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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

und da ich so ungestört mir selbst überlassen blieb, nahm ich meinen Hut ab, setzte mein rothes Käppchen auf, wie ich es seit Jahren alle Abende gewohnt bin, und brannte mir eine Cigarre an, indeß der Wirth mir das verlangte „Warme“ gebracht.“

„Nur wenige Augenblicke verweilten die an meinem Tische sitzenden Leute aus der Nachbarschaft und entfernten sich dann bis auf einen alten Mann, welcher mit dem Wirth in ein Nebenzimmer ging, und auch ich hatte große Lust meinen Grog stehen zu lassen und aufzubrechen, als ich die höchst unangenehme Entdeckung machte, daß sich die Aufmerksamkeit sämmtlicher Soldaten meiner Person zugewendet und nachdem Alle lachend unter einander geflüstert, begann die ganze Gesellschaft das Lied von der rothen Nase aus Otto’s Gesellenfahrten, aber mit verändertem Text: so daß der Chor allemal mit folgenden Strophen einfiel:

„Haha, die rothe Mütze schaut,
Es prahlt damit die alte Haut,
Und macht hier unter uns gar Staat.
Schaut, schaut, er ist ein Democrat
 Mit seiner rothen Mütze.“

„Mir ward heiß und kalt während dieses Gesanges, während unter wildem Gelächter die Blicke Aller nach mir sich richteten. Doch faßte ich mir ein Herz, um nach meinem Hut zu greifen und mich zu entfernen. Aber, o Jammer, auch der zweite neue Hut war verschwunden.“

„In diesem Augenblicke trat der Wirth in’s Zimmer und an ihn wendete ich mich so ärgerlich als beklommen, und klagte, daß mein Hut, ein ganz neuer Hut, von Albrecht auf der Scheffelgasse, der zweite, den ich heute gekauft, mir hier abhanden gekommen sei, und ob er nicht wüßte, wer die Leute gewesen, die mit mir an einem Tische gesessen und vor wenig Augenblicken erst sich entfernt.“

„Die kenne ich nicht,“ entgegnete der Wirth. „Wer Teufel soll alle Leute hier kennen. Aber Ihr Hut wird wohl noch da sein. Wir wollen suchen.“ Mit diesen Worten nahm er einen Leuchter und suchte unter Tische und Stühle, während die Soldaten aufstanden, um, wie es schien, sich ebenfalls zu entfernen.

„Hier ist ein Hut,“ rief der Wirth und zog einen solchen unter einem Stuhle hervor. Ich griff darnach, ohne ihn anzusehen, froh, nur ohne weiteren Skandal fortzukommen, aber mein Hut war es nicht, sondern ein alter abgetragener Deckel, der mir bis über die Nase in’s Gesicht rutschte.“

„Das ist nicht mein Hut!“ rief ich mit steigendem Aerger und riß ihn vom Kopfe, und zwar so heftig, daß mir die Krämpe in der Hand blieb.“

„Oho!“ lachten die Soldaten und fingen von Neuem an:

„Haha, die rothe Mütze schaut –
Noch prahlt damit die alte Haut.
 Herunter mit der Mütze.“

„Und plötzlich lag mein rothes Mützchen, welches ich in meiner Angst aufbehalten, von unsichtbarer Hand mir vom Kopfe gerissen, am Boden.“

„Meine Herren!“ rief ich voll Ingrimm über eine solche Behandlung, „das ist gemein!“

„Was!“ rief ein Sergeant mit halb verbissenem Lachen, „Herr, wer sind Sie, mit Ihrer rothen Mütze, der hier von Gemeinheit zu sprechen wagt.“

„Wer ich bin, geht Niemand hier etwas an!“ rief ich giftig, und hob mein Mützchen auf, um es einzustecken. „Aber meinen Hut verlang’ ich von Ihnen, Herr Wirth, mit Euch Soldaten hab’ ich nichts zu schaffen.“

„Aber wir mit Ihnen!“ riefen wie drohend mehrere derselben.

„Was geht mir Ihr Hut an,“ entgegnete patzig der Wirth, „wer weiß, ob Sie einen mitgebracht, denn hier ist kein anderer und gefressen hat ihn auch Niemand.“

„Zu gleicher Zeit näherte sich der alte Mann, welcher bisher außerhalb des Zimmers gewesen war, hob den von mir zu Boden geworfenen Hut nebst abgerissener Krempe auf und rief zornig:

„Heda! was ist denn das für Wirthschaft, wer hat meinen Hut ruinirt.“

„Die rothe Mütze!“ schrieen die Soldaten und zeigten lachend auf mich.

„Herr!“ schrie nun der Alte, sich zu mir wendend, „der Hut hat mir einen Louisd’or gekostet, die Hälfte wenigstens müssen Sie bezahlen.“

„Ich, Ihren Deckel bezahlen, der keine zwei Groschen mehr werth ist,“ entgegnete ich schäumend vor Wuth. „Nicht einen Pfennig. Aber meinen neuen Hut verlang’ ich, der zweite, der mir heute hier in Dresden weggekommen.“

„Sie dürfen nicht eher fort, bis Sie meinen Hut bezahlt“ – brüllte der Alte.

„Die ganze Geschichte kommt mir verdächtig vor,“ rief der Wirth mit untergestemmten Armen, mich von oben bis unten betrachtend. „Jetzt frage ich Sie, wer Sie sind; – denn da könnte Jeder kommen und sagen: mir ist mein Hut gestohlen!“ –

„Darnach haben Sie doch wohl nichts zu fragen?“ entgegnete ich mit verbissenem Grimme, und suchte vergebens, dieser Gesellschaft gegenüber ruhiger zu werden.

„Wir haben darnach zu fragen!“ lachten die Soldaten.

„Ich muß darnach fragen!“ schrie der Wirth.

„Ich muß wissen, wer Sie sind!“ brüllte der Alte.

„Nun denn ja Ihr sollt es wissen!“ rief ich ruhiger. „Ich bin der Stadtrath Buttlich aus Lichtenberg!“

„Beweisen!“ riefen die Soldaten.

„Ja, beweisen müssen Sie uns das, wenn wir’s glauben sollen,“ entgegnete höhnisch der Wirth.

„Hier ist meine Paßkarte!“ schrie ich von Neuem ärgerlich über diese Fopperei, und rieß meine Brieftasche heraus, um die Karte herauszunehmen, aber ich mochte suchen, wie ich wollte, die Paßkarte war weg.

„Bin ich denn heute behext!“ grollte ich halblaut, während die Anwesenden jede meiner Handbewegungen verfolgten.

„Meine Herren!“ begann ich finstern Blicks. „Durch ein Versehen ist meine Paßkarte in meinem Gasthofe entweder auf meinem Zimmer oder sonst irgend wo liegen geblieben, ich muß Sie daher ersuchen, wenn Sie mir nicht glauben wollen, mich in die Stadt zu begleiten, um sich zu überzeugen.“

„Ach was da. Stadtrath oder sonst etwas,“ entgegnete der alte Mann, mir fortwährend seinen Hut nebst der abgerissenen Krempe hinhaltend. „Meine zwei Thaler will ich haben, eher dürfen Sie nicht fort.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 190. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_190.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)