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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

der Freude und der Beschämung und ein Gefühl ist in ihm rege geworden, das er bisher noch niemals gekannt. Irren wir nicht, so wird der Spatziergang vielen Armen Segen bringen.




Selbstmord. In Berlin macht augenblicklich der Selbstmord eines jungen reichen Arztes, Namens Amort viel von sich reden. Die Feuerspritze sagt darüber: Der Selbstmord des Dr. Amort ist eine jener Schauder erregenden Thaten, in denen die Furie des Wahnsinns unter der Maske geistiger Gesundheit erscheint, einer Maske, welche uns das Lächeln frohen Lebensmuthes vorlügt, während unter derselben der mordgierige Hohn der Selbstvernichtung grinzt. Dr. Amort sah aus wie der Urtypus üppiger Lebensfülle und glücklicher Behaglichkeit. Seine Persönlichkeit besaß diese Eigenschaften in solchem Grade, daß sie dadurch auffiel. Es mag wenige Berliner geben, die ihn nicht wenigstens von Ansehn gekannt haben. Kaum 30 Jahr alt und mittelgroß, besaß Dr. Amort eine fast übermäßige Leibesfülle und ein breites pausbackiges Gesicht, dessen alabasterweißer Teint und strotzende Röthe mit den feinen Conturen und den geistvollen, gutmüthig blickenden Augen einen zugleich angenehmen und burlesken Eindruck machten. Dieser Contrast zwischen Anmuth und Burleske, der ihn überhaupt charakterisirte, fand auch in seiner eleganten Kleidung und dem formlosen weißen Filzhut einen Ausdruck. Amort war reich, körperlich gesund, geistig reich begabt, gebildet, voll Humor und Jovialität, ein guter Gesellschafter und als solcher in den besten Häusern gern gesehen und selbst gesucht, ein Ehrenmann durch und durch, gutmüthig, theilnehmend, als Freund zu jeder Aufopferung bereit und fähig. Er liebte die sinnlichen Genüsse des Lebens, aber in fast noch höherem Maaße die geistigen. Er hatte zuerst Jura, dann Medizin studirt, interessirte sich aber zugleich lebhaft für die schöne Literatur und war Freund und Kenner der Künste. Und dieser Mann, der so durch und durch berufen war, das Leben in seiner reichsten Fülle zu leben, hat seinem Dasein durch Selbstmord ein Ende gemacht, ohne andere Ursache, als weil vielleicht an einer einzigen Fiber seines Hirns ein Tropfen erblichen Giftes haftete. Bereits mehrere Mitglieder seiner Familie sind Opfer dieser selbstmörderischen Manie geworden. Grauenvoll ist die Ruhe, wir möchten sagen die Behaglichkeit, womit Amort die That ausführte. Er war am Mittwoch noch mit einigen Freunden in einem Kaffeehause zusammen, aß, trank, scherzte, – während bereits auf dem Tisch in seinem Zimmer der Brief lag, in welchem er den Freunden mittheilte, daß sie morgen seine Leiche finden würden, und in seinem Pult das Testament, worin er über seine Effecten, Bücher, Pretiosen etc. zu Gunsten seiner Freunde verfügte. Dieser rothwangige, lebensüppige Genußmensch war bereits eine designirte Leiche; dieser frische, joviale Geist wandt sich heimlich unter der Martergeißel des Wahnsinns! Entsetzlicher Betrug, wenn strotzende Gesundheit und leuchtender Geist so heimtückisch lügen! – Als man Amort’s Leiche bei Moritzhof aus dem Wasser zog, ging eben der Dr. L... vorüber, und erkannte mit Entsetzen in der Leiche seinen ehemaligen Schüler. Amort hinterläßt ein bedeutendes Vermögen. Weder Noth und Sorgen, noch unglückliche Liebe oder gekränkter Ehrgeiz haben ihn zu dem traurigen Schritt freiwilliger Selbstvernichtung getrieben. Er war geliebt und geachtet in allen Kreisen, in denen er sich bewegte. Seine That kann nichts sein, als die gräßliche Wirkung eines verhüllten Wahnsinns, einer Monomanie, deren finsteres inneres Getriebe in die unerforschlichen Irrgänge der menschlichen Seele führt.




Zwei Denkmäler. Zu Ende des Jahres 1812 befanden sich zwischen Moskau und dem Niemen 1131 französische Kanonen in der Gewalt der Russen. Kaiser Alexander befahl, aus diesen Kanonen nach Art der berühmten Rostrumsäule in Rom (aus Schiffsschnäbeln) zwei colossale Säulen, die eine in Moskau, die andre in Petersburg zu errichten. Ob es eine Antwort auf diese russischen Denkmäler sein sollte oder nicht – genug! am Tage nach der Schlacht von Bautzen, den 23. Mai, erließ Napoleon früh Morgens 2 Uhr ein Decret für Errichtung eines Monumentes auf dem Mont Cenis zu Ehren Frankreichs und Italiens mit folgender Inschrift: „Kaiser Napoleon hat auf dem Schlachtfelde von Wurschen die Errichtung dieses Denkmals anbefohlen als einen Beweis seiner Dankbarkeit gegen die Völker von Frankreich und Italien und für die fernste Nachwelt zum Andenken an diesen merkwürdigen Zeitpunkt, wo in drei Monaten zwölfmalhunderttausend Mann zum Schutze der Integrität des Gebiets des französischen Reichs und dessen Bundesgenossen die Waffen ergriffen haben.“ 25 Millionen Franken waren zur Ausführung dieses Denkmals bestimmt und alle Architekten des französischen Reichs zu dessen Entwurf aufgefordert. Leipzig ersparte Geld und Mühe! Unterdessen ist das Monumenten-Errichten für Napoleon I. wieder in Schwung gekommen, u. A. wird die Stadt Lille eine Quantität Bronze, die von den bei Austerlitz eroberten Kanonen herrührt, für eine Statue desselben verwenden. Bei den beweglichen Franzosen ist nun einmal der Cäsarencultus in Mode!




Literarisches. Amerika, das uns die Geisterklopfer und die Tischverrücker gesandt hat, vergißt bei allem Mysteriösen und Geheimnißvollen doch das Praktische nicht. Auch in der dortigen Literatur bestätigt sich das. So erscheint jetzt in Washington ein polytechnisches Journal, das in merkwürdig populairer Form die wichtigsten Entdeckungen in der Physik, Chemie, Technik, Ackerbau etc. zur Kenntniß des Publikums bringt und durch prachtvolle Illustrationen instructiv veranschaulicht. Wenn man unsre deutschen polytechnischen Journale dagegen liest, die von unnützen Theorien strotzen und in einer für den Handwerker und den weniger Gebildeten unverständlichen Gelehrtensprache geschrieben sind, so fühlt man das Praktische dieses amerikanischen Journals recht auffallend heraus. Einer der Redakteur ist ein Deutscher, Namens Fleischmann. – In Paris wird nächstens die erste Nummer einer großen deutschen Zeitung ausgegeben werden. Tüchtige Kräfte sollen sich dabei betheiligen. Trotz alledem fürchten wir, daß sie das Schicksal ihrer vier Vorgängerinnen haben wird, und nach einigen Monaten wegen Ueberfluß an Abonnentenmangel eingehen wird.

E. K. 



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Schnellpressendruck von Giesecke & Devrient in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 166. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_166.jpg&oldid=- (Version vom 11.4.2020)