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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)


Englands, aber überall, in der Hauptstadt, in den Fabrikstädten und auf dem Lande seht Ihr rings um Euch die kläglichste Entblößung und Herabwürdigung. In London allein, hören wir, gibt es mehr als eine Million unsterblicher Wesen, die man niemals im Hause Gottes sieht und welche praktisch als Heiden denken und leben. Der Zustand eines großen Theils der Arbeiterbevölkerung jener ungeheuren Stadt läßt sich aus der Thatsache beurtheilen, daß von ihren 20,000 Schneidergesellen 14,000 durch vierzehnstündige Arbeit täglich, mit Einschluß des Sonntags, kaum die armseligste Lebensnothdurft erringen können; und daß die 33,000 Näherinnen, welche London enthält, täglich vierzehn Stunden arbeiten und im Durchschnitt nur 41/2 Pence verdienen. 50,000 Menschen in London suchen ihren Lebensunterhalt auf der Straße, und Henry Mayhew, eine Autorität, die Ihr nicht in Zweifel ziehen werdet, sagt von ihnen: „Wenn man sich die religiöse, sittliche und geistige Herabwürdigung der Mehrheit dieser 50,000 Menschen deutlich vorstellt, so erschrickt man bei dem Gedanken, welche Summe von Laster, Unwissenheit und Elend sich im innersten Herzen unsers Landes beisammen findet. Nicht 3 unter 100 von ihnen haben jemals eine Kirche betreten, und von zehn kann kaum einer lesen. Dabei sind unter zehn Paaren, die als Mann und Weib zusammenleben, erst eines ordentlich verheirathet.“ Eure Manufacturstädte sind nicht besser. In Glasgow z. B. sind 60,000 Weiber in den Fabriken oder als Näherinnen beschäftigt, deren durchschnittlicher Verdienst 7 bis 8 Schilling die Woche nicht übersteigt. (Folgen Details über die dortige geringe Vorsorge für die religiösen Bedürfnisse der Armen, mit Berufung auf das Zeugniß Dr. Patersons aus Glasgow.) Ebenso steht es mit Eurer Ruralbevölkerung. Ein sehr großer Theil Eurer Landleute lebt in schmutzigen und überfüllten Hütten, wo die Geschlechter Tag und Nacht in enger und gefährlicher Berührung sind, so daß die Anständigkeit schwer, die Behaglichkeit unmöglich ist.“

„Aber, Schwestern! wir haben nun genug gesagt, und wir fordern Euch nun auf, ernstlich nachzudenken und mit Gott zu Rathe zu gehen, inwiefern ein solcher Stand der Dinge im Einklang ist mit seinem heiligen Wort, dem unveräußerlichen Recht unsterblicher Seelen, und dem reinen und erbarmungsvollen Geiste des Christenthums.“ –

Es wird dann in einer längern Nachschrift darauf hingedeutet, was die englischen Frauen den Armen ihres Landes gegenüber zu thun und wie sie es anzugreifen haben dem Elend ein Ende zu machen. „Wir rufen Euch auf,“ schließt das Schreiben, „als Schwestern, als Gattinnen und als Mütter, erhebt Eure Stimmen vor Euren Mitbürgern und Euer Gebet zu Gott, daß Englands Schande in der christlichen Welt getilgt werde.“ –


Literaturwerth in Deutschland und Frankreich. Unter diesem Titel läuft die nachfolgend kurze Notiz durch viele deutsche Zeitungen: „In Paris hat eine Verlagshandlung das Verlagsrecht der Victor Hugo’schen Werke an sich gebracht und zwar für den Preis von zwei und achtzig tausend Franken. Wenn man sich erkundigen will, was der reiche Cotta für das Verlagsrecht der Goetheschen Werke gegeben hat, so wird ein guter Patriot nicht umhin können, darüber ein wenig schamroth zu werden.“ So weit die Notiz. – Was soll nun das heißen? Wollte Gott, der deutsche Patriot hätte über nichts mehr Grund sich zu schämen, dann brauchte er wahrlich dem Auslande gegenüber nicht zu erröthen. Goethe erhielt, außer von Honoraren für einzelne seiner Werke, das Verlagsrecht seiner sämmtlichen Schriften mit der runden Summe von Einhunderttausend Thalern bezahlt, also fast fünfmal so viel als Victor Hugo. Ueberhaupt hat das Honorargewinsel einzelner Journalisten etwas sehr Undelikates und Unwahres. Ganz abgesehen davon, daß unsere literarischen Verhältnisse, was den Absatz der Bücher anlangt, mit denen des Auslandes gar nicht zu vergleichen sind, so ist es auch Thatsache, daß die deutschen Autoren trotzdem nicht schlechter honorirt werden, als die französischen. Gutzkow erhielt für seinen Roman: „die Ritter vom Geiste,“ nach französischem Gelde gerechnet, 26,000 Francs, Auerbach für den Bogen seiner Dorfgeschichte 400 Francs, Humboldt für den Bogen seines Kosmos 650 Francs, der selige Clauren, als er noch in Flor war, für sein 18 Bogen haltendes Taschenbuch „Vergißmeinnicht“ 11,000 Francs. Man vergleiche damit die Honorare der Pariser Autoren und man wird finden, daß sie kaum den unsrigen gleichkommen.


Eine Frage der Jetztzeit. Nach Berichten aus Schwaben, Thüringen, Baiern, Hessen, Schlesien, vom Rhein etc. wird für das kommende Frühjahr die Auswanderung eine wahrhaft großartige werden. Im Würtenbergischen sollen sich jetzt schon nahe an Zwanzigtausend bei den verschiedenen Agenturen angemeldet haben. Und nicht die Armen gehen nach Amerika, nein, die Besitzenden, nicht aus den schlechtesten, nein, aus den reizendsten, fruchtbarsten Gegenden Deutschlands wandern die Leute aus, einer ungewissen Zukunft entgegen, die ihnen viele Jahre hindurch nur Arbeit und endlose Mühen bietet. Es ist mithin Thatsache, daß nicht die Noth sie forttreibt. Also was sonst? Man hat neulich in einer östreichischen Zeitung die Frage aufgeworfen, warum diese Leute nicht nach Rußland gehen, wo ihnen von der Regierung so viele materielle Vortheile geboten werden? Warum nicht nach dem reizenden Spanien, das noch so viele unbebaute Landstriche bietet? Warum nicht nach dem fruchtbaren schönen Ungarn, das dem Ackerbauer so reichliche Ernten verspricht? Warum?


Singende Muscheln. An den Küsten Ceylons, wo in dem klaren Wasserelemente ein unermeßlicher Reichthum tausendfacher Geschöpfe sich verbirgt, hört man in den dortigen zauberischen Mondnächten nicht selten vom Ufer her eine melancholisch-melodische Musik, wie Aeolsharfen, die in ihren wechselnden zarten Klängen gleichwohl das Rauschen der Brandung übertönt. Es sind singende Muscheln, welche die alte Sage vom Sirenengesang in’s Leben rufen. Reisende, welche die Insel längere Zeit besuchten, schildern solche Nächte als ungemein schön und erregend.

E. K. 



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_108.jpg&oldid=- (Version vom 16.4.2020)