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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)


Aus der Menschenheimath.

Briefe
des Schulmeisters emer. Johannes Frisch an seinen ehemaligen Schüler.
Neunter Brief.
Die ältesten geschichtlichen Denkmale.


Wenn Du einmal zufällig unter gangbaren neuern Münzsorten eine recht alte Münze mit fast abgegriffenem Gepräge einnimmst, so versäumst Du gewiß nicht, sie mit Interesse und ganz genau anzusehen. Du buchstabirst Dir die halb verwischte Schrift so gut es geht, zusammen und besiehst Dir Wappen und Kopf genau. Bist Du damit fertig, so hast Du nun Deine Neugierde befriedigt. Aber dann kommt noch etwas hinzu. Das siehst Du nicht auf der Münze. Es wird nur durch sie in Dir geweckt. Du denkst nun an die lange Zeit, die seit ihrer Prägung verflossen ist.

Du denkst nicht blos an die tausend Hände, durch die sie seitdem gegangen ist, sondern Du denkst auch an ihren Verfertiger. Du siehst im Geiste in altdeutscher Tracht den Prägemeister und seine kräftigen Gesellen und es fällt Dir auch wohl ein, daß Derjenige, der die neue Münze zuerst ausgab, dafür gewiß viel mehr an Werth erhalten hat, als Du heute dafür erhältst. Oder laß mich einen andern Fall denken. Hast Du einmal einen alten gothischen Dom besucht? Wenn Du da die zierlichen Arbeiten der alten längst verfaulten Steinmetzen an den schönen Spitzbogenfenstern zwar halb verwittert aber doch noch in ihrer ganzen Zierlichkeit und phantastischen Mannigfaltigkeit erblickst, da belebt sich Dir gewiß, mir geht es wenigstens so, der Raum um die Kirche zum geschäftigen Bauplatze, auf dem es hämmert und meiselt, daß es eine Lust ist. Wir sehen dann den ehrwürdigen Baumeister im seidenen Wamms mit der goldenen Halskette unter den Bauleuten herumgehen und sich den langen Bart streichen. Da streift man die Gegenwart von sich ab und tritt wie durch Zauberei im Nu um vier, fünf Jahrhunderte zurück in die alte Zeit unserer Väter.

Sag’, woher kommt das? Was ist es, was uns da bewegt? Ist es etwa Sehnsucht nach der Vergangenheit und eine Abneigung vor der Gegenwart? Ich glaube nicht. Es ist der Zauber der Geschichte, welcher aus solchen alten Ueberbleibseln uns anweht, der Geschichte unseres eigenen Volkes. Ich bin überzeugt, daß uns die alten Baudenkmäler der Mexikaner ziemlich kalt lassen würden. Wir kennen ja die Geschichte jenes Volkes nicht, wir gehören ihm nicht an, und wir sehen höchstens aus dem Grade der Verwitterung, aber nicht aus dem Baustyle jener mexikanischen Bauwerke, ob sie neu oder alt sind.

Sieh, mein Freund, hierin erblicke ich einen mächtigen Zug des menschlichen Herzens, denn das ist dabei vielleicht mehr betheiligt als der Geist; – ich möchte für meine heutigen Mittheilungen diesen Zug in Dir recht wach rufen. Fragen wir, was diesem Zuge zum Grunde liegt, so finden wir als Antwort den in jedem unverdorbenen Menschen schlummernden Drang, als ein Glied sich der langen Kette des Bildungsganges der Menschheit anzuschließen. Denn wahrlich, bloße kindische Neugierde liegt unserer Theilnahme für Alterthümer nicht zu Grunde. Es ist mehr, es ist das unbewußte Vergleichen der Vergangenheit mit der Gegenwart, das Anknüpfen dieser an jene.

Daß ich Dir heute von den ältesten geschichtlichen Denkmälern erzählen will, sagt Dir schon die Ueberschrift, die ich wie gewöhnlich, so auch diesmal über meinen Brief gesetzt habe. Das sollen aber keine gothischen Dome sein, auch keine alten Inschriften oder römischen Bildsäulen. Viel, viel älter sollen sie sein, Millionen Jahre älter, als das Menschengeschlecht. Die mindestens 4000 Jahre alten Pyramiden der ägyptischen Pharaonen sind dagegen neugeborene Kinder.

Ich meine die Versteinerungen. – Daß ich sie geschichtliche Denkmale nenne, wird Dich nicht Wunder nehmen, wenigstens wird es Dir am Schlusse meines Briefes einleuchten. Nicht blos das Menschengeschlecht hat eine Geschichte. Unsere Mutter Erde hat auch eine Geschichte und zwar eine unendlich viel längere und bewegtere.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 162. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_162.jpg&oldid=- (Version vom 16.4.2020)