Seite:Die Gartenlaube (1853) 138.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

mit einem bedeutsamen Wink nach einem Placate an der Eingangsthüre, um gefällige Beseitigung der Cigarre. Richtig, da steht es groß geschrieben: „das Rauchen auf dem Kirchhofe ist bei einem Thaler Strafe verboten.“ Der Mensch ist von Natur ein polizeiwidriges Geschöpf und allzeit geneigt, der Polizei unrecht zu geben, aber ich bin ein ziemlich guter Mensch und freute mich daher herzlich, der Polizei auch einmal ein Belobungsdekret ausstellen zu können für dieses odi profanum vulgus. Es liegt in der That etwas Unschickliches, ja Empörendes darin an dem Orte der Hingeschiedenen, wo Pietät, Schmerz und Trauer ihrer mit der Ewigkeit sie verknüpfenden Betrachtungen, Empfindungen und Träumen sich hingeben, kalt und barsch umherzuwandeln, seiner Neugierde, seinen historischen oder ästhetischen Studien mit Cigarrendampf zu huldigen und alles tiefst Menschliche darüber außer Acht zu lassen. –

Der Kirchhof ist gerade keiner der schönsten und sinnigst angelegten noch gepflegten, aber immerhin sehr freundlich. Es gibt ein gutes Zeugniß für Weimars Bewohner, daß man auch in dieser Jahreszeit der reizlosen Schneemonotonie andere Besuche, als die der Neugierde und der Touristen hier findet. Die Betrachtung des Leichenhauses mit allen, von Hufeland angeordneten und von Schwabe vervollkommneten Anstalten zu Verhütung des schaudervollen Lebendig-Begraben-werdens, hatte in diesem Augenblick nichts Lockendes für uns. Wir sehnten uns nach der Fürstengruft, und dort südlich auf der Anhöhe ragt sie hoch empor und harrt bereits der Hofdiener unserer Ankunft. Früher soll es sehr vieler Umständlichkeiten bedurft haben, um diese Fürstengruft besuchen zu können. Dem neuen Hofmarschall muß man zum Ruhm nachsagen, daß er diesen Uebeln ein Ende gemacht und die Betrachtung wesentlich erleichtert hat. Man geht oder sendet in die Hofmarschallamtskanzlei und bestellt, um welche Zeit man in die Fürstengruft wolle und pünktlich wird der Hofdiener auf seinem Posten erscheinen. Auch im Innern ist trefflich für die Besucher gesorgt. Man erwarte kein großes Prunkgebäude. Ueber einem Stufenabsatze steht die von Carl August 1824 durch Coudray erbaute Fürstengruft, ein quadratischer Bau mit dorischem Portal, Segmentfenstern und Kuppelaufsatz. Innen in der Mitte tragen vier Pfeiler, verbunden durch Halbbögen, worin Wappen, das Kuppeldach. An der Rückwand der Altar; vorn im Boden die runde umgitterte Oeffnung, um Licht und mittelst einer Vorrichtung die Särge hinabzulassen in die Gruft. In diese windet links dem Eingang eine steinerne Treppe sich hinunter. Das flache Gewölbe der Gruft senkt sich auf vier niedere breite Mauerpfeiler. – Dem Herabgekommenen rechts herum stehen hier sechsundzwanzig Särge, die ursprünglich in zwei Grüften der Kirche im Residenzschloß beigesetzt waren, nach dessen Brande 1774 in einem untern Gewölbe desselben bewahrt, 1825 hier in die neue Gruft versetzt wurden. Diese sechsundzwanzig Särge umschließen von Herzog Wilhelm, † 1662, an sechsundzwanzig Glieder des Fürstenhauses, die das Verzeichniß auf dem ersten Sarge rechts oder der Hofdiener nennt. Am 16. December 1827 ließ Carl August Schiller’s Reste von dem Jakobskirchhofe hierher versetzen, 6 Monate später eröffnete sich die Gruft für Carl August’s Leiche, am 26. März 1832 stellte man Goethe’s Sarg neben den seines Freundes. Die Särge von Goethe und Schiller stehen gerade der Thür gegenüber ....

