehme Deine Aufmerksamkeit nicht blos für die Kleinheit und Zierlichkeit und für die zweifelhafte Natur der Diatomeen in Anspruch. Sie sind auch von hohem praktischen Interesse. Mehrere Straßen von Berlin stehen auf einer an manchen Stellen über 50 Ellen mächtigen feinen silbergrauen Erde, welche großentheils aus Diatomeen-Panzern besteht, und woraus man Ziegelsteine brennt. Man baut also Häuser aus diesen unsichtbar kleinen Wesen! In der Lüneburger Haide findet sich eine Schicht, die viele hundert Ruthen lang und zum Theil 40 Fuß mächtig ist, welche durchaus nur aus den leeren Panzern von Diatomeen besteht! Unser Polierschiefer und Tripel ist nichts weiter, als Diatomeen Panzer. Ein Würfelzoll davon enthält deren etwa 41,000 Millionen! Solche Diatomeen-Schichten kennt man in Europa, Afrika und Amerika.

Aber ihre höchste, wenn auch eine traurige Bedeutung für den Menschen gewinnen diese kleinen Wesen dort oben am kalten Norden, in Schweden und Lappland, wo der Sommer nicht warm und lang genug ist, um Brodkorn zu reifen. Dort werden alljährlich viele hundert Wagen feines, schneeweißes Bergmehl, so nennt man diese Kieselpanzer-Erde, mit gemahlener Baumrinde und einem wenig echten Roggenmehl – zu Brod verbacken. Also recht eigentlich Brod aus Kieselstein! Ich habe von dort, aus Lollhagysiön, eine Probe dieses Bergmehls, worin ich mit

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 214. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_214.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)