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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

etwas so Gutes ist, will ich’s nachher vor Schlafengehen zu mir nehmen. Da schlaf’ ich gut drauf.“

„Thut das, Meister Jan!“ lächelte der Andre.

Jan ließ sich’s schmecken und schwatzte dazu nach Herzenslust von seinen Tauben. Hatte ihn doch der Traum seiner Tochter nur vor dem gefärbten Brandwein gewarnt. Was es eigentlich damit sollte, darüber zerbrach er sich den Kopf auch nicht. Er ließ es eben an seinen Ort gestellt sein. Jan war eine glückliche Natur. Was er nicht begriff – und er begriff in der That nicht viel – das ließ er bei Seite liegen.

Bei der ersten Gelegenheit, als er sich von den Leuten in der Stube unbemerkt sah, goß er das eingeschenkte Glas Brandwein zum Fenster hinaus und stellte sich dann als habe er es ausgetrunken; und als ihn Herr Werneburg in die Schlafkammer führte, nahm er schmunzelnd die Schnapsflasche, mitsagend: der Kirschen schmecke ihm zu gut, er werde die Flasche austrinken, wenn er im Bette liege, dann könne der Rausch kommen, er sei ja in Nummer-Sicher. Der Hauswirth belobte diesen Entschluß und wünschte ihm gute Nacht. Jan goß den Inhalt der Flasche aus, sobald er sich allein sah, nahm für alle Fälle seinen scharfen Schnitzer mit in’s Bett und schnarchte schon nach wenigen Augenblicken.

Als er erwachte war’s schon heller Tag und er bemerkte zu seiner Verwundrung, daß seine Kleider nicht mehr auf dem Schemel vor dem Bette lagen, wohin er sie gelegt. Er brachte diesen seltsamen Umstand mit dem rothen Brandwein in Verbindung und beschloß bei sich, sich noch eine Zeit lang schlafend zu stellen, ob er nicht einen Aufschluß erhorchen möchte. Seine Hoffnung wurde erfüllt. Herr Werneburg war eben aufgestanden und kam mit dem Großknecht in die Kammer. „Wahrlich!“ sagte er lachend, „Du hast Recht, der Kerl hat die ganze Bulle ausgesoffen. Na der schläft uns sicher bis morgen und wird schöne Augen machen, wenn er die Pfarrkirmeß verschlafen hat. Räuchere die Lumpen mit Wachholdern aus. Se. Durchlaucht wird nicht lange auf sich warten lassen.“ – Damit gingen sie lachend. Einigen Aufschluß hatte Jan nun schon. In dem rothen Brandwein war ein Schlaftrunk gewesen. Nicht lange, und Alles sollte ihm klar werden. Noch hatte er keine Stunde still gelegen, als er Pferdegetrab vernahm. Vorsichtig lugte er aus der Ecke des Fensters hinaus. Es war der Herzog, den Werneburg ehrerbietig bewillkommte.

„Ist der Kerl da?“ fragte der Fürst.

„Jawohl und hat die ganze Portion eingenommen. Er schläft wie ein Dachs.“ – Sie gingen in’s Haus. Jan lag wieder eine Stunde wie auf Kohlen; ihm hungerte und durstete, und aus manchen Tönen, die an sein scharfes Ohr drangen, merkte er, daß gefrühstückt wurde. Er mußte aber aushalten. Endlich hörte er, wie die Hausbewohner allmälig aufbrachen, um hinüber in’s Dorf zur Kirmeßkirche zu gehen. Jan lugte hinter her und sah mit lächelnder Befriedigung sich selbst neben Herrn Werneburg dahin wandern, das Blasrohr unter dem Arm. Nun blieb ihm kein Zweifel mehr. Der Herzog wollte als Tauben-Jan die Pfarrkirmeß besuchen, um irgend eine Schelmerei zu treiben, und ihm, dem wirklichen Jan, war aus zwiefachem Grunde der Schlaftrunk bereitet worden: erstlich damit nicht zwei Jane in der Seewicher Pfarre auftreten sollten, und dann, damit der Herzog in seinen (Jan’s) Kleidern und mit dem Blasrohr dort erscheinen könne. Jan war keineswegs der Mann, der auch nur im Mindesten gewillt sein konnte, sich des Herzogs wegen, der ja nicht einmal sein Landesherr war, das ersehnte Kirmeßvergnügen abschneiden zu lassen oder vielmehr freiwillig aufzugeben und sich den ganzen Tag über im Bette aufzuhalten, zu hungern und zu dürsten und sich anzustellen als schlafe er. Ueberdies hatte er seinen Freunden und Handwerksgenossen versprochen bei der heutigen Mummerei in der Seebach eine Hauptrolle zu übernehmen, wozu bereits die Vorkehrungen getroffen waren.

Da der Herzog sich ohne seine Erlaubniß seiner Kleider bemächtigt hatte, um in Seebach Tauben-Jan zu spielen, so lag ihm der Gedanke zu nah und sah ihn viel zu verlockend an, um ihn nicht auszuführen, der Gedanke das Vergeltungsrecht am Herzog zu üben, sich die Kleider desselben anzueignen und in Seebach den Durchlauchtigen Herrn vorzustellen. Eigentlich blieb ihm ja durchaus weiter nichts übrig; und daß das ein Hauptspaß werden müsse, wenn er, Jan, als Herzog und der Herzog als Jan dort aufträten, leuchtete ihm schnell ein. An weitere unangenehme Folgen, die für ihn daraus entspringen könnten, dachte er nicht. Seine einzige Sorge ging dahin zu erspähen, ob alle Hausbewohner nach dem Dorfe hinüber gegangen seien, und wo er die fürstlichen Kleider finde. Aus der Kammer gekrochen, lugte er umher und ward inne, daß eine alte halbtaube Magd zurückgeblieben sei und in Hof und Stall hanthiere. Die gesuchten Kleider fand er in der obern Stube, wo auch noch Wein und Speisen auf dem Tische vom Frühstück standen. Jan legte erst den Staat an. Er nahm sich Zeit dazu, und seine kindische Freude stieg mit jedem Stück der herzoglichen Garderobe, das er am Leibe fühlte, und er betrachtete sich wie ein junges eitles Mädchen im Wandspiegel. Endlich war er von der kleinen Perrücke mit dem mächtigen Zopf bis zu den bespornten Stiefeln hinab Se. Durchlaucht der Herzog von Sachsen-Eisenach. Nun setzte er sich zu Tische und leerte ganz gemüthlich im Geiste seiner Rolle Teller und Flaschen. Er wollte durchaus nicht eher in Seebach erscheinen, als bis des Pfarrers Mittagstisch vorbei sei, denn er hatte eine geheime Furcht zu demselben gezogen zu werden. Als es ihm Zeit schien, ergriff er den kleinen dreieckigen Hut und die Reitpeitsche und ging stolz und keck davon, als sei er wirklich der Fürst des Landes.

(Schluß folgt.)




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_100.jpg&oldid=- (Version vom 16.4.2020)