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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

No. 14. 1853.
Die Gartenlaube.


Familien-Blatt. – Verantwortlicher Redakteur Ferdinand Stolle.


Wöchentlich ein ganzer Bogen mit Illustrationen.
Durch alle Buchhandlungen und Postämter für 10 Ngr. vierteljährlich zu beziehen.


Das gebrochene Herz.

Wahre Begebenheit aus Englands Gegenwart.
Von
H. Beta.


Wie manche andere Deutsche hatte auch ein Universitätsfreund von mir in England eine Hauslehrerstelle bekommen. Er fühlte sich glücklich in seinem neuen Wirkungskreise und schilderte mir seine „Jungen“ als so lustige, übermüthige Burschen und die Aeltern als so brav und bieder, daß ich endlich seinen Einladungen, ihn zu besuchen, folgte. Die rasend schnelle Eisenbahn brachte mich binnen wenigen Stunden von London nach Norwich, von wo mich der ehemalige Berliner Referendar und jetzige englische „tutor“ in einer Privat-Equipage nach seiner neuen Heimath abholte. Ein Paar derbe Jungen mit schwarzen Jacken, wunderschönen, glänzenden Augen, feinen, blühenden Gesichtern und ernsten Castorhüten bewiesen mir gleich auf dem Wege viel Achtung und Freundschaft, blos weil ich einen „Schnurrbart“ trug. Lange und alle Tage hätten sie ihren „tutor“ aufgefordert, Barbiermesser und Oberlippen einander zu entfremden, aber vergebens; nun sollten aber doch die Leute zu Hause an mir sehen, daß sie wirklich einen „ausländischen“ Hauslehrer hätten. Er selber, und das sei jammerschade, spräche so gut Englisch, daß man ihnen immer nicht glauben wolle, wenn sie versicherten, er sei vom Continent; mein schlechtes Englisch und mein Schnurrbart solle sie nun aber endlich eines Besseren belehren. Nachdem Bill, der ältere, mich versichert hatte, er werde und wolle nie etwas Ordentliches lernen, denn erstens störe es die Heiterkeit und zweitens gäbe es in Australien Gold genug, das man desto besser graben könne, je dümmer man sei, fuhren wir durch das breite, eiserne Gitterthor des prächtigen Landsitzes, als dessen Schulmeister mein Freund hier blühte und bereits ziemlich fett und feist geworden war. Wie fett und schwer ruhte ringsum Epheu auf den Mauern, welche Fülle und Reinheit ringsum, welche üppige Parkaussichten über das herrliche Rasengrün hin!

Doch was ist alle Herrlichkeit der Natur gegen eine edle, würdige Menschengestalt? Wahre Ehrfurcht ergriff mich vor dem Adel und der sinnigen, ehrlichen Milde, womit mir die Herrin des Hauses entgegenkam. Freilich ließ man mir keine Zeit, mich vorstellen zu lassen. Dick riß mich nach der einen und Bill nach der andern Seite: ich sollte die Kaninchen des ersteren und den „Pony“ des letzteren in Augenschein nehmen, während

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 143. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_143.jpg&oldid=- (Version vom 11.4.2020)