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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

geistigen Selbstbetätigung, zu prüfendem Nachdenken und Urtheilen veranlaßt. Eine solche Selbstbethätigung der Kinder für ihre Gemüths- und Sittenbildung tritt ein, sobald die Kindergärtnerin dieselben aus dem wirklichen Leben in das erdichtete durch die Erzählung überführt. Die Erzählung stellt sittliche Lebensbilder auf. Die kleinen Zuhörer erkennen leicht, denn auch die Vergleichungsgabe ist bei fast allen Kindern zu finden und immer thätig, in den handelnden Personen der Erzählung sich selbst, ihre Freunde und Freundinnen, Aeltern und Verwandte; die in der Erzählung wirkenden sittlichen Kräfte werden auch in ihnen angesprochen, ihre Gefühle regen sich, bald angezogen, bald abgestoßen durch die vorgeführten Handlungen, und mit diesen Gefühlen sich beschäftigend erwachen in ihnen gute Entschließungen. So bildet sich frühzeitig und auf dem natürlichsten Wege in der Seele der Kleinen ein sicheres sittliches Urtheil (Gewissen), und ihr Wille empfängt für immer die Richtung zum Guten. Einen hohen Werth hat hier besonders die Verstandesthätigkeit, zu welcher die Kinder beim Anhören der Erzählung angeregt werden, theils durch den Inhalt des Gehörten, theils durch die von der Kindergärtnerin in die Erzählung eingewobenen, aber auch vom Eifer und der Wißbegierde der Kinder selbst veranlaßten Fragen. Die Kinder üben hier ihre Denkkraft ohne doch das Denken (wie beim Schulunterricht) als Arbeit zu empfinden. So frühe aber auch die Kinder hier im Denken geübt werden, so schnell sich im Kindergarten die Summe ihrer Vorstellungen und Begriffe vermehrt, nie doch wird ihre wachsende Geistesgewandtheit den Charakter jener Altklugheit annehmen, mit welcher Kinder in diesem Alter so häufig uns entgegentreten und unsere Abneigung wie unser Mitleid hervorrufen. Im Kindergarten kann altkluges Wesen an den Kindern nie sich ausbilden und diejenigen, welche bei ihrem Eintritte hiervon bereits befangen sind, werden von diesem Feinde ihrer Freuden, ihrer Unschuld und Bildung unter dem heiteren Verkehre ihrer neuen Freunde gar bald befreit werden und dafür ihr wahres Eigenthum, harmlose natürliche Kindlichkeit zurückerhalten.

Eine wichtige Stelle unter den für Gemüth und Sitten der Kinder wirksamen Bildungsmitteln nehmen im Kindergarten auch die schon erwähnten geselligen Ball- und Vergnügungsspiele ein. Der erstrebte und immer sichere Erfolg dieser Spiele ist Freude. Die Freude aber und wer hätte das nicht an sich selbst erfahren? ist eine Mutter aller schönen, aller reinen menschlichen Gefühle. Wesentlich zur Erreichung dieses Zieles trägt bei, daß diese Spiele in der Regel von Gesängen begleitet werden. Wahre Freude ist nie stumm , am wenigsten bei dem kleinen, durch conventionelle Formen nicht beengten Kinde. Beobachte man spielende Kinder, immer wird man finden, daß sie alle Spiele wo nicht mit einem wirklichen Liedchen, so doch mit gesangartigen Tönen, man könnte sagen, mit Liedern ohne Worte begleiten. Der Gesang ist für sie Leben. Fröbel hat diese Erscheinung ganz richtig gewürdigt, wenn er, was das Kind selbstthätig sich schafft, von ihm entnahm, um es in vollkommenerer Gestalt als kräftiges Erziehungsmittel ihm zurückzugeben. Indem das Kind singt, was es thut, prägt es sich die Bedeutung, den Begriff seiner Handlungen fester ein und gewinnt damit einen Zuwachs von Vorstellungen für sein Gedächtniß und sein Urtheil. Anderntheils, und das ist noch wichtiger, enthalten die Gesänge Anregungen zur Freude, zur Geselligkeit und zum Guten, zu Aeltern- und Geschwisterliebe und Hinweisungen auf die Güte und Liebe Gottes; ferner Ermunterungen zur Folgsamkeit und Verträglichkeit, zu Fleiß und Arbeitsliebe. Werden nicht die Gefühle und Vorsätze, welche hier das Kind singt und wieder singt, seiner Seele sowie die Worte dem Gedächtnisse für immer sich einprägen? Wird es nicht hierdurch in seinem Gemüthsleben wohlthätig berührt und für das Leben mit einem reichen Schatze sittlicher Lehren und Grundsätze ausgestattet werden? –

