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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

stehen und schlug einen fast entgegengesetzten Weg ein, denn die Sehnsucht drängte ihn, die Geliebte noch einmal zu sehen, die er sich eben durch eine Blutthat erkaufen wollte.

Sie empfing ihn erfreut, aber bald fragte sie entsetzt:

„Du trägst Waffen bei Dir? Was willst Du beginnen?“

Melutiz lächelte und antwortete, er wolle sich die Geliebte verdienen.

„Du willst tödten, Melutiz!“ fuhr Velida entsetzt auf und faßte heftig die Hände des jungen Indianers. „Wirf die Waffen von Dir, wenn Du mich liebst; kehre heim in die Hütte Deines Vaters und warte da bis zum Aufgange der Sonne. Morgen wird Dir vor Deinem heutigen Vorhaben grauen, denn böse That bringt Reue und Blut ist nie von der Hand abzuwaschen, die es vergoß.“

Melutiz schüttelte den Kopf und antwortete:

„Die Häuptlinge verlangen es; sie haben lange gelebt und sind weise. Ich will auch nicht einen Krieger tödten, sondern einen Weißen, einen Sohn derer, die unser Volk mißhandelten.“

Velida erbleichte.

„Tödte den Weißen nicht!“ bat sie flehendlich. „Der große Geist hat ihn gesandt; seine Lippen sprechen Weisheit und ich verehre ihn.“

Sie schlang dabei ihre Arme um den Jüngling, um in diesen weichen Banden ihn zurückzuhalten; Melutiz aber entwand sich ihr und entfloh. Er eilte rasch auf dem Wege nach der Hütte des Weißen hin, aber immer lauter wurde das Echo, das die Bitte Velida’s in seinem Herzen geweckt hatte, so daß sein Vorsatz wankend geworden als er endlich die Hütte des Missionärs erreichte. Als er dann im Mondenlicht den Greis knieen und beten sah, als er das weiße Haar des Alten erblickte, das ihm wie ein Mantel um die Schultern fiel, sein Alter zu schützen, als er die Stirn betrachtete, auf welcher jeder Schmerz eine Narbe zurückgelassen, und das hagere Gesicht, das mancher Kummer durchgefurcht, verließ der Muth zu tödten den jungen Krieger ganz und gar. Er warf den spanischen Dolch von sich und trat rasch mit den Worten zu dem Betenden:

„Alter Mann, unsere Häuptlinge haben Dein Verderben beschlossen. Der Tod lauert auf Dich. Fliehe, verlaß unser Land. Eine Pirogue liegt ganz in der Nähe am Flußufer; steige hinein und rudere dahin, wo Du weiße Krieger finden wirst. Dein Bleiben ist Dein Tod.“

„Mein Sohn,“ antwortete der Greis, „Gott möge den Menschen vergeben, wenn sie meinen Tod beschlossen haben; aber ich werde ihn furchtlos erwarten und ohne Klage erleiden.“

„Bei meinen Vätern!“ fiel der junge Indianer ein; „es ist keine leere Drohung. Der, welcher Dich tödten soll, ist erwählt und Du weißt es, daß in unsern Wäldern der sicherlich den Tod findet, welcher ihn zu geben sich weigert. Der Erwählte liebt überdies die Tochter eines Häuptlings und Velida wird sein Lohn, wenn er den Auftrag ausführt. Ich bin der Erwählte, also zögere nicht.“

„Ich beklage Dich, aber ich verzeihe Dir,“ antwortete der Greis.

„Alter Mann, alter Mann!“ rief da der junge Wilde aus, „ich bewundere Deinen Muth, ich fühle Mitleid mit Deinem Alter und Dein weißes Haar erschreckt mich. Erbarme Dich meiner und verlaß unsere Wälder, denn siehst Du, Velida ist die schönste Jungfrau unseres Stammes. Um ihr zu gefallen, würde ich den Glauben meiner Väter verläugnen, um sie zu besitzen, würde ich Dich tödten, alter Mann, trotz Deinem grauen Haar, denn ich liebe sie, ich liebe sie mehr als Du Deinen Gott lieben kannst.“

Kaum hatte Melutiz dies gesprochen, so zuckten alle seine Glieder, denn er hörte Geräusch in der Ferne. Rasch trat er an die Thür der Hütte und lauschte in unbeschreiblicher Angst.

„Weißer alter Mann!“ sagte er dann zu dem Priester, indem er den Dolch, den er von sich geworfen, wieder aufhob, „meine Brüder kommen, .. ich höre ihre Tritte, .. benutze die Zeit, die Dir noch bleibt – fliehe!“

Der junge Krieger hatte einen schweren Kampf mit sich zu kämpfen. Wie viel ihn auch reizte, den Weißen zu hassen, die großartige Ruhe desselben lähmte seinen Arm. Er hob die Waffe nach dem Betenden und ließ sie wieder sinken, um ihn mit der rührendsten Bitte zur Flucht zu beschwören. Der Greis betete andächtig weiter. Die Wilden, die herbei kamen, näherten sich unterdeß mehr und mehr; sie konnten kaum noch hundert Schritte entfernt sein; Melutiz verlor die Geliebte und sein Leben, wenn sie herankamen und seine – Feigheit sahen .. Da raffte er sich auf, ergriff krampfhaft den betenden Alten und stieß ihm mit abgewandtem Gesicht den Dolch in die Brust.

Der Greis wankte und sank zu den Füßen seines Mörders nieder.

Dieser stand da wie erstarrt; nur seine Lippen bebten und kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn.

„Gott vergebe Dir, wie ich Dir vergebe,“ sprach der schwer Verwundete; „er erleuchte Deinen Geist mit seiner Wahrheit!“

„Weißer Mann,“ rief der junge Wilde gewaltig ergriffen aus, „Dein Gott muß groß und mächtig sein, da er Dir die Kraft giebt, Deinem Mörder zu verzeihen. Ich schwöre es Dir, Dein Gott soll mein Gott sein!“

Da fand der Priester Kraft sich auf die Knie aufzurichten.

„Knie nieder!“ sprach er kaum hörbar zu seinem Mörder. Dann streckte er die Hände nach dem Weihwasser aus, legte sie auf das Haupt des zerknirschten Wilden und – taufte ihn. Darauf sank er nieder und starb.

Die Indianer, die jetzt herbeikamen, um zu sehen, ob Melutiz seinen Auftrag erfüllt, sahen den Weißen in hellem Mondenlichte in seinem Blute liegen, stießen ein grauenhaftes Siegesgeschrei aus und kehrten zurück, ohne ihren Bruder gesehen zu haben, der im tiefen Dunkel noch immer gebeugten Hauptes neben seinem Opfer kniete.

Langsam stand er endlich auf, grub ein Grab neben der Hütte und legte den Getödteten hinein.

Als der Morgen grauete, suchte er Velida auf.

„Du hast ihn getödtet! Du hast ihn getödtet!“ rief sie ihm voll Verzweiflung zu .. „Fliehe, Mörder! Berühre

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_122.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)