Dies Alles erzählt man so ruhig, als wenn gar nichts Besonderes daran und Alles nur ein Frühlingstraum wäre, sobald der Hofdiener seine zwanzig Wachskerzen in der Gruft wieder ausgelöscht hat. Dennoch hat man etwas so Außerordentliches gesehen, wie es weder die Westminsterkirche des stolzen London, noch das Pantheon des übermüthigen Paris, noch Roms unvergänglicher Dom aufzuweisen haben. Es ist die feierliche und glänzende Anerkennung des Göttlichen, das von Gottes Gnaden in Männern, die nicht von Fürstinnen geboren worden. Es ist eine heilige Testamentsclausel für alle Thronfolger Weimars, auf welchen Bahnen sie Heil und Ruhm erstreben, für welchen Geist sie einstehen sollen mit Arm und Mund und Herz. Es ist ein Hallelujah hehren deutschen Fürstensinnes, das die Nation vor Verzweiflung bewahrt, wenn sie aller schmachvollen Dinge der neuern Zeit gedenkt. Ja, wenn Deutschland jemals den schönen Ostertag seiner Nationalität zu feiern berufen ist – aus dieser Fürstengruft mit den beiden Dichtersärgen wird er emporsteigen. Hätte Weimar gar nichts als diese Fürstengruft, so wäre es doch für jeden Deutschen der Mühe werth, hieher zu wallfahrten, ein Lorbeerblatt von diesen Särgen zu pflücken, vor Carl August’s Sarkophag ein Knie zu beugen, ein Gebet zu sprechen für Deutschlands Heil und Ehre.

Wie gern wir auch dem edeln Sinne Carl Friedrich’s und Maria Paulowna’s ehrfurchtsvoll gehuldigt, den schönsten Schmuck des Weimar’schen Schlosses – die Dichterzimmer betrachtet hätten, es fügte sich nicht, wir hatten kaum noch zwei Stunden Zeit für uns. So entschlossen wir uns denn zu einem Besuch von Schiller’s letzter Wohnung auf Erden, welche jetzt von dem Stadtrathe treulich gepflegt, täglich und stündlich für Jedermann offen steht.

Die alte Esplanade am alten Frauenthor, wo Linden und Schützengraben einen oft sehr unentschiedenen Kampf um die Oberherrschaft über die menschliche Nase geführt haben sollen und Reihen von Gärten dem Gartengeschmack Weimars nicht gerade ein Loblied sangen, ist nun verschwunden. Sie hat sich in eine sehr stattliche Straße verwandelt und den Namen Schillerstraße gewonnen, kaum zweihundert Schritte von dem Goetheplatz anfangend, endigend an dem unvergänglichen Witthumspalais von Anna Amalie. Ohngefähr in der Mitte der nach Süden schauenden Seite dieser Straße, an der Ecke einer kurzen Verbindungsgasse steht ein unansehnliches, nur sechs Fenster breites Haus, mit sehr niedrigem Erdgeschoß und zwei Etagen hoch. Die Schrift über der Thür sagt uns, daß es Schiller’s Haus ist. Hier wohnte er die letzten drei Jahre seines Lebens.

Einem flinken Redner in der Judenfrage entschlüpften einmal die Worte: „Welchen Anlaß haben wir, uns so gewaltig über die Juden zu erheben? Wir sind ja nicht mehr als verkehrte Juden: sie bedecken ihr Haupt an Orten tiefster Ehrfurcht, und wir entblößen das Haupt.“ So erging es mir unwillkürlich beim Betreten des Flurs dieser heiligen Halle und der überaus gefällige Castellan hatte nicht wenig Mühe, mich zur Bedeckung des Hauptes zu bewegen, da in den oberen Räumen nicht geheizt wird. Eine Dame unserer Gesellschaft war von Neugierde getrieben an die Hinterthür gerathen und rief voll Entzücken:

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_138.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)