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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

hatte. Sein Geschäft bestand darin, aus Knochen, Hirschhorn und Holz die Schalen für die Messer- und Gabelgriffe zu schneiden und an das Heft fest zu nieten; aber Jan war in der That wenig bei dieser Arbeit zu finden. Seine Frau und seine einzige Tochter, zwei thätige Frauenzimmer, verdienten mit Putzen und Vollenden der Waare mehr als der kleine mäßig lebende Haushalt bedurfte, und so konnte Meister Jan ebenso noch als ein hoher Vierziger seinem Lieblingsvergnügen, den Tauben, nachgehen, wie er ihm schon als Knabe nachgelaufen war. Von Mittag und nicht gerade selten sogar vom frühen Morgen an sahen die Bewohner des Thals, abwechselnd die eisenacher und die gothaer Unterthanen den guten Tauben-Jan bald durch die langen Straßen des Orts rennen, bald an den Bergwänden emporklimmen, bald oben auf den Bergkanten trotten, bald in den Büschen der Thalwiesen herumkriechen, wie es gerade die ausgeflogenen Tauben erheischten. Sein An- und Aufzug war dabei sehr originell und einfach. Auf dem grausen Blondkopf trug er entweder eine stahlgraue übergeschlagne wollene Sackmütze oder er war barhäuptig; ein schmutziges Hemd mit dem Schlitz auf dem sonnenverbrannten breiten Rücken und ein paar sehr alte und vor Schmutz gleisende schaflederne kurze Hosen, die allein von den Hüften und im Nothfall von seinen Händen gehalten wurden, machten seine ganze Bekleidung aus. Zuweilen kamen noch ein paar alte Pantoffeln oder Schlumpschuhe hinzu, in der Regel lief er aber eben so mit bloßen Füßen, wie mit bloßen Beinen. Unter seinem linken Arme vermißte man aber niemals das lange schwarze Blasrohr mit hörnernem Mundstück, die Meisterarbeit eines Drechslers. Alle Jungen im Orte versicherten einander mit wichtigen und geheimnißvollen Mienen, Jan’s Blasrohr sei inwendig mit Maulwurfsfellchen gefüttert. Dies war nun zwar nicht der Fall, aber diese mythische Angabe bewieß hinlänglich, in welchen hohen Ehren dieses Instrument oder Gewehr bei der ganzen Dorfjugend stand und von welchem Werthe es war. Es gab in der That kein zweites so im Orte, obgleich der Taubenliebhaber und Züchter und folglich auch der Blasröhre noch sehr viele. Die Hosentasche Jan’s war ganz mit thönernen Kugeln angefüllt, die zu Hause mit der Kugelzange zu formen seine Hauptbeschäftigung war. Seine großen grauen Augen waren während seines Marsches immer nur auf die Giebel und Dachfirste der Häuser, auf die Ausgänge und Stangen der Taubenschläge gerichtet, und er hatte selten für einen andern Gegenstand als Tauben einen und dann gewiß nur gleichgültigen Blick. Im Uebrigen war Jan ein kerngesunder prächtiger Mensch mit einem dunkelbraunen Vollmondsgesicht, das nun eben mit dem des Herzogs in einer Form abgedruckt zu sein schien.