Endlich erschließt der Kindergarten seinen Zöglingen auch die reichen Schätze der Natur. Wie beklagenswerth die Kleinen, die an der Hand unwissender, ihre Umgebung gleichgültig betrachtender Dienstmädchen in die Natur eingeführt werden! Kaum kann man sagen in die Natur, sie werden ja nur „in’s Freie“ geschickt, auf staubige Promenaden, Marktplätze und zu Soldatenschauspielen. Wie anders nutzt die Kindergärtnerin die Bewegung ihrer Schützlinge im Freien. Sie führt die Kleinen in einen freundlichen Garten und leitet sie hier zu heiterem glücklichen Genusse der Natur an. So lange Jahreszeit und Wetter es erlauben, bringen die Kinder täglich mehre Stunden im Garten zu, führen hier ihre Bewegungsspiele aus, - meist Darstellungen des gewerblichen und Naturlebens, beschäftigen sich nach dem Maaße ihrer Kräfte mit leichten Gartenarbeiten oder tummeln sich und spielen nach freier Wahl nur unter der fürsorgenden Aufsicht ihrer Erzieherin, auf Rasenplätzen, künstlichen Sandbergen und unter Bäumem. Naturliebe darf nicht gelehrt werden, sie will nur geweckt sein und hier hat die Kindergärtnerin eine leichte Arbeit. Das duftende Gras, die Blumen und Fruchtbäume, die Käfer und Schmetterlinge und der warme freundlich lichte Strahl der Sonne sind zu herrliche Dinge, denen das Herz der Kinder nicht widerstehen kann. Aber die Liebe zur Natur soll nicht allein auf dem sinnlichen Genusse ihrer Gaben beruhen, sie soll auch auf die Kenntniß derselben sich stützen; denn diese erst giebt ihr die rechte Weihe und Dauer und begründet eine richtige Werthschätzung aller Naturdinge. Entsprechend dieser Wahrheit unterrichtet die Kindergärtnerin ihre Zöglinge über alle sie umgebende Dinge und Erscheinungen, soweit kindliche Auffassungsgabe es zuläßt; über Nutzen und Zweck des Erschaffenen und über die Pflichten, welche der Mensch gegen die Schöpfungen der Natur, insbesondere gegen die beseelten Wesen zu erfüllen hat. Einen Schritt nur weiter in diesem Unterrichte, dienen die Herrlichkeiten und Wunder der Natur der Kindergärtnerin dazu, in den empfänglichen Kinderseelen die erste Ahnung eines unsichtbaren Wesens, eines allmächtigen und weisen Schöpfers, eines liebenden Vaters aller Menschen zu erwecken. Hier ist es, wo sie zuerst die Kinder den Namen Gottes mit Ehrfurcht, mit Dank und Liebe sprechen lehrt. Wie kann man auch besser und mit sichererem Erfolge ein Kind anleiten zu der Vorstellung eines über der Natur und dem Leben der Menschen unsichtbar waltenden Wesens und zum Glauben, zur Dankbarkeit und Liebe gegen dasselbe, als dadurch, daß wir ihm die sichtbaren Werke desselben zeigen?

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_083.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)