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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

No. 13. 1853.
Die Gartenlaube.


Familien-Blatt. – Verantwortlicher Redakteur Ferdinand Stolle.


Wöchentlich ein ganzer Bogen mit Illustrationen.
Durch alle Buchhandlungen und Postämter für 10 Ngr. vierteljährlich zu beziehen.


Pariser Bilder und Geschichten.

I.
Eine Frau.

Als ich vor einigen Jahren nach Paris kam, ward ich von einem jungen Franzosen, dessen Bekanntschaft ich bei einer mir liebgewonnenen Familie gemacht, in eine Abendgesellschaft (petite soirée) geführt. Wie fast alle Deutschen, welche die französische Hauptstadt zum ersten Male besuchen, kam ich aus dem Staunen und Entzücken gar nicht heraus, überall die Herrlichkeiten, welche ich da erblickte, überall das Neue und Seltsame und doch schon Bekannte, überall das Eigenthümliche und Fremdartige, das mich doch nicht überraschte, über diese Welt von der man in Deutschland so viel hört und liest und die Einem doch noch wunderbarer entgegentritt, als man es erwartet, obgleich die Phantasie gewiß nicht müssig oder träg bei den Vorstellungen geblieben, die man sich von der bewegten Stadt an der Seine gemacht. Ich habe in bester Form für Alles geschwärmt, was ich vor mir sah: für die Boulevards mit ihrem bunten Gemisch von Menschen, für die prachtvoll ausgestatteten Laden und Auslagen, für die Höflichkeit aller Leute, für die unzähligen Mercis und Pardons, die in Paris so reichlich verschwendet werden, daß man mit dem Ueberfluß die ganze übrige Welt versorgen könnte. Ich schwärmte für die feine vornehme Weise aller Classen der Gesellschaft, für den Takt in Rede und Haltung, für die Toiletten, für die Ungezwungenheit der Bewegung, die Leichtigkeit der Unterhaltung, vor Allem aber für die Weiber und ihrer unbeschreiblichen Anmuth bei aller Einfachheit, für ihre Coquetterie, die sich mehr als eine gesellschaftliche Liebenswürdigkeit, denn eine gemeine Schwäche kund gibt. „Alle sind sie schön“ (die Pariserinnen nämlich) schrieb ich in meinem ersten Entzücken an einen Freund, „die Alten wie die Jungen; die Häßlichen wie die Schönen.“ Damals befand ich mich noch in der Befangenheit, welche Paris in dem fremden Ankömmling erzeugt, die nur zu sehen, aber nicht zu prüfen, zu betrachten, aber nicht nachzudenken gestattet, und aus welcher gewisse schüchterne Naturen ihr Lebelang nicht herauskommen.

„Alle sind sie schön“ dachte und schrieb ich; denn ich wußte noch nicht, daß dieses Alles äußerer Aufputz, Tünche sei, daß hier Personen und Dinge wie Theaterstücke in Scene gesetzt werden. Ich wußte noch nicht, welche Verwüstung sich hinter dieser prunkenden Außenseite, welche Krida hinter diesen kunstvollen Auslagen sich verstecke. Doch halt! ich will ja von der Abendunterhaltung erzählen, an der ich nach kurzem Aufenthalte in Paris Theil nahm. –

Ich befand mich in einer „honetten“ Gesellschaft. So nennt man nämlich in Paris eine Gesellschaft, die aus

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 133. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_133.jpg&oldid=- (Version vom 11.4.2020)