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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

in die Gefangenschaft zu schleppen. Gegen Nacht ziehen sich beide Heere allmälig in ihre Städte zurück, indem sie die Todten liegen lassen, die Gefangenen aber mitnehmen, fangen aber den nächsten Morgen mit Sonnenaufgang noch viel wüthender ihren Kampf wieder an. Das Wunderbarste dabei ist, daß sich die Ameisen dabei gegenseitig zu kennen scheinen und die Freunde von den Feinden sehr genau zu unterscheiden wissen. Sie gehen zwar immer mit offenen Kiefern auf einander los, packen sich auch wohl manchmal an, lassen aber augenblicklich wieder los und streicheln sich mit den Fühlhörnern, wenn sie zu einem Stocke gehören. Trotz dieser fürchterlichen Kriege der verschiedenen Arten findet man doch auch Haufen von gemischten Ameisen. Gewohnheit und Erziehung scheint bei ihnen viel zu wirken, wenn sie als Larven mit einander aufgewachsen sind. Sperrt man Puppen von grauschwarzen, blutrothen und röthlichen zusammen, so leben sie nachher, obgleich jede Gattung ihr eignes Naturell und ihr eigenes Verfahren beibehält und so seine Selbstständigkeit bewahrt, doch als wenn kein Unterschied zwischen ihnen wäre, während sie sich sonst als die grimmigsten Feinde verfolgen. Im Winter findet man in den Ameisenhaufen auch noch Vielfräße, Asseln, Ohrwürmer, Käferlarven etc., welche sich der größern Wärme im Neste wegen dahin zurückziehen. Sie haben keinen Nutzen für die Ameisen, werden von ihnen aber ruhig und unbeschwerdet geduldet, ja im Fall eines unverhofften Angriffes sogar vertheidigt und geflüchtet. Ein neuer Zug ihres Charakters, den wir nicht übersehen dürfen.

Auch bei unsern Ameisen kommen Wanderungen vor, die Ursachen aber lassen sich angeben, denn sie wandern nur aus, wenn sie von feindlichen Nachbarn zu oft überfallen werden, oder wenn die Nässe des Bodens und der Schatten sich vermehrt. In den letzten Fällen ziehen sie nicht weit, oft nur ein Dutzend Schritte von der alten Wohnung und handeln auch hier wieder frei nach den Umständen. Ist der Bau vorgeschritten, so holen sie Maden, Puppen, selbst die Männchen und Weibchen herüber und ist der Neubau entfernt, so legen sie unterwegs für die Träger Ruheörter, kleine Höhlen mit Stroh bedeckt, an. Auch Gedächtniß- und Erinnerungs- und Erkennungsvermögen selbst nach längerer Zeit tritt bei ihnen hervor, denn wenn man einen Theil der Bevölkerung eines Haufens wegnimmt, ihn einige Monate lang von dem andern Theile getrennt hält, sie aber dann wieder zusammenbringt, so kennen sie einander augenblicklich wieder und äußern mit den Fühlhörnern und durch andere Liebkosungen ihre Freude des Wiedersehens gar mannigfaltig.

Aber auch Gemeinde- oder Erbbegräbnisse sollen sie, nach Dupont, und zwar in einiger Entfernung von ihrer gewöhnlichen Wohnung haben, wohin die Todten von ihren überlebenden Mitbürgern gebracht und dort bestattet werden. Sie sind die ersten Thiere, die für ihre Angehörigen auch nach dem Tode sorgen und müssen, wenn auch die sterbende Ameise sich nicht schon vor ihrem Ende in die vielleicht selbst bereitete Begräbnißzelle begiebt, doch jedenfalls eine Ahnung des Todes und eine Kenntniß seiner Wirkungen haben.