Aber die Aehnlichkeit der beiden Männer bezog sich nicht allein auf die Gesichtszüge, auf Farbe und Ausdruck der Augen, des Haars, der Leibesgestalt und Haltung, sie fand auch hinsichtlich der Neigungen und Leidenschaften und ihres Ausdrucks in Stimme und Geberde statt. Wie der Herzog neben der Jagd, den Pferden und Hunden, die Tauben, die Hähne und die Finken liebte, so liebte Jan neben den Tauben, Hähnen und Finken auch noch die Jagd, Pferde und Hunde und das stärkere Hervortreten der einen oder der andern Neigung bei dem Fürsten und dem Schalenschneider war offenbar nur von ihren so sehr verschiedenen Lebensverhältnissen bedingt. Man gab dem trefflichen Blasrohrschützen Tauben-Jan nicht mit Unrecht Schuld, daß er auch eine gezogene Jagdflinte mit derselben Sicherheit zu handhaben wisse und das stählerne Rohr in seiner Hand eben so wenig sein Ziel verfehle, wie das hölzerne. Er stand mit einem Worte im Geruch ein Wilddieb zu sein. Das Halten der Hunde verleidete ihm die unermüdliche Zanksucht seiner Ehehälfte, welche, so oft er auch ein so schmuckes Vieh in’s Haus gebracht hatte, es immer wieder hinausgebissen oder ihm nichts zu fressen gegeben hatte, und Jan war schlechterdings nicht im Stande, ein solches aus eignen Mitteln auf die Dauer zu ernähren.

Es gab Leute, welche die Aehnlichkeit Tauben-Jan’s mit dem Herzog auf eine sehr natürliche Weise erklären wollten, doch flüsterten sie allemal und sahen sich scheu um, wenn sie davon sprachen.

Der Herzog kannte sein Ebenbild persönlich und war in Bezug auf Tauben einige Mal mit Jan in persönliche Berührung gekommen; aber sei es, daß die Aehnlichkeit des gemeinen Mannes etwas Unheimliches für den Fürsten hatte, sei es, daß die sein hohes Ohr mehr als einmal berührende Kunde von Jan’s gesetzwidrigen Spaziergängen auf den Wildbahnen ihn erbitterte, genug er näherte sich dem berühmten Taubenliebhaber nicht mehr. Ja im Geheim gab er seinem Unterförster Voigt auf dem Heil’genstein, einem jungen tüchtigen Jäger, Auftrag, sich mit Tauben-Jan zu befreunden, ihn in seinem eignen Hause zu umlauern und es auf diese Weise zu bemöglichen, daß der Wilderer einmal auf dem eisenach’schen Revier gefangen werde. Jan war nämlich ein gothaischer Unterthan, und mit den gothaischen Gerichten hatte Herzog Wilhelm Heinrich eben so wenig wie mit dem feinen gothaischen Hofe gern etwas zu thun. – Dieser Befehl des Herzogs hatte den Unterförster aber auf einen Weg geführt, der keineswegs in der Absicht seines Herrn gelegen, nämlich auf den Weg in das unbewachte Herzchen des schönen schlanken Marielieschens, Tauben-Jan’s einziger Tochter. Und als der stattliche Waidmann erst einmal drinne saß, konnte er nicht wieder heraus, obwohl er sehr gut wußte, daß der Herzog dazu nimmermehr Ja und Amen sagen würde. Natürlicher Weise lag dem Unterförster daran, daß Jan nicht auf dem Revier erwischt werde, und statt seines bösen Dämons, wozu ihn der Herzog bestellt, wurde er Jan’s guter Genius, der ihm durch Marielieschens kleinen rothen Mund zur rechten Stunde manche gute Warnung zukommen ließ. Es versteht sich von selbst, daß der grünberockte Genius dafür von demselben rothen Munde gebührend belobt und belohnt wurde.

Jan kannte das Verhältniß seines Kindes mit dem Unterförster, bekümmerte sich aber nicht darum, wie überhaupt um nichts, was in seinem Hause vorging. Er überließ das wie alle häuslichen Angelegenheiten seiner Frau und ging wie immer seinen Tauben nach.


Die Seewicher Kirmeß war wieder vor der Thür, und man sprach viel davon, daß die Ruhler diesmal eine absonderliche Mummerei veranstalten würden.

Sonnabends vorher, als nach dem Feierabend die sorgsame Tochter mit dem Scheuern des Hauses eben fertig war und die Herbstnacht sich schon dunkel in’s Thal gesenkt hatte, trat der Unterförster plötzlich in das spärlich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 98. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_098.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)