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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

„Sie haben offenbar nicht an die Folgen Ihrer Entscheidung gedacht. Ich sagte Ihnen, daß ich am Eingang zum Wahnsinn stehe.“

„Das ist unmännlich“, rief ich entrüstet und fassungslos. „Wir sind allemal wahnsinnig, wenn Leidenschaft uns beherrscht, statt wir sie. Beruhigen Sie sich, gebieten Sie mit männlicher Entschlossenheit Ihrem Herzen Gehorsam. Sie als Mann fühlen sich zu schwach und schieben einem schwachen Mädchen deshalb die Entscheidung zu. Das dürfte mich wahnsinnig machen, nicht Sie. Ich werde zum Himmel flehen, daß er mich vor Wahnsinn schütze und Sie, mehr kann ich nicht.“ Mit diesen Worten verließ ich ihn. Zu Hause umdrängte man mich wegen meines zerstörten Aussehens; ich schützte Kopfschmerzen vor und wollte allein sein. Doch Lusy, hüpfend und strahlend in Freude, bat mich leidenschaftlich, nicht krank zu werden zu ihrem schönsten Feste und folterte mich auf eine Weise, die ich nie vergessen werde.

„Nach einer schlaflos durchweinten Nacht war Alles im Hause in freudigster Geschäftigkeit und ich wurde mit Fragen und um Befehle bestürmt, die ich heute zum ersten Male nicht beantworten konnte.

„Nach 2 Uhr war alles in Ordnung. Lusy strahlte in Seide, Sammet und Perlen, doch viel herrlicher in Ihrem Glücke. Man wartete nun noch auf den Bräutigam. Es wurde öfter und öfter gefragt, ob er angekommen sei. Endlich schickte der Vater hinüber.

„Ich hielt es nicht in der Gesellschaft aus; alle meine Glieder zitterten. Ich suchte nach Fassung in einem abgelegenen Zimmer. Endlich schickte der Vater nach mir. Mit Mühe erreichte ich ihn unten. Der Bote stand noch da und sagte stumpf: Ja hören müssen’s Sie’s doch einmal: er hat sich erstochen!

„Ein durchdringender Schrei hielt mich auf im Umsinken. Lusy war mir gefolgt und hatte die Worte ohne irgend eine Vorbereitung vernommen. Mit furchtbarem Kreischen, fliegendem Haar und wilden Sprüngen stürzte sie davon. Mit Mühe eingeholt und mit Gewalt in ein Zimmer zurückgebracht, kämpfte sie mit der Kraft des Wahnsinns gegen starke Männerhände. Ein entsetzlicher Anblick: eben noch die strahlende, ätherische Braut, jetzt mit dem vollsten Schmucke von Gold und Perlen und Seide beinahe siegreich im Wahnsinn gegen die stärksten Männer kämpfend und Perlen und Goldgeschmeide um sie her fliegend. –

„Der Wahnsinn hat sie seitdem nie verlassen. Sie ist alle Tage dieselbe, früh ein glückliches, bräutliches Kind, ihren Brautschmuck ordnend und sich ankleidend, ohne eine Ahnung von Zeit und langen Jahren. Ich vermählte mich, meine Kinder wuchsen heran und immer noch rüstet sie sich jeden Morgen zum Empfange des Bräutigams. Meinen Mann und meine Kinder hält sie für Hochzeitsgäste seit Jahren und kennt sie unter keiner andern Beziehung. Abends, wenn ihre unglückliche Stunde kommt, gehe ich zu ihr und – erziehe sie. Sie folgt mir jetzt und tobt nicht mehr und betet mir willig Tröstungen der Religion nach. Daß er aus Mangel an früher Erziehung des Willens unterging, habe ich nicht zu verantworten; aber daß sie unter der Wucht des Schicksalstoßes zusammenbrach und die Freiheit über ihre Seele verlor, lastet ewig auf mir. Ich hatte die Pflichten einer Mutter und der Schule gegen sie; ich ließ sie gewähren und ihre Neigungen aufwachsen ohne den Schweiß des Gärtners. Wir Alle sind nichts ohne Erziehung, d. h. geschulte Herrschaft über unser Wissen und Wollen. In den untern Klassen läßt man ungehindert böses Beispiel merken, ohne dem Weizen der Seele Raum zum Wachsthum zu lassen; in den höheren glaubt man den Kindern eine „freie“ Erziehung zu geben, wenn man ihnen die Mühe erspart, sich an Gehorsam gegen die höheren Willensgesetze zu gewöhnen.

Unsere Versuche, sie zu trösten, klangen uns selbst ziemlich nichtig, so daß wir sie bald aufgaben und schweigend zusahen, wie sie langsam und edel, jetzt mit dem vollen, ruhigen Ausdruck ihres großen Schmerzes in Augen und Gesicht davonging.

Wir, ich und mein Freund, stritten uns noch lange, ob die Liebe noch unter Umständen das Recht habe, Menschen wahnsinnig oder todt zu machen. Er verneinte es durchaus und war ganz besonders böse auf das geldbeherrschte, industrielle England, wo gerade noch verhältnißmäßig die meisten weiblichen Wesen nach dem Urtheil der Todtenrichter an „gebrochenen Herzen“ sterben.




Die Mormonen und ihre Frauen.[1]

Die Frauen sind hier in zweite Linie gestellt. Vielleicht hätte ich sagen sollen, sie ständen in gänzlicher und absoluter Unterordnung unter dem Manne, wenigstens würde dieser Ausdruck ihrer Lage entsprechender sein. Zufolge des Glaubensbekenntnisses, das sie unter einander angenommen haben, hat das Weib nicht eher Anspruch auf Glück und geistige Erlösung, als bis sie sich verheirathet oder, mormonisch gesprochen, mit einem Manne versiegelt hat. Die Männer halten demnach das Loos der Frauen in ihren Händen und sind durchaus nicht beschränkt in der Zahl derer, auf die sie mit fürstlicher Liberalität und christlichem Mitleiden die Segnungen des Glückes und des Seelenheiles ausgießen wollen, während das arme Weib bei Todesstrafe gezwungen ist, nur einen Gatten als souveränen Herrn anzuerkennen.

Es ist dies ein Recht und Privilegium, von dem

  1. Unsere Leser haben sicher schon von dieser merkwürdigen Sekte gehört, die im Thale des großen Salzsees, am rechten Ufer des Missisippi in der obercalifornischen Wüste sich angesiedelt hat und mit jedem Jahre an Bedeutung und Größe wächst, so daß sie bereits einen eigenen Staat im Staate Amerika bildet. Ihre Bedeutung ist neuerer Zeit durch die Missionairs, welche sie nach Europa sandte, auch für unser Land eine größere geworden. Ueber ihre staatlichen, religiösen und gesellschaftlichen Einrichtungen, etc. etc., die ganz eigenthümlicher Natur sind, werden wir nächstens ein Weiteres mittheilen, heute berichten wir aus schuldiger Galanterie, zuerst von ihren Frauen, die eine große Rolle in diesem Staate spielen. Bei den Mormonen ist nämlich die Vielweiberei Gesetz. Die Red.     
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 149. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_149.jpg&oldid=- (Version vom 11.4.2020)