Selbst zum Spielen und Scherzen scheinen sie Heiterkeit des Gemüths genug zu besitzen. An schönen Tagen sitzen die braunrothen haufenweise auf ihrem Neste in einer allgemeinen Bewegung, wie siedendes Wasser, sie schwingen dann die Fühlhörner mit außerordentlicher Geschwindigkeit, streicheln mit den Vorderfüßen sanft den Kopf der andern, richten sich dann paarweise auf, ringen mit einander, fassen sich bald an den Kiefern, bald am Hals, oder am Hinterleibe, jedoch ohne Gift auszuspritzen und ohne sich etwas zu thun, dann lassen sie los, laufen auf eine andere zu und treiben mit ihr dasselbe Spiel. Also auch Gutmüthigkeit und Fröhlichkeit dürfen wir ihnen zurechnen.

Die liebste Nahrung der Ameisen ist eine Art Honig, den die Blattläuse ausschwitzen und den sie mit großer Gier aufsuchen. Aber sie leben dabei nicht blos friedlich mit den Blattläusen, sondern sie vertheidigen sie, tragen sie in Sicherheit und halten sich förmliche Kolonien von ihnen. In der Nähe eines Haufens der braunen Ameisen findet man bisweilen an einem Kraute, besonders an der Wolfsmilch eine Art Zelle von Erde, durch welche der Stiel geht und die ein Loch hat, woraus Ameisen kommen, untersucht man sie, so findet man sie voll Blattläuse. Zerstört man nun diese Zellen, so schleppen sie die Blattläuse sofort weg und einstweilen in ihr Nest, stellen aber die Zellen nach einigen Tagen wieder her, und bringen ihr Milchvieh wieder hinein. Im Winter würde, da die Ameisen keine Vorräthe eintragen, Hungersnoth entstehen, wenn sie sich mit den Blattläusen nicht auch da zu helfen wüßten. Bekanntlich bringen die Blattläuse im Sommer lebendige Junge, legen aber im Herbste Eier. Untersucht man nun im November die Haufen der gelben Ameisen, so findet man in einem Zimmer einen Haufen kohlschwarzer, gelber, brauner, rother und weißer Eier, unter einander gemischt; Alle werden von den Ameisen gleich sorgfältig behandelt, im Munde herumgewälzt, befeuchtet und in Sicherheit gebracht. Die Ameiseneier sind weiß, werden durchsichtig und bekommen nie eine andere Farbe. Aus den andern aber kommen endlich wirklich Eichenblattläuse, welche, wenn man ihnen Zweige giebt, sofort zu saugen anfangen, und so wissen sich die Ameisen ihr Milchvieh aufzuziehen, um selbst im Winter Nahrung von demselben zu gewinnen.

Was wir hier von den europäischen Ameisen gesagt haben, gilt auch von den außereuropäischen Arten, die mit allen vorher erwähnten geistigen Eigenschaften noch ein heftigeres und hartnäckigeres Temperament zu verbinden scheinen. Die bemerkenswerthesten von ihnen sind die Termiten oder weißen Ameisen, denn was Bienen und Ameisen im kleinen und kleinsten Maaßstabe sind, machen und thun psychisch und materiell die Termiten im allergrößesten. Körperlich sind sie aber noch viel kleiner als selbst die Ameisen, nur herrscht zwischen ihnen der bedeutende Unterschied, daß, wie diese eine republikanische Verfassung haben, die Termiten streng monarchisch gesinnt sind, und Gut und Blut, Leib und Leben für König und Königin – das einzige Männchen und Weibchen im ganzen Reiche, alle andern sind geschlechtslos – lassen.

Bei den Bienen, Wespen und Ameisen sind die Geschlechtslosen Soldaten und Arbeiter zugleich, wenn sie zu den Letzteren nicht Gefangene verwenden, bei den Termiten theilen sie sich dagegen in zwei völlig getrennte Stände, Arbeiter und Soldaten. Nach den neuern Beobachtungen sollen die Arbeiter die Larven, die Soldaten die Puppen sein, und psychologisch ist diese Hypothese wahrscheinlich.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_050.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)