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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

wie wir es lange nicht waren, laßt uns auch dankbar sein dem himmlischen Vater, der da ist ein Vater der Unglücklichen; laßt uns einen Tropfen Balsam werfen in das Meer des menschlichen Elends.“ Er schüttete mit diesen Worten den ganzen Inhalt seines ziemlich gefüllten Beutelchens auf den Tisch. „Da nehmt,“ rief er, „Wenig mit Liebe.“

Lortzing trat eine Thräne in’s Auge. Er legte schweigend zwei Thaler zu dem Gelde. Dann reichte er dem Doctor die Hand. „Du bist und bleibst,“ sprach er, „der alte gute Junge.“

Auch Berthold zog sein Beutelchen und steuerte den Inhalt zur Liebesgabe. „Wenn wir nur gleich einen recht Hülfsbedürftigen wüßten,“ sprach er.

„Auf dem Brühle ist heute ein Maurer vom Dache gestürzt,“ erzählte Lortzing, „und hat sich zu Tode gefallen. Es war ein braver Mann und hinterläßt eine arme Wittwe mit sechs unerzognen Kindern.“

„Rossi,“ rief Herloßsohn indem er das Geld in einen veralteten Theaterzettel packte, „dieses Geld schicken Sie Morgen der armen Wittwe, deren Mann heute verunglückt ist, jedoch unter der Bedingung, daß wir nicht genannt werden.“

„Kinder,“ sprach Berthold nach einer Pause in seltsam ernstem Tone, „es muß doch außer unserm Erdenleben noch ein himmlisches Land geben, wo die Liebe wohnt und die Tugend. Das wird mir allemal zur unumstößlichen Gewißheit, wenn ich einem Hülfsbedürftigen aus freier Herzensregung wohlgethan. Es kommt da ein Frieden über mich, der nicht von dieser Welt ist.“

„Auch ich,“ meinte Lortzing, „lasse mir den beseligenden Glauben an eine himmlische Heimath, wo die sich wiederfinden, die sich hier lieben, nicht nehmen; und lasse mich durch die trostlose Philosophie der heutigen Hegellinge nicht irre machen.“

Herloßsohn saß eine lange Zeit schweigend da. Eine leise Verklärung überzog sein ausdrucksvolles Gesicht. Endlich sprach er: „O, Geliebte, glaubt Ihr denn wirklich, daß uns jenes Land so ganz unbekannt ist, daß wirklich eine so große Kluft das Hier von dem Jenseit scheide? Nein, Geliebte, das wäre ein Sprung in der Schöpfung, und den gibt es nicht. Ueberall, wir mögen in der schaffenden Natur zurückgehen, so weit wir wollen, überall finden wir ein harmonisches Aufsteigen vom Unvollkommnen zum Vollkommnen. Jede Veränderung in der Natur, sagt der große Herder, ist eine Vervollkommnung. Nirgends gibt es Sprünge und schroffe Uebergänge. Und so ist auch der Tod keiner. Er verliert alles Schreckhafte, sobald wir ihn mit der ganzen Natur in Einklang bringen. Es ist dieselbe liebevolle Mutternatur, die das Herz zum erstenmale pulsiren heißt, die es später den Himmelsklängen der Liebe öffnet und die es stille stehen heißt in der Stunde des Todes.“

Nach diesen Worten entsiegelte Herloßsohn eine Flasche kostbaren Ungarweins, das geistreich poetische Präsent einer ungarischen Gräfin für seinen ungarischen Roman. Er füllte die Gläser, ergriff das seine und sprach mit tiefer Bewegung:

Ernstes Lied aus fernverklungnen Zeiten,
Das mich oft so wunderbar ergreift,
Das so süß, wie Aeolsklang der Saiten
Sanft melodisch durch die Blüthen streift,
Das mir Frieden fern aus Himmelsweiten
Wie die Nacht den Thau auf Rasen träuft –
Lied, wer ist dein Sänger? Unbekannt
Tönst du mir aus fremdem Wunderland.

Tröstend Lied, das in die Wermuthschaale
Bittern Schmerzes milden Honig gießt,
Das uns am umflorten Grabesmale
Sanft die Thräne von der Wange küßt,
Einst im Tode im Verklärungsstrahle
Als der treuste Führer uns begrüßt –
Lied, du Bürge einer schönern Zeit,
Lied ich nenne dich – Unsterblichkeit.

Die Gläser klangen aneinander; eine feierliche Stimmung hatte sich der Freunde bemächtigt und von den Thürmen der Stadt tönte die erste Stunde.

„Brüder, es wird Morgen,“ sprach Lortzing, „laßt uns aufbrechen.“

„Aber nicht eher,“ erwiederte Berthold, „bevor wir uns das heilige Versprechen gegeben, heut über zehn Jahre wieder hier zusammen zu kommen; und sollte einer oder der andere schlafen gegangen sein, so soll der Zurückgebliebene dem Vorangegangenen einen Becher des Angedenkens weihen. Die heutigen schönen Stunden mögen uns aber erquicken wie dem Wüstenwanderer die Quelle der Oase, in lieber Erinnerung; ja es bleibt ein wahres Wort des Dichters: Nur die von der Poesie gerötheten Stunden hat man gelebt.“

„So sei es,“ sprachen die Freunde und man leerte die Becher auf die – alte Freundschaft.

Als man der Weingruft entstiegen, begrüßte die mildeste Frühlingsnacht die Freunde. Noch blühten lieblich die Sterne. Im Innern wunderbar ergriffen, wollte es zu keinem Gespräche kommen und die Drei wanderten fast schweigend die Hainstraße entlang.

Als man zu Herloßsohn’s Wohnung gekommen, drückte dieser den Freunden innig die Hand und zu dem prachtvollen Sternenhimmel deutend, sprach er: „Wort gehalten wird in jenen Räumen.“

Und gleichsam als eine himmlische Antwort tönte der Ruf einer Lerche hernieder, die den keimenden Morgen begrüßte.

Alle drei, seltsam ergriffen, lauschten andächtig diesem himmlischen Frühlingsgruße.

Ja, sie wissen von uns droben,“ sprach Lortzing und die Freunde trennten sich.

Sie sind nicht wieder zusammen gekommen, als die zehn Jahre um waren, die drei Freunde. Sie ruhten alle drei im Schooße der Erde. Aber dort Oben im himmlischen Saal haben sie den Jahrestag gewiß gefeiert und angeklungen mit himmlischen Pokalen: „jedem schönen gläubigen Gefühl.“

Denn herrlichen Wein muß es droben auch geben,
Dort, wo er wohnt, der die Reben erschuf!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_170.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)