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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Frauen besteht, welche ihren Männern wirklich und förmlich angetraut sind und aus Mädchen, welche, im Schutz der Familie lebend, ihrer Tugend kein lesbares Fragezeichen anhängen; denn auch die Andern haben hier ihr eigenes Leben und Treiben, ihre Salons, ihre bunte rauschende schimmernde Welt. Was die Männer betrifft, sind sie für eine Gesellschaft nicht maßgebend; denn Glacéhandschuhe, Frack und schwarzes Beinkleid sind die hinreichende Legitimation des Mannes für jeden Pariser Salon. Uebrigens bestand der männliche Theil der Gesellschaft aus bekannten ansässigen jungen Kaufleuten, Aerzten, Advokaten, Agents de change, deren Glücksumstände in einem schnellen Wachsthum begriffen, eine glänzende Zukunft verhießen. Da der Zirkel der wohlhabenden Bürgerklasse angehörte, waren die Toiletten nicht nur gewählt, sondern reich und etwas solider, als man sie bei den Honetten bemerkt, welche, seitdem der Faubourg St. Germain politisch und soziell in Verfall gerathen, Königinnen der Mode geworden. Die Französin jedes Standes weiß von sich die Ueberladung fern zu halten und in dieser klassischen Einfachheit besteht das Geheimniß ihrer unerreichbaren Eleganz; abgerechnet die angeborne Anmuth und Geschmeidigkeit, die sie im baumwollnen wie im Sammtkleid, im Hut mit Marabus und im Häubchen beibehält.

Zwischen diese Gewerbsleute waren einige Künstler untergeordneter Qualität als Gährungsstoff der Conversation gemischt. Diese führten das große Wort und machten Bonmots, wie ihre großen Vorbilder Alexander Dumas und Alfred de Müsset in seiner guten Zeit, da er noch nicht das ecclatante Unglück in der Liebe gehabt und nicht so viel Absynth getrunken, wie jetzt. Mein Freund selbst trieb allerlei Künste: Musik, Malerei und aus Liebhaberei, da er doch etwas thun mußte, wenn er nicht damit beschäftigt war, die beträchtlichen Renten seiner alten Mutter zu verprassen. Die französische Lebhaftigkeit verläugnete sich auch in diesem Kreise nicht, ob er gleich aus so philiströsen Gliedern bestand, als man sie nur in Paris aufzutreiben vermag. Man plauderte, man scherzte, man lachte, man tischte Witze aus eigener und fremder Werkstatt auf; man erzählte Skandale aus den allerhöchsten Kreisen, Anecdoten, tausend komische Vorfälle, man spottete, man sprach Politik. Das Philisterthum liegt eben nicht in der Natur des Franzosen, der immer eine Zeit gehabt, da er sich die Zügel schießen ließ, und in die er, ob jung, ob alt, immer wieder zurückfällt, so wie er den Schauplatz seiner ernsten Beschäftigung, das Bureau, das Comptoir, das Magazin verläßt, um sich dem Vergnügen hinzugeben. Es gibt keinen unsystematischeren Menschen als den Franzosen, und ohne System, ohne Uhr und Kalender in der Hand kein Philisterthum! –

Der Salon, welcher uns aufnahm, war elegant mit allem erforderlichen Zubehör eingerichtet; nur durch kleine Mängel unterschied er sich von dem der eigentlich vornehmen Welt, von dem der großen Künstler, Staatsmänner und der traditionellen Herrlichkeit. So fehlte z. B. das reiche Lichtmeer, von dem sich die vornehme Welt bei solchen Gelegenheiten überströmen läßt. Es fehlte der Ausdruck gewisser Marotten und Liebhabereien, der Einem in den Salons ausgezeichneter Personen entgegentritt. Als Kupferstich- oder Autographen-Sammlungen, Statuen, Vasen, Albums, Portraite berühmter Personen, welche eine Meinungs- oder Geschmacksrichtung bezeichnen. Kurz man vermißte die Symbole der höhern Lebenssphäre; doch kündigten sich desto lebhafter die Wohlhabenheit und das behagliche Bewußtsein derselben an, das man in Paris so selten findet, wo Jeder Alles haben will und von nichts weniger als einem Staatsministerium träumt.

Die Hausfrau, das prachtvollste Exemplar von einer Pariserin, machte auf eine so anziehende Weise die Honneurs, daß sie alle Gäste, besonders die männlichen, entzückte. Eine Deutsche sucht in einer Gesellschaft Einem, höchstens Zweien, die sie vorzieht, dem Vornehmsten, dem Schönsten, dem Berühmtesten, und wenn sie liebt, nur dem Gegenstand ihres Herzens zu gefallen. Die Andern gehen leer aus. Die Französin will Aller Beifall gewinnen, und sie läßt in einer Gesellschaft, neben ihrem Gotte, noch andere Götter bestehen. Sie ist im Salon demokratisch, sie weiß im Salon von keiner Rangordnung. Sie hat freundliche Blicke und Lächeln für Alle ohne Unterschied des Standes. Ihr Auge macht Streifzüge durch den ganzen Gesichtskreis bis hinab zum Diener, der mit Erfrischungen aufwartet; sie versteht es im Fluge zu erobern.

Mir gefiel sie über alle Maßen, diese Madame Lamont, mit dem zarten, blassen, unmerklich mit Rosa angehauchten Gesichtchen, mit den geistreichen sprühenden Augen, in denen so viel Verständniß, so viel Muthwillen, so viel kleine Teufeleien zu sehen waren. Was war das Lächeln auf diesen spöttischen Lippen lockend und einnehmend; was trug sie das Köpfchen und schüttelte sie die braunen Locken so eigenmächtig launenhaft! Von ihrem Füßchen spreche ich nicht; denn für das gibt es kein Wort, keine Kritik, und wie gut verstand sie es, diesen Reiz zur rechten Zeit sichtbar und unsichtbar, oder besser gesagt, reden und schweigen zu machen. Kurz, Madame Lamont, war eine bezaubernde Erscheinung, die Einem ganz leicht den Kopf verrücken konnte.

„Ist Herr Lamont glücklich?“ frug ich meinen Freund, als wir uns auf einen Augenblick zusammenfanden und unbelauscht sprechen konnten.

„Wahrscheinlich,“ gab dieser zur Antwort.

„Ist er von seiner Frau geliebt?“ frug ich weiter.

„Ohne Zweifel,“ erhielt ich zur Antwort; „denn Madame Lamont hat die Einwilligung ihrer Aeltern zu dieser Verbindung erzwungen und weit vortheilhaftere Anträge zurückgewiesen.“

„Der Glückliche!“ rief ich aus.

„Ihnen gefällt also Madame Lamont, wie es scheint?“ sagte der Franzose, indem er mich mit einem schonenden Lächeln ansah.

„Ob sie mir gefällt!“ gab ich zurück; „doch möchte mich, wenn ich ihr Mann oder Geliebter wäre, ihr Wesen sehr beunruhigen.“

„Beunruhigen, wie so?“ frug erstaunt der Franzose.

„Weil sie zu liebenswürdig ist. –“

„Kann man das sein?“

„Mir macht diese Frau den Eindruck, als forderte sie leichtsinnig alle Bewerbungen heraus und ich hätte Angst, daß sie nicht Kraft genug besäße, sie alle zurückzuweisen.“

„Wohin verirrt sich Ihr germanisch türkischer Geist,“ rief lachend mein französischer Freund. „Ich verstehe gar nicht recht, was Sie da Alles sagen und weiß nur, daß Madame Lamont eine hübsche junge Frau ist und ihre

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_134.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)