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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

manche Heilige in größter Ausdehnung Gebrauch machen. Bigamie und Polygamie ist ein Cardinalsatz im Glauben und ein hervorstehender Zug im Leben der Mormonen, ein Sache, die offen und ohne alle Hülle anerkannt und verwirklicht wird. Viele Heilige trachten danach, zehn, zwölf und mehr Mädchen unter ihren heiligen Schutz zu nehmen, die dann Spiritualen genannt werden. Zum Eintritt in diesen Stand von Herrschaft bedarf es der Einwilligung des Präsidenten Brigham Young zunächst, worauf durch eine besondere Ceremonie die Vermählung vor sich geht. Die Zahl der Spiritualen zu nennen, die zu Gouverneur Young’s unmittelbarem Haushalte gehören, sowie derer, auf die er souveräne Rechte ausübt, ist unmöglich. Oftmals indeß habe ich seinen Wagen oder Omnibus zur Kirche fahren sehen, gefüllt mit einem Dutzend oder noch mehr Damen von jedem Alter, die, wie man mir sagte, alle darauf Anspruch machen, seine geliebten und geehrten Weiber zu sein. Außer diesen aber, weiß ich, hat er noch eine Menge Weiber in den verschiedenen Stadtvierteln. Als Oberhaupt der Gemeinde hat er die Auswahl aus der Heerde.

Die übrigen Häupter der Heiligen, erfahre ich, haben Frauen oder Spirituale (geistliche Töchter) in der Zahl, die ihrem Range und Ansehen in der Kirche entspricht. Gewöhnlich wohnen diese Spiritualen mit ihrem Herrn im selben Hause, und zwar die Favorite in dem Hauptgebäude, die übrigen nahebei in kleinen Cottages oder Außengebäuden, die für ihre Bequemlichkeit zugerichtet sind. Bisweilen wird aber das Hauswesen so zahlreich, daß es gebieterisch eine Theilung fordert, und die Frauen ziehen dann in andere Wohnungen, wo sie, je nach Geschmack und Neigung des Gatten, eine um die andere besucht werden. Es ist eine merkwürdige Erscheinung, daß diese vielen vereinigten Lehnsleute (um den gesetzlichen Ausdruck zu brauchen) eines einzigen Herrn, meist in bestem Einvernehmen und Harmonie untereinander leben. Die Eifersucht, dieses Ungeheuer, scheint von den Damen am Salzsee nicht gekannt zu sein. Ein derartiger Fall ist in den Annalen des Mormonismus bis jetzt unerhört und man hält ihn gar nicht für möglich.

Wie sich nach dem hier Gesagten von selbst versteht, lassen die Mormonen dagegen ihre Familien nur in einen sehr beschränkten und wohl überwachten Verkehr mit den „Heiden“ treten. Mit orientalischer Eifersucht scheinen sie jeder geselligen Annäherung an ihre Weiber und Töchter von Seiten Fremder zu mißtrauen. In der That ist es den jungen mormonischen Damen durchaus untersagt, sich in irgend welche Beziehung zu einem jungen in der City lebenden Heiden zu setzen. Unähnlich aber sind sie darin ihren großen Vorbildern, den mißtrauischen, eifersüchtigen Muselmannen, daß sie keine Eunuchen von fürchterlichem Aussehen als Wächter der Heiligkeit ihrer Wohnungen und der kostbaren Schätze darin anstellen. Ich denke aber, Viele von ihnen ersparen sich diese Masse von Zweifel, Angst und Sorgen durch die einfache Philosophie, daß, wo die Versuchung gering ist, auch Vergehen und Verbrechen verhältnißmäßig gering sind.

