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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

die unentdeckten zu gehören. Außerhalb geht es noch nothdürftig, aber der Hohlweg durch die sogenannte Brühlgasse, mit seinen achtzehn Zoll breiten Trottoirs voll Hügeln und Pfützen und Dachtraufen ohne Rinnen erinnert sehr liebenswürdig an manche klassischen Dörfer. Warum sollte man auch in einer Residenz voll wahren Ruhmes zu den vielen Mühen des Lebens noch die hinzufügen, die Fußwege gangbar zu erhalten, wie auch die Witterung sein möge? Die Einwohner haben sich an dergleichen mit stoischer Resignation gewöhnt und die Fremden mögen sich sogleich beim Eintritt überzeugen, daß hier höhere Ansprüche als an solche Alltäglichkeiten zur Geltung kommen.

Schiller’s Arbeitsstube in Weimar.

Der Appetit trieb uns nach dem Gasthof. Einige Reisende, ein Paar junge Beamte und dramatische Künstler bildeten die ziemlich belebte Table d’hote. Kaum hatten wir Platz genommen, so traten zwei zierlich gekleidete junge Männer heiter herein, mit einem flüchtigen Blick erforschend, wohin sie sich setzen sollten. Aber majestätisch, wie der grollende Poseidon aus den Wogen des Meeres, tauchte der Wirth über das Tischtuch empor und rief den beiden Ankömmlingen gebieterisch zu: „Meine Herren, hier wird nicht für Sie gekocht!“ Sie entfernten sich und Stille herrschte ringsum. „Wessen schweren Vergehens haben sich diese beiden Herren schuldig gemacht, daß die ganze Gesellschaft eine solche Behandlung duldet?“ frug ich erstaunt meinen Nachbar. „Die Herrn haben sich gestern die Bemerkung erlaubt, daß der Braten nicht so gut wäre wie gewöhnlich. Das darf nicht sein. Wir Weimaraner sind sehr empfindlich gegen jeden Act der Polizei von Seiten des Staats und der Commun und würden Zeter schreien, wenn von Censur wieder die Rede werden sollte, aber unsre Wirthe dürfen strengste Polizei üben und haben das Recht, auch nicht den allerleisesten Zweifel gegen ihre Allvortrefflichkeit zu dulden. Höflichkeit darf der Wirth nicht auf die Rechnung bringen, also ist er solche auch nicht schuldig.“

Wir wählten zur Besichtigung der Stadt einen Lohndiener und machten uns bald auf den Weg.

Es war weder Freitag noch Sommer, also mußten wir mit der Betrachtung der Außenseite von Goethe’s Haus uns begnügen und trotz seines weltberühmten Salve! mißmuthig weiter gehen. Die Goethe’schen Erben haben ohne Zweifel ein Recht freiester Verfügung über ihr Eigenthum. Aber dieses ihr Eigenthum ist gewissermaßen zugleich Eigenthum der gesammten deutschen Welt, ein Wallfahrtsort, nach dem Pilger aus allen Welttheilen sich einfinden. So darf man vielleicht wohl fragen, was denn die üble Laune hervorgerufen, welche dieses Denkmal des großen Geistes der Welt verschließt und nur so wenigen Glücklichen an einigen Stunden der Sommerfreitage eröffnet. Diese herbe und befremdliche Maßregel ist nicht gleichgültig für Weimar, sie ist es nicht für Hunderte und Tausende von Reisenden, sie ist es nicht für den nationalen Geist und Sinn. Ist keine Aenderung zu hoffen? Wie könnte man sie erzielen?

Der Cicerone leitete unsere Schritte nach dem Kirchhofe, um unterwegs einen Neubau sehen zu lassen: die Freimaurerloge Amalie. Der Baumeister des Rathhauses hat auch dafür den sogenannten freien gothischen Styl gewählt und, irren wir nicht, sinniger und glücklicher als bei dem Rathhaus. Dieser Bau erscheint uns als ein erfreulicher Fortschritt des Künstlers und gehört jedenfalls zu den besten, was Weimar an Bauten besitzt. – Wir standen an dem neuen Kirchhof und der Cicerone bat mich,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 137. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_137.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)