Der Hauptstolz und Trost bei dem Mangel an sonstigen Privilegien, scheint für diese Frauen in der Ehre zu liegen, deren sie sich auch im höchsten Maßstabe erfreuen, Mutter einer unendlichen Menge von Heiligenkindern oder „Göttern“ zu werden, wie sie sich selbst und ihre Nachkommenschaft betiteln. Die Zahl der Kinder im Thale geht in’s Unglaubliche. Fast jedes Frauenzimmer, das das Alter der Mannbarkeit erreicht hat, trägt eine dieser kindlichen Verantwortlichkeiten mit sich umher, und man kann sich daraus eine Idee von der raschen Vermehrung der Bevölkerung machen, deren Salt Lake fähig ist. Diese Götterkinder werden kurz nach der Geburt meist mit einem biblischen oder andern Namen bezeichnet, wie z. B. Zebulon, Erastus, Jerodiah, Nehemia, Naphtha, Tomas etc.

Seit ich hier bin, wohne ich regelmäßig ein- oder zweimal dem Gottesdienst jedes Sabbaths bei, in dem einzigen Gotteshause der Stadt. Der Charakter und das Ceremoniell bei diesen Andachten hat unverkennbar dasselbe Gepräge wie bei verschiedenen protestantischen Sekten. Den Anfang macht ein Gebet, dann wird etwas opernartig eine Hymne gesungen von einem Chor Sänger, Männer und Weiber, unter Begleitung von Geigen, Clarinetten, Flöten und sonstigen Instrumenten. Nun folgt die Predigt, auch wohl mehrere, von einem oder mehreren Aeltesten. Ist dies vorbei, so wird die Versammlung mit einem Gebete entlassen. Die Kanzel ist gewöhnlich vom Präsidenten, zwei Vicepräsidenten und den zwölf Aposteln eingenommen, aber auch von anderen hohen Aeltesten, von denen manche nur nach augenblicklicher Eingebung und ohne alle Vorbereitung zur Menge sprechen.

Vor ein paar Wochen hatte ich das Vergnügen, eine Predigt des Bruder Orson Pratt über Vielweiberei und eine Vorlesung über die Offenbarung, die Joe Smith über denselben Gegenstand wurde, durch den Präsidenten Young zu hören. Dadurch gewann ich eine hellere Einsicht in die Geheimnisse der mormonischen Theologie, als ich bis dahin gehabt hatte. Die Mormonen glauben an die Echtheit des Alten Testaments, wie an die Göttlichkeit des Charakters, der Sendung und Offenbarung Jesu Christi. Außerdem aber glauben sie, daß der Wille Gottes sich dem Joseph Smith in ähnlichen Offenbarungen kundgab und, wenn Verhältnisse es fordern, sich heute dem Brigham Young und den andern Patriarchen der Kirche eben so kund geben wird. Die Mormonen glauben an Vielgötterei eben so, wie an Vielweiberei; beide gehen Hand in Hand, beweisen ihre gegenseitige Nothwendigkeit. Den Grundideen ihrer Theologie gemäß sind sie selbst alle „Götter und Väter von Göttern“, nur in Macht, Wissen und Rang verschieden; Götter, die sich selbst erniedrigt haben, eine Zeit lang unter menschlicher Gestalt auf der Erde zu erscheinen.

Eine ihrer größten Pflichten in ihrem erniedrigten Charakter ist es deshalb, ihr Geschlecht zu vermehren, und nicht allein diese, sondern auch andere unzählige und unerschaffene Welten mit ihren Nachkömmlingen, Götter wie sie selbst, zu bevölkern. Daher kommt die Nothwendigkeit und der Grund für die Annahme der Vielweiberei, nämlich um diesen großen Zweck ihres Daseins schneller zu Stande zu bringen. Nach dem Tode fahren sie in den Himmel hinauf, nehmen ihre ursprüngliche Gottheit an, und leben hier in einem Zustande ewigen Freudengenusses, umgeben von ihren zahlreichen Weibern und ihrer Nachkommenschaft. In ihrem Glauben giebt es keine Hölle. Die Hölle besteht nur darin, daß Unwürdige der Freuden und Entzückungen des Himmels beraubt werden.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_150.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)